Dunkle Nacht

45 7 20
                                    

Der Palazzo del Silenzio ist ein dreistöckiges Gebäude mit altrosa Fassade und einer stolzen Arkadenreihe im Erdgeschoss. Die Ähnlichkeit zum Dogenpalast ist so frappierend, dass ich am liebsten gleich ein Foto geknipst hätte. Mit den zwei oberen Etagen, die mit Bogenfenstern verziert und von weißen Stuckelementen durchbrochen sind, gehört er auf jeden Fall zu den schönsten Gebäuden Venedigs.

Und doch ist er nicht im Reiseführer vermerkt, sonst hätte ich ihn entdeckt.

Wie eine rosa Perle liegt er vor uns, von drei Seiten mit Wasser umspült. Die Perle Venedigs.

Das Klacken meiner Stilettos hallt durchdringend über das nasse Pflaster und doch nehme ich nichts wahr, außer, dass warme Licht, das durch die zahlreichen Fenster des Palazzo nach draußen strahlt – wie als wäre er eine einzige, helle Kerze in dunkler Nacht.
Ich bin derart in den Anblick des Gebäudes versunken, dass ich den Herren, der am Eingang die Einladungen kontrolliert, erst bemerke, als er neben mir steht. Mein Blick weitet sich und in letzter Sekunde zieht Jenna mich schützend in ihre Arme. Um Haaresbreite hätte ich geschrien. „Vergiss nicht: Das ist ein Maskenball!", beschwört Jenna von oben mein Hirn durch die Fülle Goldlocken hindurch. Schon klar, aber mit der schwarzen, bodenlangen Kutte und der dunklen Eisenmaske mit dem hässlichen Schnabel, sieht er aus wie eine lebendig gewordene Puppe aus dem Maskenladen. Zum Fürchten. Nein, zum Davonrennen.

Schweigend nimmt er die Karte aus Jennas Hand entgegen und mustert uns dabei einen Moment zu lang.

Unter meiner Maske perlt der Schweiß, während ich meine Finger in die Handflächen presse und bete, dass er uns wieder nach Hause schickt. Das wäre zwar peinlich, aber noch mehr Gestalten wie ihm, will ich weiß Gott nicht begegnen.

„Viel Spaß", haucht er heiser und obwohl sein Mund vom Schnabel verdeckt ist, bin ich sicher, dass er darunter grinst.

Nein! Wir sollten nicht hier sein!

Während Jenna mich ins Gebäude schiebt, sehne ich mich zurück in die Dunkelheit draußen.

„Hey, kein Grund für kalte Füße. Süße, wir sind auf der Zielgeraden!" Schon an Jennas Tonfall erkenne ich, dass das Partyfieber sie gepackt hat. Gut gelaunt sieht sie sich um und scheint dabei das Wesentliche komplett zu übersehen:

Die ganzen bizarren Masken, die uns anstarren: mit Gold geschmückte Totenköpfe, Tonmasken, die das komplette Gesicht verdecken; bleich und starr; um die Augenpartien aber so reich verziert sind, als wäre das Tongesicht selbst Träger der Maske. Oder noch schlimmer; die Eisenmasken mit ihren kalten, reglosen Mienen.

Alles in mir ist auf Flucht programmiert. Diese Masken sind aus dem Material, aus dem sich meine Albträume formen.

Auch Jenna checkt die Gäste ab, nur anders als ich, achtet sie mehr auf die Dinge unterhalb des Kragens.
Es sind durchweg Männer in dunklen Anzügen und Smokings, auch Fracks sind in der Menge.

Jenna und ich fallen auf wie zwei bunte Paradiesvögel. Erst Recht, nachdem ein Totenkopf uns die Jacken abgenommen hat.

„Also wenn du hier keinen Antonio findest, der dich David vergessen lässt, dann kann dir keiner helfen." Sie redet viel zu laut und ich kenne Jenna genau. Natürlich hat sie schon jemanden ins Auge gefasst. Ihr Blick sagt alles. Er haftet direkt auf dem Hintern des jungen Mannes vor uns.

Prompt dreht der sich zu uns um.

Oh Erdboden, bitte verschluck mich: Jetzt! Der Typ trägt eine Eisenmaske, die sein halbes Gesicht bedeckt. "Buona sera, signorine", grüßt er und deutet mit einer Geste an, dass er uns den Vortritt lässt.

Jenna zieht mich mit und zwinkert ihm mit einem „Grazie" zu, während ich mir ein Grinsen verkneife. Erwischt würde ich sagen.

Mit seiner athletischen Figur passt er genau in Jennas Beuteschema, doch bei mir sträuben sich die Nackenhärchen. Seine schmalen Lippen hatten sich nicht einen Millimeter zur Seite bewegt. Lächelt man nicht wenigstens ein bisschen, wenn man jemanden begrüßt?

Sei nicht albern. Du warst so unhöflich, gar nichts zu sagen.

Wir steigen eine geschwungene Treppe hinauf, an deren Ende sich ein mit rotem Teppich ausgelegter Flur zu beiden Seiten hin erstreckt.
Von der Decke hängen in Abständen, die man nur als verschwenderisch betiteln kann, Kronleuchter mit üppigen Gold- und Glasverzierungen, in denen sich das Licht tausendfach bricht. Murano Glas. Ich hatte davon im Reiseführer gelesen und es schon im Dogenpalast bewundert – aber hier, wo die Decke nicht so überladen ist, ist es noch eindrucksvoller.

Das strahlende Licht tanzt über den Köpfen der Besucher in allen Nuancen des Regenbogens.
Die Beleuchtung hat etwas seltsam Unwirkliches, fast schon Fantastisches und es scheint, als wäre sogar das Licht, das zu dem Fenster ganz hinten am Ende des Flurs hereinfällt künstlich. Ja. Es ist zu hell. Draußen war es schließlich stockdunkel gewesen, als wir gekommen sind.

Ich schleiche näher heran, um den Eindruck zu überprüfen, doch alles, was ich im Fenster erkenne, sind die Spiegelungen von hier drinnen.

Wir sind komplett von der Außenwelt abgeschnitten.

Drama Queen! So ist das halt, wenn man in einem hellen Raum ist und es draußen stockdunkel ist.

Trotzdem. Das ungute Gefühl hängt an mir fest, zieht an meinen Locken und am goldenen Kleid, dass ich mich am liebsten umdrehen und flüchten will.


Die Maske des Dogen - das Geheimnis von VenedigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt