Sweater Weather

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Cause in this city's barren cold I still remember the first fall of snow and how it glistened as it fell,
I remember it all too well
- „All Too Well" by Taylor Swift

Draußen regnete es und Julian ging es schlecht. Als er am Sonntagmorgen nach wenigen Stunden Schlaf aufwachte, spürte er als erstes ein Pochen an seiner rechten Schläfe. Außerdem war ihm schwindelig. Die Welt um ihn herum, schien sich zu drehen. Zu schnell, als das er ihr hätte folgen können. Er zog sich die Decke über den Kopf, aber auch sie konnte die Erinnerungen an den gestrigen Abend nicht abhalten, die sich unweigerlich einen Weg zurück in sein Bewusstsein bahnten. Natürlich war es der Kuss, an den er zuerst denken musste. Dem konnte er nicht aus dem Weg gehen. Wahrscheinlich würde dieser Kuss ihn noch bis an sein Lebensende verfolgen, so fühlte es sich zumindest in diesem Augenblick an. Weil es eben mehr war, als nur ein simpler Kuss auf einer Party. Auch wenn Julian es nicht wahrhaben wollte, war es ein entscheidendes Ereignis für Julians ganze Identität. Für sein ganzes Leben. Das Bild, das er bis zum gestrigen Abend von sich selbst gehabt hatte, erschien ihm jetzt wie eine Lüge. Es kam ihm so vor, als würde er sich selbst nicht mehr kennen.

Er konnte Kai nicht mögen, das war ausgeschlossen. Er mochte keine Männer. Und außerdem kannte er Kai kaum. Sie hatten gestern das erste Mal richtig miteinander geredet.
Und trotzdem hatte der Kuss etwas bedeutet. Das wusste Julian. Er hatte dabei etwas gefühlt. Etwas, dass er zuvor noch nie gefühlt hatte und obwohl er nicht wusste was es war und obwohl er keinerlei Interesse daran hatte, jemals wieder mit Kai zu reden geschweige denn ihn anzusehen, wusste er tief in seinem Inneren, dass er gestern einen Vorgeschmack von etwas bekommen hatte, von dem er mehr wollte.
Schwer seufzend setzte sich Julian in seinem Bett auf, seine Decke noch immer eng um sich gewickelt, da die Qualität der Heizung in seinem Zimmer in etwas der, seiner Laune entsprach.
Er sah auf das Handy, das unschuldig neben ihm auf seinem Nachttisch lag. Er hatte es gestern Nacht ausgeschaltet, aus Angst Timo würde ihn anrufen und fragen, warum zur Hölle er mit seinem besten Freund rumgemacht hatte.
Julian hätte ihm darauf keine Antwort geben können.
Er wusste, dass er einem Gespräch mit Timo nicht für immer aus dem Weg gehen konnte, aber jetzt war es jemand anders, den er zuerst sehen wollte. Er trennte sich schweren Herzens von seiner Decke, zog sich einen Pullover über und verließ sein Zimmer, nur um an die Tür des Raumes nebenan zu klopfen. Als Marco die Tür öffnete, reichte ein einziger Blick und Julian wusste, dass Marco bereits gehört hatte, was passiert war.
„Timo hat mir gerade geschrieben" erzählte Marco in diesem Moment wie zur Bestätigung. Er musterte Julian von oben bis unten „Du siehst echt scheiße aus, wie gehts dir?".
Julian betrat das Zimmer und zuckte mit den Schultern „Nicht so gut". Marco nickte „Timo wollte gleich nochmal vorbei kommen". Alarmiert blickte Julian auf „Scheiße, warum?". „Um zu reden denke ich, er hat sich ziemlich Sorgen gemacht, nachdem du gestern einfach abgehauen bist".
Schuldbewusst senkte Julian den Blick. In diesem Moment öffnete sich die Tür hinter ihm wie auf Kommando erneut und Julian musste sich gar nicht erst umdrehen, um zu wissen, wer sie geöffnet hatte.

Timo verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn an. „Alter, was war das denn gestern? Du kannst doch nicht einfach abhauen".
Julian fühlte sich mit einem Mal sehr klein. Wie damals, wenn er mal wieder zu spät nachhause gekommen war und sich eine Moralpredigt von seiner Mutter hatte anhören müssen.
„Tut mir leid" murmelte er. Timo schüttelte nur den Kopf, doch als er Julian das erste Mal richtig ansah, wurde sein Blick mit einem Mal schuldbewusst.
„Tut mir auch leid Mann, ich hätte dich echt vorwarnen sollen wegen Kai, so einen Scheiß macht er häufiger".
Julian erstarrte. Mit dieser Aussage hatte er nicht gerechnet. Es fühlte sich an, als würde etwas in ihm fallen, wie in einer Achterbahn. „Was meinst du damit?" fragte er leise mit erstickter Stimme.
Timo seufzte und deutete auf Marcos Bett, auf das sie sich alle drei setzten.
„Guck mal Julian, ich wusste nicht, dass du schwul bist und es macht mir auch wirklich nichts aus aber Kai ist es nicht, das kann ich dir versichern. Also bevor du dir jetzt irgendwelche Hoffnungen machst...lass es lieber. Kai ist...naja Kai ist kompliziert. Er neigt dazu sich auf seinen Partys Leute auszusuchen die quasi „leichte Beute" für ihn sind. Meistens sind es Mädchen aber jetzt anscheinend auch Jungs. Er braucht das irgendwie. Also wirklich denk dir bitte nichts dabei".

All Too Well ~ Bravertz Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt