Ein Löwe in der Hauptrolle

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Ein Bild wird für mich dann zum Kunstwerk, wenn seine Farben so leuchten, dass sie mein Herz erwärmen und meine Seele bewegen.

Genauso ist es jetzt. Nur stärker.

Beim Anblick der venezianischen Maske vor mir steht mein Herz in Flammen und hinter meiner Stirn entzündet sich ein Feuerwerk. So intensiv ist der Eindruck, den sie mit ihren brillant gestochenen Farben auf meiner Netzhaut hinterlässt.

Ihr Grund bildet ein Gold, wie flüssiges Metall, das in einem Schmelztiegel brodelt - reich und voller Tiefe, elegant und gefährlich. Dieser Goldton strahlt Härte und Hitze aus und trägt gleichzeitig die Essenz von etwas Kostbarem und Seltenem in sich.

Es ist verrückt; ein Ton, so kraftvoll und stark, als wäre er nicht von dieser Welt und doch harmonisiert er perfekt mit der Haut seines Trägers.

Ein Löwe.

Ja; es ist die obere Hälfte eines Löwenkopfes, die mich aus Eiswasseraugen anstarrt. Eine Fontäne aus Edelsteinen, in allen Farben, die die Welt je gesehen hat, formt die Mähne. Smaragde, Opale, Saphire, Berylle, Aquamarine und Bernsteine funkeln mir entgegen, ohne dass ich auch nur eine Sekunde an ihrer Echtheit zweifel. Es ist eine Pracht, die an herrschaftlicher Erhabenheit nicht zu überbieten ist.

Königlich.

Und da, mitten drin, ist das Blau, das ich die ganze Zeit suche.

Vor Schreck stolpere ich rückwärts und stoße ans Buffet. Gläser klirren gefährlich, doch meine Welt versinkt in den Augenschlitzen des Löwen.
Mein Herz schlägt zu schnell und mein Hirn arbeitet zu langsam oder eigentlich gar nicht. Unfähig etwas zu tun, starre ich in die Augen des Fremden, dessen Mundwinkel sich langsam zu einem Lächeln verziehen.

Ich bin verloren.

Entschlossen, daran etwas zu ändern, presse ich die Lider zusammen und zwinge mich, meinen Blick woanders hinzulenken; folge den Konturen seiner Maske, die seine dominanten Wangenknochen nachzeichnen. Springe von dort zur Mitte und gleite an seiner geraden Nase entlang hinunter zu seinem Mund, auf dem ein Lächeln liegt, dessen Bedeutung mir ein einziges Rätsel ist. Beruhigung und Humor, Zuneigung und Ironie, Schadenfreude und Sinnlichkeit; all das deute ich gleichermaßen hinein.

„Die Maske steht dir", bemerkt er und fesselt meine Aufmerksamkeit damit auf seine Mundpartie.

Der luftigleichte Hauch eines Bartschattens zeichnet seine Oberlippe nach und die Kombination von geschwungenen Lippen, hartem Kinn und geheimnisvollem Bartschatten lässt mir die Knie flatterig werden.

„Gleichfalls", nuschel ich scheu zurück, denn das ist die Untertreibung des Jahrhunderts.

Schokobraune Strähnen umrahmen sein Gesicht; wild genug, um sich von der Pracht der Maske nicht zurückdrängen zu lassen und gediegen genug, um den königlichen Gesamteindruck nicht zu stören. Und so verführerisch, dass ich versucht bin, die Hand nach ihnen auszustrecken.

Ich beiße mir auf die Lippe. Denn das wirklich Krasse ist: Das alles kenne ich; von einem Gemälde im Dogenpalast.

Sei nicht albern Feli!

Sein Gesicht ist zur Hälfte verdeckt und okay, er hat blaue Augen und den gleichen Haarschnitt, aber hey, wir sind in Venedig, hier sieht fast jeder so aus!

„Außergewöhnlich", bemerkt er, begutachtet dabei aber nicht nur die Maske, die ich trage, sondern das Gesamtpaket; von oben bis unten.

In dem goldenen Fummel komme ich mir vor wie ein Weihnachtsgeschenk oder eher so ein Präsent vom Schrottwichteln; bei dem die Verpackung mehr hermacht, als der Inhalt.
Meine eigenen Gedanken bringen meine Wangen zum Kochen, oder ist es doch sein Blick? Ich sehe auf den Boden.

Kühles Marmor, kühles Marmor, DENK AN KÜHLES MARMOR!

Doch alles, was ich denke ist: Die Maske gehört mir nicht!

Ich habe sie einfach mitgehen lassen!

Ausgeliehen.

Mit aller Kraft versuche ich, mich selbst zu beruhigen, doch ich scheitere kläglich.

Der Löwe zieht mich aus - mit seinem Blick. Nicht nur auf körperlicher Ebene, eher seelisch und moralisch.

Er weiß es! Er weiß alles!

Ich halte ihn kaum aus, den Drang, zu Boden zu sinken, ihn um Vergebung zu bitten, dafür, dass wir unerlaubt hier sind und ich eine Maske aufhabe, die mir nicht gehört.

Dabei weiß ich nicht mal, wer der Typ überhaupt ist.

Aber das lässt sich ändern.

„Und wer sind Sie?" Endlich hebe ich meinen Blick von seinen Schuhen.

Es blitzt in seinem linken Auge, so blau wie die Flamme eines Bunsenbrenners.

„Entschuldigt, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe." Seine Stimme ist genauso so galant und vornehm wie seine Maske. Er deutet sogar eine leichte Verbeugung an und ich komme mir vor wie eine Statistin in einem Historienfilm. So einen mit üppigen Perücken und Barockkleidern - ihr wisst schon.

Der ganze Saal scheint zu verstummen und den Atem anzuhalten und plötzlich bin ich sicher: Die Maske zu tragen, ist lange nicht mein einziger Fehler an diesem Tag.


Die Maske des Dogen - das Geheimnis von VenedigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt