Die Zugfahrt war lang und ermüdend gewesen, aber endlich hatte ich mein Ziel erreicht. Als die Türen des Zuges sich öffneten und ich auf den Bahnsteig trat, spürte ich die Erschöpfung in jedem Muskel meines Körpers. Mit schweren Schritten bewegte ich mich durch den Bahnhof, bis ich schließlich auf meine wartende Schönheit zukam. Ihr Lächeln war wie ein helles Licht in der Dunkelheit, als sie mich mit offenen Armen empfing. Sie erkannte sofort meine Erschöpfung und nahm mich sanft in den Arm. Der Moment, in dem ich ihre Nähe spürte, war wie eine Erlösung.
Ich schloss die Augen und genoss den Moment der Ruhe und Geborgenheit, den sie mir bot. „Endlich bist du da. Andauernd fallen Züge aus, echt nervig. Zuhause habe ich dir extra noch Essen übrig gelassen - das können wir dir dann warm machen", trällerte sie fröhlich vor sich hin, als sie meine Hand ergriff und mich mit sich schleifte. Aber ich konnte nur müde lächeln und nickte stumm. Unfähig, viele Worte zu finden, ließ ich sie weiter aufgebracht reden, hörte ihr intensiv zu, wobei mich all die Strapazen und Anstrengungen der Reise zwangen, zu schlafen, sobald ich in ihr Auto gestiegen war.
Das sanfte Vibrieren des Motors, hatte mich in einen tiefen Schlaf gewiegt. Als ich die Augen öffnete, fand ich mich im Halbdunkel des Autos wieder, und nur die schwache Beleuchtung der Straßenlaternen erhellte den kleinen Raum. Ich reckte und streckte mich, spürte die steifen Muskeln und Gelenke, die von der ungewöhnlichen Schlafposition im Auto gezeichnet waren. Ein Gähnen entrann meiner Kehle, und ich setzte mich langsam auf. Mein Blick glitt aus dem Fenster, und ich konnte das vertraute Bild des Hauses von Elisa erkennen. Die Tür des Autos quietschte leise, als ich sie öffnete, und der kühle Nachtwind umfing mich sofort. Der Duft von frischer Luft und feuchtem Gras stieg mir in die Nase, während ich aus dem Auto stieg und meine Füße auf den Boden setzte. Die Haustür wirkte einladend und vertraut, als ich sie leise öffnete und in die Dunkelheit des Inneren trat.
Ein schwacher Lichtschein drang aus der Küche und erlaubte mir, den Weg dorthin zu finden. Quälend langsam setzte ich mich an den Küchentisch und beobachtete Elisa, wie sie eine Schüssel mit Essen in die Mikrowelle stellte und sich anschließend neben mich setzte. „Morgen früh kommen auch meine Eltern - du solltest am besten nicht vergessen, Deinen noch zu schreiben, dass du endlich gut angekommen bist - eine Stunde Verspätung." Sie wurde durch das Piepen der Mikrowelle aus ihren Gedanken gerissen und sprang sofort auf. „Der Zug hatte keine Verspätung", gab ich beiläufig von mir. „Nicht?", starrte sie mich verwirrt an und wartete auf meine Antwort, aber ich starrte nur ins Leere. „Ich habe den Zug verpasst", gab ich gepresst von mir. Elisa stellte eine dampfende Schüssel vor mir ab, und der aufsteigende Duft ließ mir das Wasser im Mund zusammenlaufen.
„Warum? Du bist doch sonst immer pünktlich. Außerdem bist du absolut abwesend, alles okay bei dir?", erkundigte sich Elisa mitfühlend. „Ich bin nur müde, alles bestens", wich ich automatisch aus, obwohl die Wahrheit auf meiner Zunge brannte. Die Bilder der jungen Frau, wie sie auf das Bahngleis stürzte, brannten vor meinem inneren Auge und ließen mich zusammenzucken. Meine Schultern zuckten zusammen, während ich zwanghaft versuchte, nicht mehr an die Geschehnisse zu denken. In vollen Zügen genoss ich immer die Sicherheit, die mir Elisa schenkte, und trotzdem zerriss mich die Unsicherheit vor der Wahrheit. Meine Gedanken kreisten. Zug, Frau, Fall. Zug, Frau, Fall.
Das Schweigen, das den kleinen Raum füllte, zog sich ins Unermessliche und trieb die sonst vertraute Stimmung in kalte Distanz. Das unberührte Essen vor mir, das weiter vor sich hin dampfte, strafte ich weiterhin mit meinem abwesenden Blick. Das alles trieb mich in den absoluten Wahnsinn, und als sich mein Magen krampfhaft zusammenzog, platzte es aus mir heraus: „Eine Frau hatte versucht Selbstmord zu begehen. Ich habe sie gerettet." „Du hast WAS?", gab sie fassungslos von sich. „Ich habe eine Frau gerettet, die sich vor den Zug geschmissen hat", erklärte ich ihr in Ruhe. „Jaja, das habe ich schon verstanden, aber wie konntest du nur?", entgegnete sie mir erhobener Stimme. Der Schleier, der sich vor meinen Augen gelegt hatte, verschwand, und eine plötzliche Energie durchströmte meinen Körper. „Wie, wie konnte ich nur? Ich habe sie gerettet! Sonst wäre sie jetzt tot! Vom Zug überfahren", schrie ich sie fast an. In meinem Hals bildete sich ein Klos, der mich zusammenzucken ließ. „Aber hast du mal darüber nachgedacht, dass sie vielleicht nicht mehr leben wollte? Dass sie absichtlich vor den Zug gesprungen ist, weil sie unermesslich in ihrem Leben leidet. Weil sie diesem Leiden ein Ende bereiten wollte!" Ich konnte sie nur fassungslos anstarren. Eine Träne rannte mir die Wange runter und hinterließ eine heiße Spur auf meiner Wange. „Ich wollte ihr doch nur helfen", gab ich kleinlaut zurück. „Ich weiß, dass du immer dieses Gefühl hast, anderen helfen zu müssen, trotzdem kannst du nicht über das Leben eines anderen bestimmen!"
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Gleis des Lebens (Moment Story)
Short StoryDiese Geschichte ist eine Art von Kurzgeschichte, die nur fünf Kapitel umfasst. Es geht jedoch um nur einen ausschlaggebenden Moment, daher auch die Betitelung „Moment Story". Um nicht vorab die ganze Handlung zu spoilern, folgt keine inhaltliche Z...