Verlangen

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Nervös strich ich mir das Haar zurück. Es war Freitag, schon weit nach sieben und ich wollte eigentlich nur noch nach Hause.
Stattdessen saß ich hier, im Büro von meinem Boss, und wartete, dass er endlich aufkreuzte. Wenn es nach mir gegangen wäre, dann wäre ich jetzt schon unterwegs zu meiner Wohnung und würde vermutlich jeden Moment Jeremy anrufen, um ihn zu fragen, ob er dieses Wochenende Zeit für ein Treffen hatte. Er hatte es mal wieder getan und mich wieder einmal betrogen, und nun war ich (neben meinen Freunden, die schon länger auf mich eingeredet hatten) endlich an dem Punkt, einen Schlussstrich zu ziehen, bevor dieses Spiel ewig so weiterging. Dann hatte ich wenigstens Zeit bis Montag, mich wieder ein bisschen zu sortieren. Gefühlsmäßig ließ es mich kalt, womit ich nicht gerechnet hatte - andererseits quälten mich die Zweifel und Gedanken schon seit Wochen und ich hatte scheinbar für mich schon mit ihm und unserer gemeinsamen Zukunft abgeschlossen. Ich hatte langsam akzeptiert, dass ich noch so gut aussehen konnte und eine noch so liebevolle Freundin sein konnte - er würde sich immer wieder eine andere holen, allein für die Abwechslung. Das Vertrauen zu ihm war endgültig dahin.
Die Glastür, die in das moderne Büro führte, wurde geöffnet. Sie befand sich hinter dem beigen Ledersessel, in dem ich saß, und ich sah mich um.
Geradewegs traf mein Blick die kühlen, blauen Augen meines Boss'. Sein Gesicht war regungslos, der große, definierte Körper bewegte sich elegant durch den Raum. Die oberen zwei Knöpfe seines weinroten Hemds waren geöffnet, und ich musste schmunzeln. Ebenso fiel mir auf, dass seine braunen Haare ganz anders als sonst etwas zerzaust waren und ein wenig feucht am Ansatz. Man konnte beinah meinen, er hätte sich mit einer Sekretärin in einen Nebenraum verzogen... Der Gedanke versetzte mir einen Stich.
"Entschuldige, Serena." sagte er und seufzte.
"Ich musste mich ein wenig frisch machen. Nach dem Gespräch vorhin mit dem COB... Ich sage dir, das ist nichts, was man zum Freitag noch braucht." Er fuhr sich gedankenverloren über seinen Drei-Tage-Bart und ließ bei mir ein Gefühl der Erleichterung zurück.
"Es ist okay. Ich kann allerdings nicht lange bleiben." beeilte ich mich zu sagen.
Eigentlich kam mir mein Plan mit Jeremy heute ganz gelegen. Denn, meinen Boss so zu sehen wie jetzt, war nicht gerade das, was ich jetzt brauchte. In den letzten Wochen war ich ihm, so gut es ging, aus dem Weg gegangen. Er war ziemlich attraktiv und wirkte nicht nur auf mich unheimlich anziehend - nicht ohne Grund stritten meine Kolleginnen häufig darum, wer ihm die Post bringen würde oder den Kaffee am Nachmittag. 
Ich hielt davon nichts. Wir waren nicht mehr in der High-School und ich wollte ihm nur ungern offenbaren, dass er so eine Wirkung auf mich hatte. Am Anfang, als ich hier zu arbeiten begonnen hatte, hatte er mich trotz seiner Attraktivität kalt gelassen. Langsam schien es mir, dass - mit der scheiternden Beziehung mit Jeremy - mein Interesse an ihm immer mehr zugenommen hatte. Aber ich schob diesen Gedanken schnell beiseite. Schließlich war er mein Boss, und allein von diesem Grundsatz her ging das gar nicht für mich. Ganz davon ab kursierte immer mal das Gerücht, dass er verheiratet war. Da Kyle selbst sein Privatleben hier nicht an die große Glocke hing, wusste aber keiner so recht, ob es wirklich stimmte.
Jetzt jedoch, wo wir - bis auf vielleicht ein, zwei Mitarbeiter und die Putzkolonne - die einzigen in der Firma waren, wurde mir doch ein wenig mulmig zumute. Es war, als wäre das ganze Zimmer von einer schweren, sinnlichen Aura umgeben, und mir wurde gefühlt immer wärmer.
"Du bist ein wenig abwesend, nicht wahr?" holte mich seine Stimme zurück in die Wirklichkeit. Er war gerade dabei, zwei Gläser auf dem Glastisch abzustellen, vor dem ich saß. Wann hatte er die denn geholt?! Ich musste wirklich wieder ganz schön abgedriftet sein.
"Oh, ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist!" beeilte ich mich zu sagen, als er eine Flasche Whiskey aus dem Schrank holte. Das war nun etwas, was ich bei ihm noch nie erlebt hatte. Alkohol am Arbeitsplatz? Das passte ja so gar nicht zu ihm. Seine blauen Augen sahen mich nachdenklich an.
"Es ist Freitag, Serena, und die Woche war für uns beide ziemlich stressig, nicht wahr?" 
Er schenkte beide Gläser etwa daumenbreit ein, ehe er sich mir gegenüber setzte, und ich seufzte. 
"Sollte er mir nicht schmecken, musst du ihn austrinken." warnte ich ihn, ehe wir uns zu prosteten und tranken. Es schmeckte überraschend gut, dennoch passte diese Szenerie überhaupt nicht für mich. Die hellen Tageslichtlampen hatte ich schon beim Betreten des Büros ausgeschaltet, nur zwei warmweiße Wandlampen erhellten den Raum, in dem ich mit diesem verdammt heißen Mann plötzlich Whiskey trank. 
Es war so surreal.
"Du wolltest noch etwas mit mir besprechen?" fragte er mich dann mit einem wachen Blick. Ich nickte und stellte das Glas beiseite.
"Ich wollte dich darum bitten, ein anderes Büro bekommen zu können." sagte ich langsam. Er hob die Brauen.
"Du hast mir noch vor ein paar Wochen erzählt, wie zufrieden du mit dem neuen Arbeitsplatz bist. Was hat sich geändert?"
Ich biss mir auf die Unterlippe. Was sich geändert hatte, war, dass Anna sich dieses Büro mit mir teilte. Und seit ich wusste, dass sie mir die ganze Zeit ins Gesicht gelächelt hätte, während sie an meinen langen Tagen zu Jeremy gefahren war, wollte ich mit dieser Frau keine Sekunde zu viel im selben Raum verbringen.
"Es ist viel weniger das Büro, als die Person, mit der ich es mir teile." gab ich zu.
"Du weißt, ich bin sehr teamfähig, aber mit Anna... das läuft einfach nicht. Ich arbeite effizienter ohne ihre Anwesenheit."
Er nickte.
"Ich werde mich darum kümmern, dass wir einen geeigneten Arbeitsplatz für dich finden. Ich muss nur selbst erstmal sehen, wie wir das regeln, denn im Moment sind alle Plätze belegt." 
Außer der von Justin, denn der wollte am Montag seine Kündigung einreichen. Aber das konnte mein Boss, Kyle, natürlich nicht wissen.

Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile. Als ich einen Blick auf die Uhr warf, stellte ich fest, dass es jetzt wirklich Zeit zu gehen war. Nicht zuletzt, weil mich seine Anwesenheit einfach unheimlich erregte. Man konnte es einfach nicht anders sagen, dieser Mann war in meinen Augen ein Adonis und seine Ausstrahlung machte es verdammt nochmal nicht besser!

"Danke, dass du wegen der Sache mit dem Büro schaust, was sich machen lässt. Und danke auch für den Drink." sagte ich, als ich mich erhob, um meine Jacke anzuziehen.
"Willst du wirklich schon gehen?" fragte er, und wieder trafen sich unsere Blicke.
"Ich habe heute noch ein paar Dinge zu erledigen."
"Ich mache dir einen Vorschlag. Lass' uns noch zehn Minuten reden, dann gehen wir gemeinsam nach unten. Einverstanden?"
Für einen Moment zögerte ich. Doch dann setzte ich mich wieder hin.

Just on FireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt