Elizabeth

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Ein paar Tage später

Ich wachte noch vor dem Klingeln meines Weckers auf, was mich ziemlich überraschte. Eigentlich war ich eine Frühaufsteherin, aber selbst ich brauchte jemanden, der mich am frühen Morgen weckte, damit ich noch rechtzeitig in die Schule kam. 

In meinem Bauch flatterte es aufgeregt, als ich mich erinnerte, dass heute mein Hausarrest aufgelöst wird. Schwungvoll strampelte ich die Bettdecke von meinen Füßen, dann schlüpfte ich in die flauschigen Hausschuhe, die vor meinem Bett standen. Ich hasste es, mit nackten Füßen im Haus herumzulaufen, denn unser Boden war eisigkalt. Allein bei dem Gedanken wurde mir kalt und ich sehnte mich nach meiner warmen Decke, in der ich mich einkuscheln konnte.

Überrascht schreckte ich zusammen, als das Schrille Klingeln meines Weckers erklang, welchen ich komplett vergessen hatte. Schnell stellte ich ihn aus, bevor er meine Eltern aufweckte, auch wenn sie wahrscheinlich schon perfekt gekleidet am Frühstückstisch saßen. 

Ich fuhr mit meinen Fingern durch meine Haare, um die Knoten zu lösen, schaffte es aber nicht, weshalb ich ins Badezimmer schlurfte. Im Spiegel sah ich mich erstmal an und unterdrückte ein entsetztes Keuchen. Zwei dicke Augenringe zierten mein Gesicht, die durch meine blasse Haut noch mehr in Geltung gebracht wurden. Zudem war über Nacht ein neuer Pickel auf meiner Stirn erschienen. 

Ich stöhnte genervt auf. War natürlich klar, dass ich ausgerechnet am ersten Schultag nach den Sommerferien wie ein Stück Scheiße aussah. Nicht nur, dass ich überhaupt keine Lust hatte, jeden Tag zwischen schwitzenden Schülern zu sitzen, sondern auch, dass Claire einen neuen Grund hätte, mich zu demütigen und mir unter die Nase zu reiben, was für ein Streber ich war und wie hässlich ich doch aussah.

Ich füllte meine Hände mit eiskaltem Wasser und klatschte es mir ins Gesicht. Es brannte, aber meine Wangen wurden röter und lebendiger. Ich putzte meine Zähne und kämmte meine braunen Haare, was sich als ziemlich schwer erwies. Dann schlüpfte ich, zurück in meinem Zimmer, in meine Klamotten und achtete dabei, dass die Gardinen geschlossen waren und packte noch meinen Schulrucksack.

Leise schlich ich die Treppe runter in die Küche. Gerade als ich die Kühlschranktür öffnete und nach dem Schinken griff, der sich da drinnen befand, packte mich eine Hand unerwartet an der Schulter und ich unterdrückte nur mit Mühe einen schrillen Schrei, der bestimmt die ganze Nachbarschaft aufgeweckt hätte.

"Ich habe dir ein bisschen Haferflocken gemacht", die Stimme meiner Mutter ertönte hinter mir und meine Schultern, die ich verkrampft hatte, lockerten sich ein wenig. 

"Du kannst dir ein paar Apfelstücken reintun", sagte sie und deutete auf den dampfenden Kochtopf, der auf dem Herd stand und den ich erst jetzt entdeckte. Sie schloss den Kühlschrank und dirigierte mich auf den Stuhl.

"Ich habe bemerkt, dass deine Haut unreiner geworden ist und du zugenommen hast. Haferflocken könnten dagegen helfen. Sie machen einen satt und sind dazu noch gesund", flötete sie und häufte mir eine kleine Portion in eine Schüssel.

"Mom, ich will kein Haferbrei. Ich möchte lieber ein Schinkenbrot mit Orangensaft", murmelte ich.

"Ah Papperlapapp", winkte sie ab.

"Hab dich nicht so. Ich will nur, dass es dir gut geht", sie musterte mich kurz von oben nach unten und stellte dann die Schüssel vor mir hin. Ich warf einen Blick rein und seufzte auf, dann begann ich es in mich reinzuschaufeln.

"Du musst das nächste mal langsamer essen und lange kauen, damit dein Magen bemerkt, dass er was isst", gab sie mir einen Rat, als ich nach drei Löffeln schon fertiggegessen hatte.

"Kann ich jetzt noch was essen? Ich bin nicht satt geworden", fragte ich kleinlaut, obwohl ich die Antwort schon wusste.

"Hier, trink ein Glas Wasser. Das sollte reichen. Wusstest du, dass dein Magen so groß ist, wie deine Faust?"

Ich antwortete nicht sondern griff nach dem Wasser und exte es runter, bevor ich mich vom Stuhl erhob. Die Stuhlbeine schrammten über den Boden, was meine Mutter verärgert die Lippen schürzen ließ.

"Danke für das Essen, ich gehe jetzt", teilte ich ihr mit und verließ mit großen Schritten die Küche, schlüpfte in meine Schuhe und schulterte meinen Rucksack. Ich war etwas zu früh, als ich aus dem Haus ging, aber mir war es egal. Ich wollte nur weg aus der Küche flüchten, wo es lecker nach Essen roch. Meinen knurrenden Magen ignorierte ich gekonnt. Er würde in ungefähr einer halben Stunde aufhören. 

Ich überprüfte, ob ich meine Schlüssel eigesteckt hatte, als ich das laute zuknallen einer Haustür hörte, was meinen Kopf verwundert drehen ließ. Lope pfiff fröhlich vor sich hin, als er auf das Gartentor zuschlenderte, welchen er so schwungvoll öffnete, dass es fast aus seinen verrosteten Angeln sprang und gegen den Briefkasten knallte, der daneben hing. 

"Guten Morgen, Mädchen-ohne-Namen. Lange nicht mehr gesehen", begrüßte er mich und sein typisches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Er sah aus, als wäre er erst vor kurzem aufgestanden. Sein Haar verwuschelt und die blauen, durchdringenden Augen noch Müde. Er trat neben mich und mir stieg sofort sein Geruch in die Nase.

"Dein Vater ist bestimmt Harry Potter, denn du hast mich verzaubert", er wackelte mit den Augenbrauen.

"Hab ich Recht?"

"Nein du Clown, hast du nicht!", schrie eine Stimme von der anderen Straßenseite und ich unterdrückte ein erleichtertes Aufseufzen. Na endlich, da war sie ja! Helene guckte nach rechts und links, bevor sie die Straße überquerte und zu uns herüberkam. 

"Du bist?", fragte sie Lope und zog skeptisch eine Augenbraue nach oben, während sie ihn von oben bis unten musterte.

"Lope Sallow stehts zu Diensten", antwortete er und verbeugte sich, woraufhin ich genervt meine Augen verdrehte, mich bei Helene einhackte, die Lope einen seltsamen Blick zuwarf und sie mit mir Richtung Schule zog.

"Wir reden später noch darüber", raunte sie mir zu und verrenkte sich dabei den Kopf, um Lope anzugucken, der mit einigem Abstand hinter uns her schlenderte und ein Steinchen vor sich herkickte. 

"Und du lässt dabei keine Details aus. Ich will alles wissen!"

Ich nickte nur, denn ihre strenge Tonart dudelte nichts anderes.




The taste of your lipsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt