☀︎C A L E B - 18 ☀︎

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Einen Tag später stand Caleb in Beckys Küche, ein Ort, den er noch nicht vollständig erforscht hatte, und tat das, was für ihn am wenigsten vertraut war – er kochte Abendessen. Das bisschen Herumpanschen während seiner Studienzeit zählte er nicht dazu. Die letzten fünfzehn Jahre hatte er entweder in Restaurants gegessen oder sich sein Essen liefern lassen. Nun aber war er entschlossen, für Becky etwas Frisches zuzubereiten.

Auf dem Küchentresen lag sein Smartphone, auf dem ein Koch-Tutorial eines renommierten New Yorker Sternekochs lief. Caleb war so vertieft in das, was er tat – insbesondere beim Verfluchen der winzigen Zwiebeln, die er gerade versuchte, möglichst gleichmäßig zu schneiden –, dass er Becky im Türrahmen überhaupt nicht bemerkte.

Ein amüsiertes Räuspern von ihr ließ ihn jedoch hochschrecken. Sein Blick fiel sofort auf sie, und für einen Moment stockte ihm der Atem. Offenbar war sie duschen gewesen. Ihr Haar, das vor wenigen Tagen noch wie ein wildes Gewirr aussah, fiel nun in weichen Wellen über ihre Schultern. Ihr Gesicht, einst blass und leblos, schien wieder zu erwachen, die kleinen Sommersprossen, die ihre Nase umrahmten, leuchteten wieder hervor. Sie trug  noch immer sein weißes T-Shirt, das ihr fast wie ein Kleid bis zu den Oberschenkeln reichte. Ihre Beine, nackt und schlank, endeten in einem Paar flauschiger Socken.

Doch als seine Augen ihre trafen, bemerkte er es sofort. Trotz all dieser positiven Veränderungen fehlte das Funkeln in ihren grünen Augen. Ein kurzer, flüchtiger Zorn flammte in ihm auf, der Wunsch, denjenigen zur Rechenschaft zu ziehen, der ihr das angetan hatte. Er zwang sich jedoch zur Ruhe, vor allem ihr zuliebe. Noch war es nicht soweit. 

"Ich habe Charlotte angerufen", begann Becky, ihre Lippen zu einem schmalen Lächeln formend.

"Charlotte?" Caleb war kurzzeitig verwirrt. 

"Eine Freundin", erklärte sie.

Caleb musste seine Enttäuschung unterdrücken. Er hätte eher erwartet, dass sie endlich von einer Anzeige bei der Polizei sprechen würde. Obwohl er das dringend wollte, hatte sie ihm klipp und klar gesagt, dass sie das nicht wolle.

"Okay?" Caleb war unsicher, wie er darauf reagieren sollte. 

Während er nachdachte, trat sie ein paar Schritte weiter in die Küche und spielte dabei nervös mit den Fingerspitzen. Ein weiterer lebender Beweis dafür, wie sehr sie immer noch unter Strom stand. 

"Ich ... ich weiß, dass du nicht ewig hier bleiben kannst", begann sie leise, fast flüsternd, und schlug die Augen nieder.

Caleb beobachtete sie einen Moment lang und legte das Messer beiseite, das er noch immer in der Hand hielt. Er wischte seine Hände an einem Küchentuch ab und trat näher an sie heran. Jeder Schritt, den er machte, war von Vorsicht geprägt. Er wollte nicht, dass sie sich unwohl fühlte, wollte sie nicht unter Druck setzen.

"Becky", begann er sanft, "ich bin hier. So lange wie du willst."

Sie hob ihren Blick und ihre Augen trafen die seinen. Es war ein Blick, der sowohl Dankbarkeit als auch Unsicherheit vermittelte. "Ich weiß nicht, wie ich dir jemals danken kann."

Er lächelte leicht. "Ich will nur sicherstellen, dass es dir gut geht."

Ein leises Seufzen entwich ihren Lippen. "Charlotte ... sie ist Therapeutin. Sie ist spezialisiert auf Traumabewältigung. Ich ... ich denke, es ist an der Zeit, mit jemandem zu sprechen."

Caleb fiel in diesem Moment ein Stein vom Herzen, versuchte dennoch, ruhig und besonnen zu wirken. Also nickte er verständnisvoll. "Das ist ein guter Schritt. Es ist wichtig, Hilfe zu suchen, wenn man sie braucht."

Becky presste die Lippen aufeinander. "Ich will kein Opfer mehr sein."

Caleb Augenbrauen senkten sich und er sah Becky streng an. "Nein, das bist doch gar nicht. Du bist die stärkste Frau, die ich kenne." Und er meinte es ernst. 

Die Versuchung eines Sommers | ✔︎Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt