☼ B E C K Y - 11 ☼

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Beckys Blick haftete an der Decke ihres Zimmers im Inn, das Licht der Straßenlaternen malte zarte Muster darauf. Die kühlen Laken klammerten sich an ihren schweißnassen Rücken, während sie sich unruhig hin und her wälzte. Es war nicht nur der Besuch in New York gestern, der ihr den Schlaf raubte, sondern auch der drohende Verlust ihres geliebten Inns.

Das Gefühl des Unvermögens, den Ort zu retten, den sie ihr Zuhause nannte, war erdrückend. Selbst wenn Caleb sich gegen den Kauf entschied, stand die drohende Zwangsvollstreckung immer noch vor ihrer Tür. Die Existenzängste, die sie heimsuchten, waren greifbar, und der Gedanke an den Verlust ihres Zuhauses schmerzte sie tief in ihrer Seele.

Becky hatte alles versucht. Sie hatte in Werbung investiert, hatte versucht, mehr Events zu organisieren, um Gäste anzulocken. Sie hatte Angebote erstellt, um Touristen in das kleine, malerische Städtchen Sandpoint zu bringen. Doch in einer Welt, die ständig in Bewegung war, schien niemand mehr nach Ruhe und einem versteckten Ort wie Sandpoint zu suchen. Mit jedem Monat, der verstrich, konnte sie zusehen, wie die Buchungszahlen sanken.

Ein tiefer Seufzer entwich ihren Lippen. Sie brauchte einen Plan. Sie konnte und würde ihr Inn nicht aufgeben. Aber wie? Ihre Gedanken drehten sich in einem endlosen Kreis, immer wieder zurück zu demselben, quälenden Punkt. 

Calebs Entscheidung, den Deal zurückzuziehen, nagte an ihr. Es war nicht bloß ein geschäftlicher Verzicht – es war eine persönliche Geste, genau wie ihr heimliches Googeln nach ihrer Nacht zusammen. Ein unsichtbares Band, das ihnen beiden zeigte, dass sie nicht völlig unberührt voneinander geblieben waren. Sie konnte nicht leugnen, dass es sie geschmeichelt hatte, in gewisser Weise bestätigt hatte, dass diese eine Nacht vielleicht mehr bedeutet hatte als nur körperliche Anziehung.

Aber gleichzeitig hinterließ diese Geste einen Beigeschmack der Unsicherheit. Warum verzichtete er? Hatte sie ihm unbewusst eine Verpflichtung auferlegt? Oder war es eine Art von Kontrollspiel, um zu zeigen, dass er trotz ihrer kurzen Verbindung immer noch das Sagen hatte? Es fühlte sich an, als hätte er sie einerseits geehrt, andererseits aber auch entmachtet. Ein Kompliment, das sich zugleich wie eine Fessel anfühlte.

Als der Wecker halb sechs anzeigte, gab sie auf. Die Müdigkeit in ihren Knochen war nichts im Vergleich zu der in ihrem Herzen. Sie stand auf und wickelte sich ein großes Handtuch um den Körper, bevor sie barfuß den Weg zum Strand einschlug.

Die Luft war noch kühl, und der Himmel färbte sich in den ersten Anzeichen der Morgenröte. Die Farben, ein sanftes Rosa und Orange, verschmolzen am Horizont und kündigten einen neuen Tag an. Becky liebte diese Stunde, wenn die Welt um sie herum noch schlief und alles so ruhig und friedlich wirkte.

Mit einem letzten prüfenden Blick um sich herum ließ sie das Handtuch fallen. Das kühle Meerwasser umhüllte sie, als sie hineintauchte. Jeder Schwimmzug schien die Sorgen von ihr abzuspülen, und in diesem Moment gab es nur sie, das Meer und den bevorstehenden Sonnenaufgang.

Becky schloss ihre Augen und ließ sich treiben. Das sanfte Wiegen der Wellen, das kühle Nass auf ihrer Haut, der salzige Geschmack auf ihren Lippen – all das gab ihr für einen Moment das Gefühl von Freiheit und Leichtigkeit. Ihre Gedanken verblassten, sie hörte nur das Rauschen des Wassers und fühlte die warmen Strahlen der aufgehenden Sonne auf ihrem Gesicht. Für diesen Moment schienen alle Sorgen verschwunden.

Dann drang eine tiefe, vertraute Stimme über das Rauschen der Wellen bis hin an ihr Ohr. "Ich hatte so eine Ahnung, dass ich dich hier finde."

Beckys Herz machte einen Satz, und sie zuckte zusammen, die Augen aufgerissen. Caleb stand nur wenige Meter entfernt am Ufer, lässig in Jeans und T-Shirt. Seine dunkelbraunen Haare wirkten im dämmrigen Morgenlicht fast schwarz. Seine Hände waren in seinen Hosentaschen vergraben, die muskulösen Arme von Adern durchzogen. Im Hintergrund glänzte sein Aston Martin im ersten Morgenlicht auf dem Parkplatz des Inns.

Die Versuchung eines Sommers | ✔︎Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt