Atmen

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***TAGE SEIT SIMONS TOD***

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Während dieser Zeit war Wilhelm immer wieder zu der Bank bei Marieberg gegangen, immer noch erwartend, dass Simon schlussendlich in seinem Sichtfeld erscheinen würde. Es spielte keine Rolle, dass er seltsame Blicke von Passanten erntete, oder, dass seine Bodyguards angefangen hatten, seine Handlungen mit ziemlicher Besorgnis zu betrachten.

Die Hoffnung— es war alles, was ihm blieb. Er klammerte sich so fest daran, dass er beinahe in einer separaten Welt von allen anderen lebte. Es war diese Hoffnung, die ihn dazu brachte, morgens aus dem Bett zu kommen, und es war diese Hoffnung, die ihn an seinen Verstand gebunden hielt.

Doch, so wie alles andere in seinem Leben, hielt dies nicht lange an.

Die Illusion wurde an einem Freitagnachmittag zerschmettert.





Der Unterricht fand wieder statt und Schüler begafften Wilhelm von überall, wo er hinging. Er sah strikt geradeaus, Kiefer zusammengebissen, sich nur darauf fokussierend, einen Fuß nach den anderen zu setzen. Er ging durch den Tag wie eine gutgeölte Maschine. Er nahm an Vorträgen teil. Er spielte mit seinem Essen in der Mittagspause. Er setzte sich zu Felice und den anderen in seinen Workies.

Er sagte nicht ein einziges Wort, nicht einmal, als August seinen Arm drückte, als sie gegeneinanderstießen. Die Lehrer versuchten ihn vom Unterricht zu entschuldigen, doch Wilhelm starrte sie an, bis sie keine andere Wahl hatten, als sich zurückzuziehen und ihn einfach machen zu lassen.

An diesem Nachmittag brachten seine Beine ihn zu dem Musikraum. Er wusste nicht, wieso— Vielleicht war es das dumpfe Geräusch des Pianos, das ihn angezogen hatte, oder vielleicht war es sein Gedächtnis, das ihm unbewusst etwas sagte— doch er ging dorthin.

Er stoppte, als er das Andenken sah.

Tagelang hatte er versucht, alles zu vermeiden, was ihn daran erinnern würde, dass Simon tatsächlich fort war. Er hatte eine schützende Blase für sich selbst kreiert und es hatte funktioniert. Doch nun, konfrontiert mit der physischen Manifestation seines Kummers, konnte er es nicht mehr ignorieren.

Blumen lagen von der Tür des Musikraums bis zum Ende des Flurs verbreitet. Ein Tisch, der von einem weißen Tuch bedeckt war, war gegen die Wand geschoben worden, direkt in der Mitte. Anders, als er erwartet hatte, befand sich darauf nicht nur eins, sondern gleich drei Fotos von Simon.

Das größte von ihnen zeigte Simon in seiner Hillerska-Uniform. Es musste irgendein offizielles Foto des Chors gewesen sein, da er direkt in die Kamera sah und breit lächelte. Links daneben befand sich er in seinem Schlafzimmer, ein Stück Pizza in einer Hand und die Spielkonsole in der anderen. Das letzte war in ihrem Winterurlaub geschossen worden— dies wusste er, da Simon Schnee in seinem Haar hatte.

Wilhelm nahm einen tiefen Atemzug.

Sein Blick wanderte von den angezündeten Kerzen zu den zufälligen Geschenken, die ihm hinterlassen wurden: Ein paar Musikblätter, ein Hillerska-Pullover, ein Haufen von Origami, ein Sportmedaillon. Er sah hinauf und sah hunderte von Nachrichten, die auf verschiedenen violetten Briefpapieren geschrieben wurden und an der Wand klebten. Er überflog die Zeilen, Hand leicht die Worte nachfahrend.

Ich hoffe, du bist jetzt glücklich.

Du bist so mutig.

Ich erinnere mich an dich vom Chor und ich dachte immer, dass du eine nette Stimme hast.

Wir vermissen dich alle!

Ich weiß, dass wir uns nicht wirklich nahestanden, aber...

Wilhelm nahm einen weiteren tiefen Atemzug. Schloss die Augen.


right where you left me. -young royals (GERMAN VERSION)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt