Verrückte Elfe

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D e c l a n

Mit hochgezogener Augenbraue und verschränkten Armen vor der Brust, schaue ich der besten Freundin meiner Schwester ins Gesicht. Ich versuche krampfhaft meinen Blick nicht auf ihre spärliche Bekleidung zu lenken, da es für uns beide sehr unangenehm werden könnte. Besonders nach allem, was zwischen uns passiert ist.

Ivy Collins denkt aber wieder einmal nicht nach. Wer zieht sich in einer fremden Hütte auch aus und schaut nicht in den Zimmern nach, ob jemand anderes anwesend ist? Ihre Begrüßung habe ich gehört, nur sie wohl meine Antwort nicht.

»Dec … Declan?«, stottert sie unbeholfen, bevor ihre Wangen erröten und sie die Decke noch enger um ihren zierlichen Körper schlingt. Sie sieht sowas von niedlich aus. »Was schleichst du dich auch so an mich ran?« Ihr anfängliches Stottern ist verschwunden und die Schärfe in ihrer Stimme ist mir keinesfalls entgangen.

»Ja, Declan. Außer es gibt noch jemanden, der genau so aussieht wie ich. Von einem Zwillingsbruder weiß ich jedoch nichts«, antworte ich spöttisch auf ihr Gestammel. »Und ich habe mich nicht angeschlichen. Du hast sehr konzentriert versucht, das Feuer zu entfachen.« Wir schauen beide zu dem Kamin, in dem es nicht einmal räuchert, weshalb ich mich hinknie, um es selbst zu machen. Hier drinnen ist es schon wieder kühler, als noch vor einer Stunde.

»Was machst du hier?«, stellt sie eine Gegenfrage und macht einen Schritt nach hinten und nimmt eine abwehrende Haltung ein.

Mit einem Seitenblick entdecke ich ihre nassen Kleider, die auf dem Boden liegen. Eine kleine Wasserlache hat sich darum gebildet, weshalb mir jetzt klar ist, wieso sie sich ausgezogen hat.

»Das ist meine Hütte, Ivy. Die Frage ist eher, was machst du in meinem Häuschen?«

Nachdem das Feuer an ist, stehe ich auf. Sofort drehe ich mich um und mache die hintere Tür auf, um ihr frische Kleidung zu besorgen. Auch wenn sie einige Nummer zu groß sind, denke ich, dass es viel gemütlicher für sie wäre, als in Unterwäsche und einer Kuscheldecke vor mir zu stehen. Und weniger peinlich. Für uns beide.

»Hier, zieh das an. Du wirst sonst noch krank.«

»Ähm … danke.«

Ihre Wangen werden noch dunkler, während sie mich verlegen anlächelt und mir den Pullover und Jogginghose aus der Hand reißt.

»Könntest du dich vielleicht umdrehen?« Zusätzlich bewegt Ivy ihren Finger im Kreis und verdeutlicht damit, was sie von mir will.

»Klar. Gib mir deine nassen Sachen, damit ich sie im Badezimmer aufhängen kann.«

Wortlos überreicht sie es mir, bevor ich aus dem Raum verschwinde und nach meinem Smartphone greife, nur um festzustellen, dass ich keinen Empfang habe. Verdammt!

Wenn ich zurück bin, wird mir Lisa einiges erklären müssen. Immerhin war sie vor einigen Tagen ziemlich geheimnisvoll und hat die ganze Zeit gekichert. Hat sie irgendetwas damit zu tun, dass Ivy hier aufgetaucht ist? Einfach so aus dem Nichts? Und sonst wird Phil mir das bestimmt verraten. Der Verlobte von meiner Schwester kann kein Geheimnis für sich behalten.

Plötzlich spüre ich eine Wärme hinter mir, die mein Herz höher schlagen lässt. Eine Gänsehaut bildet sich auf meinem Körper, während ein Schauer den nächsten meinen Rücken hinabläuft. Bisher hat es keine Frau geschafft, eine solche Wirkung auf mich auszuüben. Aber Ivy Collins ist nicht irgendeine Frau, sondern meine kleine verrückte Elfe. Und sie hasst mich. Ich würde nur zu gerne wissen, wieso das so ist. Fast habe ich gedacht, dass meine Gefühle auf Gegenseitigkeit beruhen, aber ich habe mich getäuscht.

»Danke für die Sachen. Fühlt sich auch schon viel besser an.«

Mit der Hand winke ich ab. »Kein Ding. Ich wollte es für dich nicht noch unangenehmer machen, als es sonst schon ist.«

Ein kleiner Seitenhieb, den ich mir nicht verkneifen kann. Seit unserem Kuss ist Ivy distanziert und will nichts mehr mit mir zu tun haben. Ich habe keine Ahnung, was ich verbockt habe und jedes Mal, wenn ich mit ihr darüber reden wollte, hat sie abgeblockt. Was sehr frustrierend ist. Ich weiß nicht, wie viele Male sie mich bereits in den Wahnsinn getrieben hat. Und das auf eine positive, wie auch auf eine negative Weise.

»Tut mir leid, dass ich hier einfach so hereingeplatzt bin, Declan. Ich wusste nicht, wem diese Hütte gehört und ehrlich gesagt, hatte ich Angst, weil ich mich verlaufen habe.«

Sie lehnt sich an den Türrahmen und schenkt mir ein schüchternes Lächeln. Wo ist die Frau hin, die mir noch vor einigen Tagen an den Kopf geknallt hat, dass ich sie in Ruhe lassen soll?

»Was machst du hier draußen überhaupt? Ich dachte, du bleibst bei Lisa und feierst mit ihr zusammen Weihnachten.«

Verwirrt runzle ich die Stirn. Meine Schwester hat mich ebenfalls eingeladen, jedoch wollte ich mir das nicht antun. Das wäre in einer Katastrophe ausgeartet. Und da hab ich mich entschieden, es wäre das Beste, wenn ich mich hier zurückziehe und ganz für mich allein bin.

Weihnachten wird sowieso überbewertet. Ich kann mich nicht erinnern, wann es nicht zum Streit gekommen ist. Meine Eltern denken sich jedes Jahr, dass die Feiertage der beste Zeitpunkt dafür ist.

»Lisa hat mir diese Gegend vorgeschlagen und mich beim Backwettbewerb angemeldet. Außerdem hat sie von diesem blöden Wald geschwärmt, weshalb ich unbedingt einen Spaziergang machen wollte. Ich konnte nicht ahnen, dass ich die Orientierung verlieren werde.«

»Seid ihr verrückt? Dieser Wald ist nichts für jemanden, der das erste Mal hier ist. Lisa sollte das eigentlich wissen!«, rufe ich laut aus, weshalb Ivy zusammenzuckt. »Tut mir leid. Aber das hätte schiefgehen können. Vor allem, da der Wetterbericht von neuen Schneefällen gewarnt hat.«

Ihre runden blauen Augen, die wie zwei Eiszapfen funkeln, blicken mich besorgt an. Ich kann jede Emotion darin erkennen. Von Sorge, Unglaube bis hin zu Verwirrung.

»Aber wieso sollte Lisa mir genau das empfehlen?«

Ich weiß, wieso und dafür wird sie noch einiges zu hören bekommen. Lisa hätte es besser wissen müssen, als so unvorsichtig zu handeln.

Trotzdem zucke ich mit den Schultern, weil Ivy die Beweggründe meiner Schwester nicht wissen muss. Ihre Verkupplungsversuche waren auch schon mal besser und definitiv sicherer. Zudem will ich mir nicht anhören, was für eine bescheuerte Idee das ist, weil ich mir das wünschen würde.

»Willst du etwas trinken?«

»Nein, danke. Es wäre besser, wenn ich jetzt gehen würde, Declan.«

Mein Finger zeigt auf die nasse Kleidung. »Vielleicht warten wir ein bisschen, bis deine Klamotten wieder trocken sind.«

Zweifelnd sieht sie mich an. Mir ist klar, dass es für sie eigentlich nicht infrage kommt und wir uns zusammenreißen müssen, um nicht wieder aufeinander loszugehen. Trotzdem nickt sie mir zu, da sie keine Wahl hat. Und ich würde sie auch nicht gehen lassen. Ivy würde sich erkälten und das will ich nicht.

»Das wäre keine schlechte Idee.«

Da wäre ich mir nicht sicher, Ivy Collins.

Zufällig Eingeschneit | ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt