Liminal Space

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Erst ist alles ganz normal. Ich komme spätabends vom Sport und will nach Hause fahren. Aus meinen Kopfhörern kommt leise melancholische Musik. Nichtsahnend betrete ich die Bahn. Und plötzlich ist alles leer.

Ich halte meinen Atem an. Die Sekunden dehnen sich plötzlich endlos lang und sind keine Sekunden mehr.

Leere. Das Gefühl vom Unbekannten. Raum und Zeit sind nicht mehr was sie mal waren. Als wäre ich durch eine geheime Hintertür in eine fremde und doch identische Parallelwelt eingetaucht. Alles sieht so gleich aus, die roten Sitze, in Vierer-Gruppen angeordnet, der Graue Boden. Doch etwas fehlt.

Leben. Alles ist still. Ist es das Noise Cancelling meiner Kopfhörer oder war es davor auch schon so still? Ich habe das Gefühl, ich darf nichts sagen. Und wenn ich es tun würde, dann könnte man bestimmt das Echo meiner Stimme unendlich weit hören.

Menschen. Wo sind alle hin? Die Einsamkeit schleicht sich von hinten an und umhüllt mich ohne, dass ich sie kommen sehe. Auf einmal bin ich so allein, als gäbe es niemanden mehr auf der Welt. Nur mich in dieser Bahn.

Ich atme aus und schiebe langsam ein Fuß vor den anderen.

Vorsichtig. Jeder Schritt könnte die einsame Raum-Zeit-Blase platzen lassen. Die anfängliche Beklemmung schwindet langsam. Was eben noch bedrohlich und befremdlich erschien, wird zu einem seltsamen Komfort, einer Safe-Space. Hier kann mir niemand etwas tun, denn dieser Ort kann sich nicht mehr auf der Erde befinden.

Ich setze mich hin und die Blase platzt. Mit ihr, meine Benommenheit.

Genauso plötzlich, wie der Ort aufgetaucht ist, verschwindet er wieder. Dabei habe ich mich doch gar nicht bewegt. Oder doch? Menschen strömen in die Bahn, nichtsahnend, so wie ich es am Anfang gewesen bin, doch der fremde und doch identische Ort bleibt verwunden. 

GedankenschwälleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt