Die kleine Wohnung am Stadtrand

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"....du hast keine Ahnung auf was du dich einlässt Rafael! Du bist nicht gut genug für meine Tochter! Das arme Mädchen wird bei dir keine gute Zukunft haben! Sie darf nicht zu dir! Er ist ein krimineller Verbrecher und wird sich nicht um einen Teenager kümmern können! Warum versteht das keiner?!"

Rafael legte seiner Tochter beruhigend eine Hand auf die Schulter, während beide in Begleitung des Rechtsanwalts den Gerichtssaal verließen. Die wütenden Anschuldigungen von der Mutter des Mädchens hallten an den hohen Wänden des Gerichtssaals nieder und ließen die aufgebrachte Frau noch eine Spur zynischer und irrationaler wirken. Schon während der Verhandlung hatte sie den gegnerischen Anwalt immer wieder unterbrochen und betont, dass ihr Mädchen bei einem solche Mann wie Rafael keine Chancen auf eine gute Zukunft haben könnte. Mit dem Punkt dass Rafael eine geheime Vergangenheit als Krimineller gehabt hatte, hatte die Frau voll ins Schwarze getroffen - doch darüber wusste niemand etwas. Rafael hatte diesen Teil seiner Vergangenheit in eine Kiste gelegt und diese Kiste fest verschlossen. Damals war er noch unter einem anderen Namen bekannt und hatte einem Meisterdieb dabei geholfen, einige spektakuläre Diebstähle in Europa zu planen und erfolgreich durchzuführen, ohne erwischt zu werden.

Und dann war der Moment gekommen, wo einer dieser Diebstähle drohte schief zu gehen. Er hatte seinem Boss eigentlich die frohe Botschaft verkünden wollen, dass er mit seiner (jetzigen Exfreundin) ein Baby bekommen wird und sich mit dem Geld aus dem Diebstahl ein kleines Haus in Amsterdam kaufen wollte. Doch dazu hatte Rafael nie die Gelegenheit bekommen. Die Polizei war hinter ihnen her gewesen und sein Boss hatte ihn 'zu seinem eigenen Schutz' bewusstlos geschlagen und wie ein lästig gewordenes Haustier an einem Waldgebiet auf dem Land entsorgt. Ohne Erklärung, ohne Verabschiedung - nur mit einem Notizzettel mit den Worten 'Gehe nach Norden und frage bei der alten Wassermühle nach Olga' - es war verdammt kompliziert gewesen und nachdem
wieder in der Zivilisation angekommen war, hatte das Drama um seine damalige Freundin und das Baby begonnen. Daraus entstanden war ein Rechtsstreit der sich über Jahre hinweg zog - und nun - heute - hatte Rafael endlich dass vollständige Sorgerecht für seine 15. Jährige Tochter bekommen.

"Ich habe dir einen Jahrespass für den Park besorgt, damit du nach der Schule vorbei kommen kannst, wenn du magst", sprach Rafael liebevoll und die wütenden Wörter der Mutter des Mädchens hörten endlich auf als sich die Türen zum Gerichtssaal hinter dem Trio schlossen. Der Rechtsanwalt sprach auch noch einige aufmunternde Worte und verabschiedete sich anschließend beim Ausgang. Zurück blieben Vater und Tochter. Das Mädchen blickte Rafael an und ihrem Blick lag so viel Angst, Müdigkeit und Unsicherheit - die Jahre und die Manipulation durch ihre Mutter waren auch an dem Mädchen nicht spurlos vorbei gegangen.

"Ich hab dich lieb Dad....und bin froh bei dir sein zu dürfen", hauchte das Mädchen und zog Rafael in eine unerwartete Umarmung. Die Last der Jahrelangen Verhandlungen fiel den beiden endlich von den Schultern und nun würde ein neues besseres Leben für Vater und Tochter beginnen.
"Aber ich warne dich vor - meine Wohnung ist etwas chaotisch. Die Handwerker haben einige neue Fließen verlegt und die alte Miss Fitzpatrick aus dem vierten Stock hat schon angekündigt, uns ein paar selbstgebackene Kekse vorbei bringen zu wollen", fügte Rafael noch hinzu und hörte das Mädchen leise lachen, ehe sie sich aus der Umarmung löste.

"Gehen wir nach Hause. Jetzt wird alles besser Carolina"

Und Rafael sollte Recht behalten. Vater und Tochter hatten die kommenden Wochen Zeit sich an die neuen Umstände zu gewöhnen, an den neuen Alltag und an die Baustellen die Carolinas Mutter an dem Teenager hinterlassen hatte. Das Mädchen war sehr introvertiert und suchte, wenn Rafael mal fluchte oder lauter wurde, direkt eine Versteckmöglichkeit, fast wie ein verschrecktes Tier. Es gab in den ersten Wochen des Zusammenlebens viele Tränen, Wutanfälle, Missverständnisse - aber auch Umarmungen, Versprechen und Gespräche bei heißem Schokoladenpudding mit Marshmallows & Schokostreuseln. Carolina ging auf die internationale Schule in Kopenhagen, da sie mit ihrer Mutter die letzten Jahre in Brighton gelebt hatte und mit Englisch aufgewachsen war. Die Schule lag nur 15 Minuten Fußweg von der Wohnung entfernt und seiner Tochter schien es dort gut zu gefallen - je mehr Zeit verging, desto mehr konnte sie sich erholen und aus ihrem Schneckenhaus heraus finden.

Die beiden wurden ein gutes eingespieltes Team und die kleine Wohnung füllte sich mit Leben. Rafael ging seinem Job als Tontechniker im Freizeitpark nach und verdiente damit den Lebensunterhalt für Carolina und sich. Von der Tatsache, dass er dank seines Vaters nie wieder arbeiten gehen müsste und wie eine gewisse Cartoon Ente in Geld schwamm, hatte er weder seinen Arbeitskollegen, noch seiner Tochter etwas erzählt. Es war ein Kapitel in Rafaels Leben, dass er für abgeschlossen hielt. Er war glücklich mit seinem jetzigen Leben, mit seiner Arbeit und dem neu gewonnenen Vertrauen und der Beziehung zu seiner Tochter. Und das bald anstehende Herbstfestival im Tivoli Freizeitpark & den Tivoli Gardens war eine wundervolle Veranstaltung, die er hoffte gemeinsam mit dem Teenager verbringen zu können.

***

"Daddy? Bist du wach?"

Grummelnd und müde öffnete Rafael die Augen, seine Hand suchte auf dem kleinen Tisch neben seinem Bett nach seiner Brille und als er sie gefunden hatte, erkannte er wie Carolina neben seinem Bett stand und unsicher mit dem Ärmel ihres Pyjamas spielte. Die etwas altersschwache Deckenlampe flackerte mal mehr, mal weniger gut funktionierend und draußen war ein Gewitter entstanden und ein heller Blitz erhellte das Schlafzimmer und auf Carolinas Gesicht konnte Tränen erkennen. Was war passiert? Normalerweise hatte das Mädchen keine Angst vor Gewitter, Rafael hatte sie letzte mal erwischt, wie sie fasziniert auf dem kleinen Balkon gestanden und dem Wetterschauspiel fasziniert ihre Aufmerksamkeit geschenkt hatte.
"Was ist passiert Mi cielito? Kannst du wegen dem Gewitter nicht weiter schlafen?", Rafael setzte sich müde in seinem Bett auf und seine Locken wirkten noch unordentlicher als generell, aber er wollte seine Tochter nicht traurig oder verängstigt sehen.
"Ich hatte einen Albtraum...über Mama und Oma....sie....sie wollten mich dir weg nehmen und zurück nach Brighton holen....Daddy, ich hatte solche Angst...ich will nicht fort von dir....ich....ich habe....", Carolinas Blick glitt auf den Boden und sie brach ihren Satz ab. Ein Blick auf ihre Pyjama Hose verriet Rafael was sie hatte sagen wollen und der ehemalige Dieb kletterte umständlich aus dem Bett und zog sie in eine beruhigende Umarmung.
"Alles ist in Ordnung Mi cielito. Niemand wird dich mir wegnehmen und das andere Problem lösen wir ganz schnell okay? Nicht weinen mein Liebling, ich werde nicht zulassen, dass dir etwas passiert", murmelte Rafael beruhigend und fuhr mit seiner Hand über den Haarschopf des Mädchens. Unfälle passieren und das war aus Angst und Panik über den Albtraum. Carolina hatte ihm bereits erzählt, wie groß ihre Angst davor war, dass ihre britische Mutter und ihre britische Großmutter hier auftauchen könnten und das Mädchen mit nach Brighton nehmen wollen. Rafael hatte sich mit seiner Schwiegermutter nie gut verstanden und zu seiner eigenen Mutter hatte er seit den damaligen Raubüberfällen mit seinem Vater ein....eher angespanntes Verhältnis. Rafaels Mutter wollte nichts von ihrem Enkelkind wissen und die andere Großmutter war genauso unerträglich wie Carolinas Mutter. Doch Rafael meinte sein Versprechen ernst, er würde nicht zulassen das dem Mädchen etwas passiert.

"Lia? Ich habe das alleine Sorgerecht für dich und dagegen kann deine Mutter nichts tun, wir beide werden morgen früh aufwachen, uns ein leckeres Frühstück machen und am Nachmittag genießen wir das Herbstfestival in Tivoli Gardens zusammen ja? Unser Leben wird durch nichts erschüttert werden oder sich verändern", versprach Rafael dem schluchzenden Mädchen und das Weinen hörte langsam auf. Nach einer Weile löste die Blondine sich von ihrem Vater, schniefte einmal und Dankbarkeit, sowie Vertrauen spiegelten sich in ihren Augen wieder.
"Na komm, kümmern wir uns um das andere Probleme und gehen dann wieder schlafen ja? Du musst morgen früh in die Schule gehen und ich muss zur Arbeit", - und so legte Rafael seiner Tochter eine Hand auf die Schulter und führte sie anschließend zurück ins Schlafzimmer.
Dass er am liebsten weiter geschlafen hätte, nachdem sie ihn mitten in der Nacht geweckt hatte, sprach Rafael nicht an. Dieses Mädchen hatte so viel durchgemacht und er wollte ihr den sicheren Hafen bieten, den er in ihrem Alter nie gehabt hatte. Natürlich da war sein Vater gewesen....aber selbst der war vor Rafaels kleiner Kariere als Dieb, ein eher seltenen gesehener Gast in seinem zu Hause nachdem beide die Scheidung eingereicht haben. Vielleicht würden Rafael noch einige Stunden schlaf gegönnt sein, bevor er seine Arbeit im Tivoli Park beginnen würde.

                                                                                               ***

"Verdammte Leitung! Echt jetzt Chef, wie kommt es dass du einen Knopf drückst und deine magische Tontechniker Fähigkeiten scheinen die Anlange zufrieden zu stellen - wir sind echt froh dich als Abteilungsleiter für die Tontechnik zu haben"

Das Schulterklopfen seines Arbeitskollegen entlockte Rafael ein kurzes Lächeln, ehe er sie verabschiedete und den Weg vom Hauptteil des Parks, hinüber zu den Tivoli Gardens wählte. Sein Arbeitstag war lang gewesen und das Herbstfestival hatte viele Besucher in den Freizeitpark gelockt, es gab die Maskottchen des Parks in einer herbstlichen Kostümierung und lokales dänisches Essen an verschiedenen Ständen zu kaufen. Die Dekoration war ebenfalls in herbstlichen Tönen gehalten und die Sonne schien wärmend vom Himmel. Es war ein schöner Nachmittag.

Er war stolz und froh eine so tolle leitende Position zu haben und sein Wissen über die komplizierten Gebiete der Tontechnik weiter zu geben. Rafael ging auf dem Weg zu den Tivoli Gardens an seinem Spind vorbei und holte seine großen runden Kopfhörer heraus, hing sie sich um die Schultern und schlüpfte in seine Freizeitschuhe. Rafael nahm noch eine Kappe aus dem Schließfach, setzte sie auf und holte den Rucksack heraus, in welchem sich neben einem kleinen Picknick auch seine Haustürschlüssel befanden. Dann setzte der Tontechniker seinen Weg fort und ging zum vereinbarten Treffpunkt, den er mit Carolina ausgemacht hatte.

Nahe des Riesenrads an einer Parkanlage mit Sitzgelegenheiten blieb Rafael stehen und wartete. Bestimmt war die 15. Jährige bereits im Park und auf dem Weg hier her. Er hatte ihr eine Jahreskarte gekauft, denn Carolina liebte es durch die großzügige Parkanlage zu gehen oder in die weniger extremen Karussells zu gehen und eine Runde damit zu fahren, wenn die Schule vorbei war.

"Du fühlst dich machtvoll nicht wahr Hijo?"

Überrascht und ungläubig blickte Rafael auf als er diese nur allzu bekannte Stimme hörte. Das konnte nicht sein oder? Der Erwachsene traute seinen Augen nicht zweifelte an der Wirkkraft seiner Brille - aber da stand wenige Meter entfernt von ihm sein Vater. Gekleidet in einem schicken Anzug und mit einem edlen Hut auf dem Kopf, strahlte er ihn an und öffnete die Arme für eine Umarmung. Rafael konnte nicht anders als sich zu freuen und die Umarmung grinsend zu erwidernd. All der Schmerz und die Wut über die damaligen getrennten Wege und das 'Aussetzen in der Wildnis ' waren auf einmal vergessen. Sein Vater stand tatsächlich vor ihm. Andrés de Fonollosa stand tatsächlich vor ihm - das erste mal seit knapp 15. Jahren sah Rafael seinen Vater wieder. Was für eine große Überraschung.

"Papá.....was machst du hier?", Rafael fand seine Sprache wieder, nachdem beide sich aus der Umarmung gelöst hatten und sein Vater grinste ihn immer noch an. Irgendwie wirkte der Meisterdieb in seinem Anzug fehlplatziert in den Tivoli Gardens.
"Ich war rein zufällig in der Gegend und habe gehört, dass der Tivoli Freizeitpark einen neuen begabten Abteilungsleiter in der Tontechnik. Das konntest nur du sein und wenn Kopenhagen für eine Sache bekannt ist, dann für den Tivoli Freizeitpark", erwiderte der Meisterdieb in einem Tonfall, der alle Erklärungen für seine Ankunft und Anwesenheit rechtfertigten. Rafael hatte viele Fragen, er hatte verfolgt wie sein Vater nach dem letzten gemeinsamen Diebstahl , größere Dinge gedreht hatte und irgendwann untergetaucht war. Die Polizei konnte ihn nicht finden und das war vielleicht auch besser so.

Aus den Augenwinkel erkannte Rafael auf einmal wie Carolina mit zwei Eiswaffeln in der Hand auf den Treffpunkt zuging, ihr folgte ein kleines freches Eichhörnchen, dass immer wieder deutlich machte, wie gerne es etwas zu essen haben wollte, doch die Blondhaarige Brillenträgerin war voll und ganz darauf fixiert, sich auf den Weg zu konzentrieren und das Gleichgewicht zu halten. Kurz vor dem Ziel jedoch lief das Eichhörnchen so plötzlich vor ihre Füße und kletterte an Carolinas rechtem Bein hoch, dass der Teenager ins Straucheln geriet, über ihre eigenen Füße stolperte und hinfiel. Das Eichhörnchen lief mit einem Teil der zerbrochenen Eiswaffeln davon und schien sich darüber zu freuen nun einen Snack ergattert zu haben.

"Alles okay - das war ein wirklich cleveres Eichhörnchen, aber ich glaube die andere Eiswaffel ist nicht mehr essbar", rief Carolina ihrem Vater zu, rappelte sich wieder auf und blickte zu der zweiten zerbrochenen Eiswaffel, die nun von kleinen Steinen und Dreck bedeckt war. Das Mädchen lief anschließend auf ihren Vater zu und bemerkte erst wenige Momente später den fremden Mann im Anzug
und dem Mädchen kam direkt ein Gedanke. Der Mann war ganz bestimmt ein Anwalt von ihrer Mutter und Großmutter und er wollte mit ihrem Vater verhandeln oder ihm Angst machen.
"Komm wir gehen wo anders hin ja? Dann kann dir der gemeine Anwalt keine Angst mehr machen", sprach Carolina und wollte Rafael an der Hand fort von dem Mann im Anzug zerren. Mit wenig Erfolg.
"Das ist nicht notwendig, der Mann ist....", Rafael wollte dem Teenager versichern, dass es sich bei der fremden Person nicht um einen Anwalt handelte der ihn bedrohte, doch seine Tochter unterbrach ihn.
"...gemein und du musst auch gar nicht mit ihm reden. Bestimmt haben ihn Mom und Großmutter geschickt. Lass uns wo anders ein Picknick haben ja? Weit weg von dem Anwalt?", widerholte Carolina ihre Frage und dieses mal reagierte der 'große böse Anwalt' mit einem amüsierten, leicht abfälligen Lachen.
"Keine Zehn Pferde hätten mich zu einem Jura-Studium bewegt. Wer ist die kleine Rafael?", sprach der Mann im Anzug und Carolina ließ die Hand ihres Vaters verwirrt los. Woher kannte der fremde Mann den Vornamen ihres Vaters? Das war eigenartig und seltsam.

"Der Mann ist kein Anwalt, du brauchst keine Angst zu haben. Und das ist Carolina....", brachte Rafael hervor und nun bekam er zwei fragenden Blicke von Vater und Tochter.
"Carolina, der Mann ist mein Vater und dein Großvater", fügte Rafael noch hinzu und sorgte somit zumindest bei Carolina für Sprachlosigkeit. Andrés schien es für einen Scherz zu halten, ein Versuch seines Sohnes sich im Sarkasmus zu üben.
"An deinen Witzen solltest du arbeiten, sehe ich für dich wie jemand aus, der bereits Großvater sein könnte?", witzelte Andrés nun und Rafael konnte es ihm nicht übel nehmen, er hatte nie die Möglichkeit gehabt seinem Vater von der Existenz seiner Enkelin zu erzählen.
"Vielleicht ist er ein Undercover Anwalt? Daddy - was hast du fürs Picknick mitgebracht?", flüsterte Carolina nun und das Mädchen war mit Essen generell schnell ablenkbar und zufrieden zu stellen.
"Lia, ich habe keine Witze gemacht, und Papá mein Sarkasmus funktioniert bestens. Wie wäre es, wenn wir das Gespräch in meiner Wohnung fortsetzen und dort das Picknick machen? Dann können auch keine frechen Eichhörnchen versuchen dich zum Stolpern zu animieren Mi cielito?", schlug Rafael nun vor und legte Carolina eine Hand auf die Schulter. Das Mädchen musterte den fremden Mann unsicher und ängstlich durch die Gläser ihrer Brillen, die grünen Augen des Teenagers blitzen unsicher auf, ehe sie wieder zu Rafael blickte. Und schließlich nickte Carolina zaghaft.
"Können wir vorher bei der Achterbahn 'The Mine' vorbei. Dieses Mal traue ich mich auch rein - alleine", bat Carolina und während das Trio sich auf den Weg zum Ausgang machte, spürte Rafael die Seitenblicke seines Vaters auf sich. Und Rafael war nicht in der Lage einzuschätzen, ob Andrés de Fonollosa amüsiert oder wütend über diese Überraschung war.


                                                                                                  ***


Wenig später saßen die drei im kleinen Wohnzimmer, Carolina hatte eine Picknickdecke auf dem Boden ausgebreitet und in der Küche ratterte eine Kaffeemaschine vor sich. Die Situation war seltsam und die junge Brillenträgerin fühlte sich auf der einen Seite nicht wohl diesen fremden Erwachsenen in ihrem kleinen sicheren Hafen zu haben - auf der anderen Seite war sie vielleicht ein kleines bisschen neugierig ob der Mann im Anzug wirklich ihr Abuelo sein könnte.
"Oh wir haben für das Picknick gar keine Kekse Daddy. Ich glaube Miss Fitzpatrick hat noch welche für uns gebacken gestern, sie aber nicht her gebracht. Ich schaue mal nach ob sie zu Hause ist", - und so sprang sie auf die Füße und lief aus der Wohnung, vermutlich um der Situation und der Stimmung im Wohnzimmer zu entgehen.

"Das ist wirklich eine Überraschung, und dabei wollte ich dich eigentlich überraschen Rafael. Aber das kann warten. Auch wenn Martin mich dafür umbringen wird, dass ich überhaupt den Weg nach Kopenhagen auf mich genommen habe. Er hält dich für eine Feigling der sich in ein Loch verkrochen hat nachdem es brenzlig wurde", schmunzelte Andrés und der Name Martin sagte Rafael noch grob etwas. Bevor es bergab ging hatte sein Vater den Mann öfters erwähnt, kennengelernt hatte Rafael diesen Martin aber nie.
"Also glaubst du mir? Oder willst du ihre Geburtsurkunde oder das gerichtliche Urteil sehen?", forschte Rafael skeptisch nach, er wusste wie viel wert sein Vater auf eine Belegung der Wahrheit legte, vor allem wenn es um Familienzuwachs ging. Oder die plötzliche Tatsache, dass er Großvater ist. Seit 15. Jahren. So etwas ist für niemanden leicht zu glauben oder zu realisieren.

"Das würde die Sache etwas glaubhafter machen. Sie erinnert mich an dich in deiner Jugend. Du warst ähnlich, verschüchtert und ängstlich - aber voller Intelligenz. Verstehe mein Misstrauen, aber einige meiner Exfrauen haben das gleiche versucht und ich möchte nur sicher gehen" - lautete die Antwort des Meisterdiebs. Natürlich wollte er das und während Carolinas Abwesenheit holte Rafael die notwendigen Papiere und sein Vater konnte sich selbst überzeugen, dass er die Wahrheit sagte. Dann erklärte Rafael seinem Vater auch noch, dass er sich nie gemeldet hatte oder versuchte hatte Kontakt aufzunehmen, weil er das Drama um Carolinas Mutter und deren Mutter regeln musste und dem kriminellen Weg den Rücken kehren und ein neues Leben anfangen wollte. Und
Andrés verstand die Gründe, machte Rafael keinen Vorwürfe und schenkte sich fünf Minuten später eine Tasse Kaffee in der Küche ein.

"Das ist eine interessante Überraschung, aber wirklich Rafael - ich fühlte mich noch nie so lebendig - der Gedanken auf einmal Großvater einer 15. Jährigen Teenagerin zu sein, hätte jeden überrumpelt. Aber daraus ergibt sich eine neue Möglichkeit. Weist du...ich glaube ich bleibe einige Tage in Kopenhagen. Dann können wir meine 'Überraschung' besprechen...nah es ist eher ein Vorschlag für....nennen wir es...eine Idee wie vor vielen Jahren", sagte Andrés in einem mysteriösen Tonfall und nahm anschließend einen Schluck von seinem Kaffee. Bevor Rafael etwas erwidern konnte, hörte man die Wohnungstür ins Schloss fallen und Carolina erschien mit einem Teller voller Kekse und anderen leckeren dänischen Gebäckstücken in der Küche.

"Wenn....Sie möchte, sollten Sie die Vaniljekranse....?" - scheu hielt Carolina dem anderen Erwachsen den Teller mit Keksen hin und mied Blickkontakt. Sie war Fremden Personen gegenüber unheimlich schüchtern und brauchte eine Weile um aufzutauen. Ein großer Teil der Schuld lag bei ihrer Mutter und Großmutter und Rafael drängte das Mädchen nicht in eine Richtung die sie nicht gehen wollte....bei seinem eigenen Vater war er jedoch gerade jetzt unsicher, ob der ältere Erwachsene nicht vielleicht grob oder unsensibel reagieren würde. Doch der Meisterdieb überraschte Rafael.

"Oh die berühmten Vaniljekranse - selbst in Italien schwärmt man davon. Und wie wäre es für den Anfang, wenn du mich Andrés nennst Carolina? Über das Abuelo können wir noch streiten hm?"

Und so sollte Andrés sich noch am gleichen Abend ein Hotelzimmer in der Stadtmitte nehmen, denn er hatte nach dem wesentlich entspannteren Picknick im Wohnzimmer auf einer riesigen flauschigen Decke erfahren, dass die kleine Wohnung am Stadtrand leider kein Gästezimmer besaß - Rafael und Carolina sich aber freuen würden die kommenden Tage mit ihm zu verbringen und ihn etwas besser kennenlernen zu dürfen.




                                                                                                                                          ENDE

Die kleine Wohnung am StadtrandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt