Seit Stunden saßen wir schon in dem alten Zug, der klappernd und keuchend seinen Weg über die Schienen nahm. Alles in diesem fahrenden Gefährt wirkte altmodisch. Die roten Sitze waren durchgesessen, ihre Farbe schon seit Ewigkeiten verblasst und selbst der kleine Klapptisch, zwischen mir und meinen beiden Freundinnen, besaß mehr Kratzer und Dellen als die Autos auf Paris Straßen.
Mein Blick fiel mir gegenüber auf Jule, die eine Modezeitschrift in den Händen hielt und ihre Kopfhörer aufhatte. Immer wieder summte sie leise mit und wippte mit ihrem Fuß im Takt der Musik, die ich sehr leise im Hintergrund wahrnahm.
Sie war die Taffe, Selbstbewusste unter uns Dreien und auch der Grund, wieso wir uns auf dem Weg in die Slowakei befanden. Ihr Leben sollte sie nach unserem Ausflug auf eine Weltreise schicken, was wirklich zu ihrer offenen Art passte.
Mit ihren pinkfarbenen Haare, die grünen Augen und den meist auffälligen Klamotten war sie eine waschechte Naturgewalt, die kaum etwas an Ort und Stelle halten würde, im Gegensatz zu mir.
Mein Leben war bis aufs kleinste Detail geplant, denn obwohl wir erst vor zwei Wochen unseren Abschluss gemacht hatten, hatte mein Vater schon einen bodenständigen Job für meinen Verlobten und mich.
Arthur hatte mir bereits einen Heiratsantrag gemacht. Also war schon abzusehen, dass ich bald verheiratet in einem Reihenhaus in Köln wohnen würde und einige Jahre später würden die ersten Kinder durchs Haus jagen.
Für mich war das in Ordnung, denn ich träumte schon lange von einem ruhigen, normalen Leben. Doch Jule versuchte mich trotzdem immer wieder dazu zu überreden, mit ihr auf Weltreise zu gehen und das Leben zu genießen, bevor es vorbei wäre, doch ich lehnte es ab.
»Willst du?«, riss mich Tessa aus meinen Gedanken und reichte mir eine der kleinen Flaschen Wasser, um sich dann wieder ihrem Buch zu widmen.
Sie war im Gegensatz zu uns beiden eine völlig andere Liga, denn bei ihr zählten weder Abenteuer noch Familiengründung im Leben, sondern nur Bildung. Sie schloss das Abitur mit Bestnoten ab und nach unserem Ausflug, wollte sie nach England zum Studieren, was mich traurig stimmte.
Dieser Ausflug fühlte sich wie ein schmerzlicher Abschied an. Nichts würde mehr wie vorher werden und das Gefühl lastete schwer auf meinen Schultern. Ich war nicht bereit, meine Freundinnen bald nur noch über Skype zu sehen. Das war einfach nicht realisierbar für mich, also versuchte ich es tief durchatmend auszublenden und konzentrierte mich auf mein Handy, auf dem ich mir dann verschiedene Bilder von Brautkleidern ansah, die allesamt einfach nur zu pompös aussahen.
Ich wollte eine kleine Feier. Nur unsere engsten Freunde und Verwandten in einer schönen, ruhigen Location und ich im schlichten Kleid. Das wäre perfekt und apropos perfekt, erschien dann Arthur auf meinem Handy.
»Hey Schatz«, nahm ich den Anruf an und schaute auf den Handybildschirm, wo mein Verlobter mir verschlafen entgegen grinste.
»Hey Hübsche, wie geht's dir?«, fragte er und drehte sich in seinem Bett auf die Seite, um seinen Kopf auf seine Hand zu stützen und mich lächelnd zu mustern.
»Gut und dir? Wir haben noch 2 Stunden vor uns. Wie kommt es, dass du mitten am Tag im Bett liegst?«, fragte ich ihn dann, als ich auf meinem Handy die Uhrzeit ablas. 16 Uhr.
»Ohne dich habe ich keine Lust was zu machen«, erklärte er und zog einen süßen Schmollmund.
Sofort hörte ich Jule vor mir seufzen. Ich erhob meinen Kopf und sah sie an, wie sie eine Augenbraue hochzog und ihre Augen theatralisch verdrehte.
»Hör auf«, flüsterte ich ihr zu und sie hielt sich ihre Finger an den Kopf, um so zu gestikulieren, dass sie sich in den Kopf schießen wollte.
»Womit soll ich aufhören?«, hörte ich dann Arthur und schaute erschrocken zurück ins Handy.
»Nicht du. Jule ... Jule hat ...«, stotterte ich und regte mich sofort darüber auf, dass ich eine solch miserable Lügnerin war.
»Ich habe über deine Aussage die Augen verdreht und so getan, als würde ich mir die Kugel geben«, rief Jule dann laut und sofort schaute ich sie wütend an, doch Arthurs Lachen ließ mich wieder auf den Bildschirm schauen.
»Typisch«, lächelte er und zwinkerte mir zu, doch dann veränderte sich sein Blick plötzlich und es kam mir so vor, als würde er an der Kamera vorbeischauen.
»Ist jemand bei dir?«, fragte ich daraufhin besorgt, doch er schüttelte umgehend den Kopf.
»Nein, was denkst du nur. Ich muss jetzt aber los. Wir sehen uns morgen, Schatz.«
Er legte so schnell auf, dass ich nicht mal die Möglichkeit hatte, mich zu verabschieden, was mir ein ziemlich mieses Gefühl im Magen bescherte.
»Was ist los?«, wandte sich Tessa an mich, die ihre blonden Haare aus ihrem Gesicht strich, um mich mitfühlend zu betrachten.
»Keine Ahnung, es kam mir so vor, als wäre jemand bei ihm«, erklärte ich mit gerunzelter Stirn. »Aber ist wahrscheinlich Blödsinn. Er hat gesagt, dass niemand da ist«, fügte ich dann noch hinzu und versuchte das alles mit einem Lächeln zu überspielen.
»Ja und weil er das sagt, ist das dann auch so«, meinte Jule plötzlich und ich hörte die Provokation in ihrer Stimme.
»Schonmal etwas von Vertrauen gehört?«, provozierte ich sie zurück, woraufhin sie die Augen verdrehte und die Modezeitschrift beiseitelegte.
»Vertrauen hin oder her, jeder kann jeden betrügen«, sagte sie und schaute mich dann ernst an. »Du bist viel zu jung zum Heiraten, Mary.«
Ich wich ihrem Blick aus und schaute zu Tessa, die nur mit den Schultern zuckte und sich wie immer aus unseren Diskussionen heraushielt.
»Wollte es nur gesagt haben«, meinte Jule dann und schnappte sich erneut ihre Zeitschrift.
Ja, sie wollte es nur gesagt haben, wie jeden Tag seit ich ihm das Ja-Wort gegeben hatte. Was mich am meisten daran aufregte, war, dass ich manchmal ihretwegen sogar selbst an meiner Entscheidung zweifelte.
Er war mein Erster, doch sollte er auch mein Letzter werden? Ich liebte ihn, klar, aber war es das dann?
Abermals schaute ich auf mein Handy, sah mir das Hintergrundbild an und als ich dann beim Anblick von Arthur und mir lächeln musste, waren alle Zweifel wieder wie weggeweht.
Ich war mir sicher, denn er machte mich glücklich.
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1017 Wörter
Geschrieben von MaritaDarling
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Mind Games
AdventureDrei Freundinnen, die unterschiedlicher nicht sein können, fahren nach dem Beenden des letzten Schuljahres auf ihre eigene Abschlussfahrt. Sie wollen etwas erleben, an das sie sich noch längere Zeit erinnern können. Dass es aber ein Ausflug wird, de...