𝑻𝒉𝒓𝒆𝒆 / 𝑇𝑒𝑚𝑝𝑒𝑠𝑡

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Nur leider warst du nicht besonders geschickt darin

Nicht besonders geschickt... Nichts besonderes...

Du bist nichts besonderes Mariam! Du kannst laufen, vor ihm fliehen, aber vor deiner eigenen Angst kannst du nicht davon rennen.

Diese nervige Stimme - meine eigenen Stimme dröhnte mir meinem Kopf. Darauf folgte ein schreckliches Ziehen in meinem Hirn. Ich fing an zu schreien, zu brüllen. Diese verdammten Kopfschmerzen!

Ich hörte das Gelächter des Clowns und es fühlte sich so an, als ob es hundert Mal in meinem Kopf hin und her schlug. Es fühlte sich wie innere Schläge an oder so als ob... als ob jemand mich von Innen auffressen würde.

"Mariam!" Hallte es durch den Wald.

Der Clown?

"Wo bist du?"

Seit wann hat er so eine helle Stimme? Nein, das kann er nicht sein! Wer war es?

"Sag doch was!"

Die Stimme kam näher.

Der Clown fing wieder an, in ein unheimliches Gelächter zu fallen. So laut, so rau, so boshaft.

Das Mädchen mit schwarz gefärbten, schulterkurzem Haar starrte mich an. "Mariam, alles gut?" Es klang so, als ob sie sich Sorgen machen würde. Macht sie es denn überhaupt?

"Darf ich sie töten?" Die Stimme vom Clown. Ja, es war eindeutig seine Stimme.

"NEIN!" Mein Schrei durchbrach die Stille des Waldes, übertönte die natürlichen Geräusche und jagte Vögel auf, die mit einem Flattern davonflogen. Das Echo meines Ausrufs hallte wider, begleitet vom bekannten, unheimlichen Krächzen der Krähen, das sich in meinem Kopf festsetzte. Kopfschmerzen, Kopfschmerzen. Ich habe solche Kopfschmerzen!

"Hey, beruhige dich. Es ist alles gut, Mariam", kam diese Stimme mir näher und versuchte mich zu beruhigen.

"Woh-Woher kennst du meinen Namen?" Meine Stimme klang heiser und ängstlich. Mein Herz schlug mir bis an den Hals und meine Hände zitterten vor Furcht... vor Furcht vor diesem Clown.

Sie lächelte mich an "Ich bin es, deine große Schwester. Wir wohnen zusammen in einem Haus. Schon vergessen?" Sie lachte... Sie lachte! Ich mochte es nicht, wenn sie das tat.

Warum darf sie lachen und ich nicht?!

Nein, natürlich hatte ich das nicht vergessen. Vergessen wie sie der Grund dafür war, dass ich so geworden bin... So ängstlich und zurückgezogen.

Schon immer hatte ich mich versteckt vor der Welt. Kein Licht kam in mein Herzen. Allein, schon immer allein. Und wer war der Grund dafür? "Du!", brachte ich voller Entsetzen und Verachtung rüber.

"Du kleines Miststück! Immer schon warst du Mamas Liebling. Warum? Warum immer du?! Immer ging es nur um deine Wünsche. 'Oh nein, der großen Tochter geht es nicht gut. Oh nein, oh nein. Schnell hohlt den Krankenwagen.' "

Alles was sich all die Jahre angesammelt hat, platzte aus mir raus. Mein Herz pochte vor Wut, mein Gehirn schaltete auf Angriffsmodus, meine ozeanblauen Augen visierten ihre schockierten himmelblauen Augen an.

"Darf ich sie jetzt töten?", meldete sich der Clown wieder zu Wort.

"Los, mach!"

Doch anstatt sich der Clown bewegte, lief ich ein Schritt nach vorne und noch ein, noch ein. Mein bedrohlicher, schleichender Schritt beschleunigte sich. Wie ein hungriger Löwe der endlich seine Beute gefunden hatte. Ich besaß keine Kontrolle mehr über mein Körper. Es wurde nur noch von der Wut geleidet und vielleicht auch von dem Clown.

"Hey, Mariam! Was soll das?"

"KLAPPE HALTEN!", schrie ich sie an. "So wie du es all die Jahre getan hast. Halt einfach deine verdammte Fresse."

Ich drängte sie an den dicken Baum, wo ich mich zuvor vor meiner Angst versteckt hatte. Vor meiner Angst, dass ich nie genug sein könnte. Vor der Angst, rauszugehen. Mit Menschen zu reden. Sie hätten mich eh nicht verstanden.

Der Horrorclown? Hat nie existiert. Er ist eine Stimme in meinem Kopf, schon all die Jahre. Ich hasse den Horror. Ich hasse ihn... Diesen Clown, der mich hier raus geführt hatte.

Das ständige Gelache, das die Wälder durchschallt hatte? Der Ruf meiner Schwerster, wo ich denn sei. Als ob ihr das je interessiert hat, ob es mir gut geht.

In meinem Kopf? Ein Gewitter aus fürchterlichen, qualvollen Gedanken. Gedanken die mich nicht in Ruhe ließen.

Tropf, Tropf, Tropf.

"Es regnet! Ich liebe den Regen, wusstest du das schon, Silva? Er durchnässt dich. Er versteckt deine Trauer und Tränen. Er verwischt alle Spuren. Wenn ich dich jetzt töte, und du Blut verlieren würdest, wird dieses schöne Unwetter, wie ihr es nennt, meine Spuren verstecken und tief, tief in den Waldboden versinken lassen."

Bei dem Wort Unwetter musste ich lachen. Für mich ist die Sonne, und die Hitze ein Unwetter. Sie hilft nicht, lässt alles vertrocknen und einen qualvollen Tod erleiden. Ich mag es mehr, schnell und schmerzlos. Doch das Spielen der Beute ist ein Muss. Ich fühle mich wie ein Löwe, der spielt. Welcher mit seiner Beute spielt und sie dann tötet.

"Du willst doch nicht jetzt deine eigene Schwester umbringen, oder?" Ihre Stimme zitterte vor Angst und vor Kälte. Die Kälte, die das Gewitter hervorbrachte. Sie soll Angst haben. Sie soll zittern. So wie ich.

Ich fing an zu lachen. Fürchterlich an zu lachen. "Dumme Schwester! Ich bringe dich nicht um. Ich erlöse dich, mich und meine Angst." Wiederholte ich die Worte, die zuvor der Clown zu mir sagte.

"Naa, rate mal! Welche Angst meine ich, große Schwester?" Das Wort große Schwester spuckte ich aus wie Gift. Es brannte, vibrierte auf meiner Zunge, als ich die Worte aussprach.

"Wähle deine Worte weise. Es entscheidet ob es schnell und schmerzeslos oder qualvoll und lang sein wird" Ohne das Wort Tod zu erwähnen, wusste sie was ich meine. Das ich es nicht mochte, qualvoll zu töten, musste sie ja nicht wissen.

Zögerlich gab sie eine Antwort: "Die Angst davor, nicht dazu zugehören. Die Angst da-davor ausgelacht zu werden. Die Angst welche dich in den Abgrund stürzte." Wort für Wort wurde sie immer leiser. Trotzdem war ich überrascht, dass es so gut stimmte. Wenn sie wusste, wie ich mich fühlte, warum hat sie dann nichts gemacht?!

Diese Erkenntnis machte mich so wütend. Voller Wut, zwang ich sie weiter in die Ecke.

"Mariam, bitte, ich hab doch garnichts gemacht."

Ein Lächeln spielte sich auf meinen Lippen. "Das ist der Punkt, Silva." Ihr Körper prallte gegen den Baum und ich nahm das Messer in meiner Hand und schnitt ihr mit schnellen Schritten die Halspulsarder durch. Woher ich wohl das Messer habe?

Ich genoss den Anblick. Ihre Augen waren glanzlos, ihr Körper fiel schwach und ohne Widerstand langsam zu Boden. Sodass an dem Baum eine Blutspur zu sehen war.

So schön Blutrot. Ich bin befreit, befreit vor dem Clown... vor der Angst. Befreit von den Stimmen. Befreit von...

Allem? Ach, Maus, es fängt doch gerade erst an.

𝑺𝒄𝒉𝒆𝒓𝒛, 𝑺𝒄𝒉𝒎𝒆𝒓𝒛 𝒖𝒏𝒅 𝑺𝒄𝒉𝒓𝒆𝒄𝒌Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt