Zufälle gibt es

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D e c l a n

Was läuft nur falsch mit mir? Wie konnte ich mich dazu hinreißen lassen und mich in Ivys Blick verlieren? Wie konnte ich alles um mich herum vergessen und mir wünschen, die Frau in den Arm zu nehmen, die mich nicht ausstehen kann? Es wird immer schwerer, von der verrückten Elfe fernzubleiben. Ivy Collins hat es geschafft, mich komplett in ihren Bann zu ziehen. Sie hat es tatsächlich geschafft, sich in meinem Verstand, Herz und Seele einzunisten. Ich würde ihr alles geben. Jeden Funken und alle Wünsche erfüllen. Nur hasst sie mich aus irgendeinem Grund.

Und ich habe keinen blassen Schimmer, wieso das so ist.

Meine Hände krallen sich an der Theke fest. Tief atme ich ein und versuche meine Gedanken zu ordnen, bevor ich wieder zurück ins Wohnzimmer gehe.

Was hat sich Lisa bei diesem Wochenende nur gedacht? Dass wir uns aussprechen und danach alles gut wird? Wohl kaum. Wir zanken zwar weniger als sonst und doch kann ich eine gewisse Distanz zwischen uns spüren. Auch wenn ich sagen muss, dass wir ein gutes Team abgeben. Das hat das Schmücken des Häuschens gezeigt. Wir verstehen uns ohne Worte. Nicht einmal die Stille hat mich gestört, die sich manchmal zwischen uns gebildet hat. Sie war friedlich und angenehm. Etwas, dass ich sonst nicht kenne.

Kopfschüttelnd nehme ich die Zimtschnecken aus dem Ofen, bereite die heiße Schokolade zu und richte alles auf das Tablet.

»Ich habe mich für „Kevin allein zu Haus“ entschieden«, sagt Ivy, als sie mich bemerkt.

»Was? Kein kitschiger Liebesweihnachtsfilm?«, rufe ich überrascht aus und ziehe meine Augenbrauen zusammen.

»Ich dachte mir, da du solche Filme nicht magst, wähle ich etwas aus, wo wir beide auf unsere Kosten kommen. Und dieser Film ist Kult.«

Da muss ich ihr recht geben. Jedes Jahr schaue ich ihn mir an und denke mir dabei immer, was das für Eltern sind, die ihr Kind zu Hause vergessen und es erst zu spät bemerken. Hoffentlich werde ich nie so.

»Okay, dann lass ihn laufen.«

Nicht eine Sekunde gelingt es mir, mich auf den Film zu konzentrieren. Ich bin noch immer verwirrt und die Tatsache, dass Ivy gleich neben mir sitzt, macht es auch nicht besser. Ich müsste nur meine Hand ein wenig ausstrecken und schon würde ich sie berühren.

Meine Augen sind zwar auf den Bildschirm gerichtet und doch ist mein Verstand wie leer gefegt. Nichts will funktionieren. Ein Durcheinander der extra Klasse tobt in mir und ich weiß nicht, wie ich es verschwinden lassen kann. Ivy darf nichts von meinem Gefühlschaos merken.

Aber eigentlich wäre das der richtige Zeitpunkt dafür. Vielleicht kann ich sie endlich zur Rede stellen, weil sie nicht flüchten kann.

Ich versuche die richtigen Worte zu finden, als Ivy den Film pausiert und mich erwartungsvoll ansieht. »Also, was ist los?«

Sieht so aus, als hätte ich das Durcheinander nicht verbergen können. Tief atme ich ein, bevor ich die entscheidende Frage stelle, die mich schon seit langer Zeit beschäftigt.

»Wieso gehst du mir aus dem Weg, Ivy?«

Blinzelnd blickt sie mich an und öffnet den Mund, bevor sie ihn wieder schließt. Meine verrückte Elfe erhebt sich vom Sofa und rauft sich die Haare, bevor ein bitteres Lachen über ihre Lippen kommt. Ein Lachen, das mich fröstelt, weil ich den Schmerz höre, den sie empfindet.

»Das fragst du noch? Dein Ernst?«

»Ja, ich frage dich, weil ich es nicht verstehe. Was ist nach unserem Kuss passiert? Sag es mir bitte.«

Auch ich erhebe mich und versuche sie nicht verzweifelt durchzuschütteln. Diese Frau raubt mir noch den letzten Nerv, weil sie nicht mit der Sprache herausrückt.

»Wie konntest du Phil sagen, dass du mich gar nicht küssen wolltest? Dass ich über dich hergefallen bin und ich dich anwidere?«

Ivy schreit die Worte raus, weshalb ich augenblicklich innehalte und sie völlig verwirrt ansehe. Wie bitte? Sie widert mich an? Wo hat sie einen solchen Mist gehört?

»Wovon redest du, Ivy?«

»Davon, dass ich dein Gespräch mit Phil gehört habe! An Lisas Geburtstag! Du hast in der Küche darüber geredet und ich hab alles gehört, als ich etwas zu trinken holen wollte.«

Wie bitte?

Mein Verstand fängt sofort an zu arbeiten und sucht nach dieser Erinnerung. Ich würde niemals so über Ivy sprechen. Wie auch, wenn ich mit ihr ausgehen und unsere Beziehung damit intensivieren wollte.

Plötzlich dämmert es mir und kopfschüttelnd sehe ich sie an. Nein! Wie konnte sie nur glauben, dass ich von ihr gesprochen habe?

»Du hast etwas missverstanden, Ivy. Ich würde nie solche Dinge über dich sagen, weil ich dich mag. Sehr sogar.«

Augenblicklich bleibt sie stehen und schaut mich aus großen Augen an. »Du magst mich? Aber wieso sagst du dann sowas?«

»Ja, Ivy, ich mag dich. Und ich habe nicht von dir gesprochen, sondern von meiner Nachbarin, die verheiratet ist.«

Die Anspannung ist ihr deutlich anzusehen. Ihr ganzer Körper ist verkrampft, weshalb sie zittert. Sanft greife ich ihre Hand und ziehe sie nah an mich ran.

»Sie hat mich am selben Tag überrumpelt und ist einfach über mich hergefallen. Ich habe sie zurechtgewiesen und bin dann abgehauen. Phil und ich haben dich mit keiner Silbe erwähnt. Wieso auch? Ich dachte eigentlich, dass ich dich endlich mal ausführen darf und wir unsere Beziehung vertiefen könnten.«

»Scheiße! Ich bin so blöd!«

»Nein, bist du nicht. Aber du hättest mich fragen können, anstatt etwas anzunehmen, ohne alle Details zu kennen.«

Fest schlingt sie ihre Arme um meinen Torso. Endlich ist Ivy da, wo sie hingehört. Ich kann nicht glauben, dass wir uns wegen meiner doofen Nachbarin aus dem Weg gegangen sind und uns angezickt haben. Alles nur, weil wir nicht miteinander kommuniziert haben.

»Es tut mir leid, Declan.«

»Muss es nicht. Ich wäre aber froh, wenn du das nächste Mal direkt zu mir kommst.«

Auch wenn ich hoffe, dass es nie wieder zu einer solchen Situation kommt.

»Sieh mal nach oben«, flüstert sie mir leise zu und streichelt mir sanft über den Rücken. Die Gänsehaut, die sich bei ihrer Berührung gebildet hat, verstärkt sich noch mehr. Leicht lasse ich den Kopf in den Nacken fallen und entdecke den Mistelzweig, der über uns schwebt. Ein kleines Lächeln schleicht sich auf meine Lippen, bevor ich sie wieder anblicke.

»Du weißt, was jetzt kommt, oder?«

Ihre Finger krallen sich in den Stoff meines Pullovers, bevor sie mich ruckartig zu sich zieht und unsere Lippen aufeinander kollidieren. Ein Feuer wird entfacht, das ich nur in Ivys Gegenwart verspüre. Jeder Teil meines Körpers fängt an, lichterloh zu brennen, während ich sanft meine Lippen auf ihrem Mund bewege. Ich will mehr von ihrem süchtig machendem Geschmack. So viel mehr und doch ziehe ich mich wieder zurück. Meine Finger krallen sich in ihre Haare, während sie mich weiterhin an meiner Taille festhält. Ein unglaublicher Moment, der niemals enden sollte. Endlich liegt sie wieder in meinen Armen. Wie lange ich darauf gewartet habe.

»Weißt du, was?«, haucht sie mir zu.

»Sag es mir, Ivy.«

»Ich bin froh, dass wir zufällig eingeschneit wurden und uns somit aussprechen konnten. Ich mag dich nämlich auch sehr, Declan.«

Ihr zuckersüßes Lächeln versetzt mein Herz in einen Marathonlauf, während ich sie anstrahle.

»Heißt das, wenn wir wieder zu Hause sind, darf ich dich auf ein Date ausführen?«

»Ich würde mich sehr darüber freuen, Declan Miller.«

Ich hätte nie gedacht, dass ich die Feiertage doch lieben würde. Und das nur, weil ich sie zusammen mit Ivy Collins verbringen durfte. Ein kleines, aber für mich sehr besonderes Weihnachtswunder.

Ich bin ein wahrer Glückspilz.

E N D E

Zufällig Eingeschneit | ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt