I'M NOT A GIRL, I'M NOT A BOY

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Vor einem Jahr...

Non-binary prangt in großen Buchstaben auf dem Bildschirm vor mir hervor. Meine Finger zittern, als ich mit der Maus das Wort markiere und in einem neuen Tab in die Suchleiste eingebe. Ich kenne es nicht, aber irgendwie hat es schon jetzt eine große Bedeutung für mich. Ich drücke die Enter-Taste und tausende Suchergebnisse fliegen auf mich zu. Einige Artikel, Videos und Geschichten. Ich entscheide mich für eine Website und lese den Text, der dort geschrieben ist. 

Als nicht-binär (oder non-binary) werden Menschen bezeichnet, die sich nicht (immer/nur/komplett) als männlich oder weiblich identifizieren. Non-binary ist ein soziales Geschlecht, beschreibt also nicht körperliche Eigenschaften. Eine nicht-binäre Person kann einen weiblichen, männlichen oder inter*-Körper haben, so wie alle anderen Personen. Manche nicht-binären Personen entscheiden sich dazu, einen neuen Namen zu benutzen und ihre Pronomen zu ändern, andere nicht. Alles ist total okay und du darfst selbst entscheiden, was du machen möchtest.

Ich spüre, wie sich Tränen in meinen Augen bilden. Ich klicke auf zurück und lese mir eine Geschichte einer nicht-binären Person durch. 

Ich bin anders. Das wusste ich schon immer. Irgendwie habe ich es aber erst jetzt richtig gemerkt. Ich war nicht wie die anderen Mädchen in der Schule, aber zu den Jungs habe ich auch nie gepasst. Ich habe krampfhaft versucht, diese Emotionen zu unterdrücken, schließlich gab es nur zwei Geschlechter, so wurde es mir immer beigebracht. Es war nicht, als wüsste ich nicht, dass non-binary existiert, aber ich habe mich nie komplett damit identifizieren können. Ich habe besonders in meiner Pubertät versucht, ein Mädchen zu sein. Habe angefangen, mich zu schminken und die Sachen zu tragen und zu machen, die alle anderen Mädchen in meinem Alter tun. Aber jedes Mal habe ich mich wie verkleidet gefühlt. Als wäre meine eigentliche Identität in diesem äußeren Erscheinungsbild gefangen. Ich war einfach nicht dieses perfekte Mädchen. Ich war gar kein Mädchen. Irgendwann dachte ich dann "Okay, wenn ich kein Mädchen bin, dann bin ich eben ein Junge". Ich habe angefangen, mehr Jungensachen zu tragen und diese typischen "Jungensachen" zu machen (Fußball spielen und sowas) und ich fühlte mich wohler. Wohler als als Mädchen. Aber das war immer noch nicht ich. Ich passte einfach nicht in diese zwei Kategorien, in die man mich jedoch immer einzuteilen versuchte. Es war doch verrückt. Man teilte Menschen in Kategorien ein, die durch einen einzigen Teil am Körper entschieden wurden. Was zwischen meinen Beinen war, war doch genauso (un)wichtig, wie alles andere an meinem Körper. Ob man mich jetzt fragt, was zwischen meinen Beinen ist oder wie groß meine Nase ist, war doch beides nicht wichtig und konnte nicht über mein Geschlecht entscheiden, es waren doch nur Körperteile! Ich hasse dieses Prinzip, von dem doch unser ganzes Leben abhängt. Gehe ich auf die Mädchen- oder Jungentoilette? Zog ich mich für den Sportunterricht bei den Mädchen oder Jungs um? Wollte ich in der Klasse zu den wilden, fußballspielenden Jungs gehören oder zu den süßen, gestylten Mädchen? Aber ich wollte nie eine Sache von beidem. Ich wollte immer beides oder keins. Ich dachte immer, das würde nicht gehen. Aber jetzt weiß ich, dass es geht. Jetzt weiß ich endlich, was ich bin. NONBINARY. 

Ich nehme einen tiefen Atemzug. Beim Lesen haben sich immer mehr Tränen den Weg über meine Wange gesucht. Mein halbes Gesicht ist inzwischen nass. Ich schnappe mir ein Taschentuch und wische die Tränen aus meinem Gesicht. Ja, denke ich. Jetzt wusste ich, was ich war. NONBINARY.  I'M NOT A GIRL, I'M NOT A BOY. 

I'm not the girl you think I am (DEUTSCH)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt