2. Dezember - he

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Sonntag

Als Florian aufwachte war er zuerst verwirrt. Sein Wecker klingelte. Dabei war doch Sonntag. Verärgert schaltete er im Halbschlaf das Klingeln ab und drehte sich auf die andere Seite, um weiterzuschlafen. "Musst du nicht aufstehen?", fragte eine verschlafene Stimme. Widerwillig öffnete Florian die Augen und sah in das Gesicht seines Mannes Charlie, der ebenso verschlafen aussah wie Florian sich fühlte. "Ihr habt doch heute dieses wichtige Spiel, oder nicht?", Charlie, der eigentlich Charles hieß, diesen Namen allerdings nicht ausstehen konnte, rieb sich die Augen und sah auf die Uhr. Florian fiel nun wieder ein, warum der Wecker geklingelt hatte und plötzlich war er hellwach. "Du meine Güte, du hast recht. Ich muss frühstücken und die Trikots ins Auto packen. Habe ich überhaupt genug im Tank? Und wann wollten wir uns nochmal an der Tankstelle für die gemeinsame Anfahrt treffen?", hektisch setzte Florian sich auf und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Auch Charlie setzte sich auf und strich ihm beruhigend über den Arm. "Alles wird gut, Schatz. Du hast noch Zeit. Immer mit der Ruhe. Und guten Morgen übrigens.", Charlie gab Florian einen liebevollen Kuss. "Guten Morgen!", erwiderte Florian nun schon etwas gefasster. Da Charlie ein sehr fürsorglicher Ehemann war, stand er auf und verließ mit den Worten "Ordne dich in Ruhe. Ich mache uns erstmal Kaffee." das Schlafzimmer. Florian, der dankbar war, sich nicht mit der blöden Kaffeemaschine, mit der er noch nie klargekommen war, herumschlagen zu müssen, rief ihm hinterher: "Du bist ein Engel." Woraufhin aus dem Flur ein "Ich weiß!" ertönte.

"So, ich glaube ich habe alles.", im Kopf nochmal alles Wichtige durchgehend schloss Florian den Kofferraum des Kleinbusses. Dann ging er zur Haustür, in dessen Rahmen Charlie, immernoch im Schlafanzug, stand, um sich von ihm zu verabschieden. Charlie wusste, dass Florian recht aufgeregt wegen des anstehenden Spiels war. Immerhin ging es um den Landespokal. "Ihr holt das Ding nach Hause. Ganz sicher.", aufmunternd sah er seinen Ehemann an, bevor er ihn fest umarmte und nach einem innigen Kuss wieder im Haus verschwand, denn es war kalt draußen. Schließlich war Dezember.

Zuerst würde Florian Jay abholen, dessen Eltern ihn heute nicht fahren konnten. Da das kein Umweg war, hatte Florian sich gern dazu bereiterklärt seinen Stürmer abzuholen und mit ihm zur Tankstelle zu fahren, wo sich das Fußballteam treffen wollte. Als Florian auf den Parkplatz vor dem Mehrfamilienhaus, in dem Jay wohnte einbog, stand dieser schon mit der Sporttasche über der Schulter vor der Haustür und winkte freudig, als er Florian sah. Florian winkte ebenso freudig zurück und freute sich insgeheim auf die kommenden paar Minuten, in denen er mit Jay allein sein würde. Denn Jay und Florian hatten ein besonderes Verhältnis zueinander. Sie waren mehr als Trainer und Spieler. Sie waren befreundet, auch wenn das eine merkwürdige Vorstellung und Alterkonstellation war. Aber so war es Florian, vor dem sich Jay als erstes geoutet hatte. Florian hatte das als einen großen Vertrauensbeweis gesehen und seitdem immer intensivere Gespräche mit Jay geführt. Die beiden verstanden sich mittlerweile wirklich blind und waren ein eingespieltes Team geworden. Als Florian neu in den Verein kam und anfing das gemischte Team zu trainieren, war das noch ganz anders gewesen. Nicht nur ließ sich Jay damals ungern etwas sagen, sondern er hatte Florian auch dafür gehasst, dass er seine Vorgängerin, die laut Jays Aussage eine tolle Trainerin und Person gewesen war, ersetzt hatte. Das alles hatte sich schlagartig geändert, als Jay erfahren hatte, dass Florian schwul war.

"Guten Morgen, Sportsfreund!", Florian hielt Jay die Hand für ein High-Five hin. "Guten Morgen, Trainer!", Jay klatschte ein, nachdem er sich auf den Beifahrersitz hatte fallen lassen. "Bevor wir losfahren, will ich dir noch was zeigen.", bedeutungsvoll schaute Jay Florian an. Er war etwas nervös, denn er wusste nicht, wie die für ihn wichtigste Person auf seinen neuen Haarschnitt reagieren würde. "Ich bin gespannt." Jay nahm die Mütze ab und versuchte seine Unsicherheit mit einem "Tadaa!" zu überspielen. Ungläubig schaute Florian sich die Stoppeln auf Jays Kopf an. "Was hast du nur getan? Jetzt kann ich dir nie wieder einen Zopf flechten. Wie soll ich das nur überstehen?", gespielt dramatisch tat Florian so, als müsse er sich ein paar Tränen verdrücken. "Wir müssen unbedingt nach dem Spiel eine Trauerfeier für deine Haarpracht veranstalten. Sie wird mir fehlen." Erleichtert über die positive Reaktion von Florian atmete Jay auf. Trotzdem war er sich noch nicht sicher, wie Florian seinen Buzz Cut nun tatsächlich fand. "Im Ernst. Wie findest du es?" Florian drehte sich wieder zu Jay und inspizierte dessen Frisur etwas genauer. "Mir war schon klar, dass du deine langen Haare nicht behalten würdest... aber dass du sie so kurz schneidest, hätte ich nicht gedacht. Darf ich einmal anfassen?" "Klaro. Ist wirklich ziemlich weich.", Jay bewegte seinen Kopf Florians ausgestreckter Hand entgegen. Als Florian Jay berührte, mussten beide kurz die Luft anhalten. Florians Hand fühlte sich so wohlig warm und geschmeidig an. Sanft strich sie über Jays Kopfhaut und verursachte hier und da ein leichtes Kitzeln. Jay genoss diese paar Sekunden, die für ihn endlos dauerten. Und Florian genoss, wie weich die Haare von Jay nun waren. Im ersten Moment sahen sie erstmal irgendwie stachelig und spitz aus, aber wenn man sie dann berührte, waren sie weicher als Samt und Seide. "Wahnsinn! Die sehen wirklich viel weniger weich aus, als sie eigentlich sind.", erstaunt nahm Florian seine Hand von Jays Kopf und platzierte sie am Lenkrad. Ansonsten würde er noch ewig über Jays Kopf streicheln und sie mussten ja heute noch die Anderen an der Tankstelle einsammeln und das Pokalspiel gewinnen. "Jip, ich hab's dir ja gesagt.", glücklich lächelnd setzte Jay seine Mütze wieder auf und schnallte sich an. Währenddessen startete Florian den Motor und fuhr los. Und irgendwie hatte er das Gefühl, dass etwas anders war als vorher. Er sah Jay jetzt mit anderen Augen. Oder mit denselben Augen, nur dass Jay nun mehr er selbst war? Florian war sich da nicht so sicher. Allerdings hatte er keine Zeit darüber nachzudenken, denn er musste sich auf das unmittelbar bevorstehende Spiel konzentrieren, auf das er sein Team nun schon seit Monaten vorbereitet hatte.

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