Die erste Nacht

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Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Mit eiligen Schritten lief ich durch den langen, schmalen Gang. Als die kleine, zierliche Gestalt von Ines mit einem Kerzenleuchter in der Hand auf einmal aus der Dunkelheit eines Seitengangs hervorschoss, schrak ich zusammen.
"Also, glaubt man's denn..." sagte sie leise, nachdem sie ebenfalls kurz gezuckt hatte.
"Was irrst du hier herum? Du müsstest doch beim Grafen sein...?" Ein wenig verwundert sah sie mich an.
Ich konnte praktisch spüren, wie mir der Schweiß auf die Stirn trat.
"Also, ich... ähm..."
"Hast du dich etwa vom Ball davongestohlen?" Ihre Augen wurden groß.
Mein Blick wich ihr aus und wanderte über die Gemälde an der Wand.
"Na ja, also... ja, ich wollte einfach ein wenig Ruhe."
SIe hob die Brauen und stemmte die linke Hand in die Hüfte.
"Du weißt aber, das heute ein besonderer Abend ist? Ihm wird sicher schnell auffallen, dass du nicht da bist, und... ach, Kind, sieh zu, dass du wieder in den Schlosssaal gehst."
"Natürlich, aber der ganze Tag war ziemlich kräftezehrend. Ich wollte jetzt einfach einen Augenblick nur für mich."
Für einen Moment schwiegen wir beide. Ich fummelte nervös an dem glänzenden Stoff des Kleids herum.
"Liegt es etwa an dem, was dich heute noch erwartet?"
Auch wenn ich eben nicht gelogen hatte, als es um den stressigen Tag ging - mein Gesicht wurde sofort kochend heiß. Ines hatte ins Schwarze getroffen.
"Auch das macht mich nervös, ja." seufzte ich und sehnte mir meinen Fächer herbei. Ines grinste leicht.
"Ich bin nur ein wenig älter als du, Nastia. Mir ging es vor gar nicht allzu langer Zeit genauso wie dir. Aber fürchte dich nicht. Du hast Glück mit dem Grafen, denn er ist ein edler und fürsorglicher Mann. Er wird dir nicht weh tun." Sie lächelte mich aufmunternd an, doch dann gefror ihr der Gesichtsausdruck, als sich hinter uns Schritte näherten.
Es war nur Gordon, die rechte Hand meines frisch angetrauten Gemahls.
"Was macht Ihr denn hier draußen?" wollte er wissen.
"Darf sich eine Frau nicht auch zwischendurch einmal frisch machen für ihren Gemahl?" knurrte ich und begegnete seinem skeptischen Blick mit einem wütenden Funkeln.
"Auch gut." murmelte er und schüttelte leicht mit dem Kopf, ehe er in sein Zimmer abbog.
"Geh' nun zurück in den Schlosssaal. Los, mach' schon!" trieb mich Ines an. Ich grinste unbeholfen und tat, wie mir geheißen.
Der Graf war ein edler Mann, mit Sicherheit. Aber er war auch gefürchtet unter denen, die sich seine Feinde nannten. Ich hatte keine Ahnung, was genau mich erwarten würde, und das war so angsteinflößend.
Wenn er nicht in der Nähe war, konnten wir offen miteinander sprechen. Aber so, wie sie es tat, durfte Ines eigentlich nicht mit mir reden. Der Graf legt großen Wert darauf, dass wir von den Mägden mit Respekt und Demut behandelt werden.
Und trotz seiner Eigenheiten und der Tatsache, dass er manchmal recht streng war, hatte Ines wohl recht. Ich hatte noch Glück mit ihm, denn ich kannte auch ganz andere Geschichten.
Anders als bei Freundinnen von mir hatte er mich jedoch vom ersten Moment an mit Respekt und Höflichkeit behandelt und mir schnell klargemacht, dass wir prima miteinander auskommen, wenn ich ehrlich zu ihm bin und mich an ein paar einfache Regeln halte.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich die Flügeltür zum Schlosssaal erreichte. Zwei Wachen waren davor abgestellt, und sie musterten mich regungslos, ehe sie mir die Tür öffneten. Ich hob mein langes, dunkles Kleid ein Stück an, um über die Stufe treten zu können. Der Lärm aus dem Schlosssaal schlug mir entgegen, ebenso der Geruch nach Essen und nach schwitzenden Leibern. Die Gäste tanzten ausgelassen, und mir war, als würde mich nicht einer wahrnehmen.
Zumindest solange, bis unsere Blicke sich trafen, als ich auf meinen Gemahl zuging.
Er war sehr groß, stark und hatte kurzes, dunkles Haar. Die blauen, strahlenden Augen ließen nicht immer durchblicken, was er gerade dachte oder wie es ihm ging, aber sie konnten auch unheimlich herzlich dreinschauen. Sein Kiefer war sehr markant, was mir besonders gut gefiel. Er strich sich über den kurzen, dunklen Bart, als ich ihn fast erreicht hatte.
"Geht es Euch gut?" fragte er freundlich, als ich neben ihm Platz nahm. Ich nickte scheu. So, wie er sich verhielt, vergaß ich manchmal fast, dass wir uns erst wenige Tage kannten.
"Danke, ja."
Er wandte seinen Blick nicht ab von mir, während er meine Hand griff und sanft über sie streichelte.
"Ich dachte schon, Ihr hättet es Euch anders überlegt." Er schmunzelte, und leichte Grübchen bildeten sich in seinen Wangen.
"Dann hätte ich wohl heute früh schon davonlaufen müssen, nicht wahr?" gab ich zurück und lächelte zaghaft. Er nickte mir zu.
"Mein Glück, dass Ihr es nicht tatet."

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