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Gedankenverloren saß ich am Esstisch und starrte aus dem Fenster. Der Gedanke, meine Mutter zu besuchen, nagte an mir, doch ich konnte es einfach nicht tun. Ich wollte es nicht akzeptieren. Der Gedanke, dass sie wirklich tot war, fühlte sich an wie ein Schlag in die Magengrube. Es war zu früh, viel zu früh, um mich mit der Realität ihres Todes auseinanderzusetzen.

Stunden vergingen, während ich wie erstarrt auf dem Stuhl saß. Draußen ging das Leben weiter, doch in mir herrschte nur Leere. Ich wartete, hoffte verzweifelt, dass irgendetwas mich aus diesen Gedanken reißen würde. Ein Klopfen, eine Stimme, ein Geräusch – aber nichts kam. Nur die erdrückende Stille, die immer lauter in meinem Kopf widerhallte.

Meine Gedanken kreisten wie in einem endlosen Strudel. Mein Kopf pochte, als würde er jeden Moment explodieren, während ich nach einer Möglichkeit suchte, den Schmerz loszuwerden. Ich wollte ihn herausreißen, diesen unerträglichen Druck in meiner Brust, das schmerzvolle Pochen meines Herzens. Für einen Moment, nur für eine Nacht, wollte ich frei sein von all dem Schmerz.

Meine Hände zitterten leicht, als ich nach der Flasche griff, die in einem der Küchenschränke verstaubte. Mit zitternden Fingern öffnete ich sie und setzte sie an die Lippen. Der brennende Alkohol rann meine Kehle hinunter, doch er brachte nicht die Erleichterung, die ich mir erhofft hatte. Also griff ich nach der nächsten Flasche, trank sie ebenso hastig aus und spürte, wie mein Körper schwerer wurde, während mein Kopf begann, leicht zu schwirren.

Langsam wurde der Alkohol spürbar, doch er reichte nicht aus. Ich wollte mehr – mehr Betäubung, mehr Vergessen. Ich zog mir eine Jeans und ein enges weißes Shirt an, das mehr Haut zeigte, als es verdeckte. Im Spiegel sah ich mein eigenes Spiegelbild kaum wieder. Blass wie eine Leiche, Augen rot und verquollen vom Weinen, mit dunklen Schatten darunter, die wie Male meiner Erschöpfung wirkten. Meine Haare hingen zerzaust herab, aber es war mir egal.

Ich brauchte etwas, um den Schmerz zu betäuben. Also machte ich mich auf den Weg zu diesem schäbigen Club, in den ich schon einmal gegangen war. Der vertraute, widerliche Geruch schlug mir entgegen, als ich eintrat. Der Alkohol zeigte nun seine Wirkung, und ich begann zu taumeln, während ich mich schwerfällig zur Bar bewegte. Ich bestellte mir mehrere Drinks, die ich nacheinander in mich hineinschüttete, als würde ich versuchen, den Schmerz in Alkohol zu ertränken.

Heute Nacht wollte ich alles vergessen. Es war egal, dass es ein Donnerstag war. Es war egal, was der nächste Tag bringen würde. Nichts hielt mich auf, nicht einmal der Gedanke daran, dass ich noch tiefer fallen könnte. Selbst wenn jemand mir Drogen anböte, hätte ich es gleichgültig angenommen. Mir konnte doch niemand mehr helfen.

Ich saß allein an der Bar, führte einen belanglosen Smalltalk mit dem Barkeeper, als ich plötzlich spürte, dass jemand mich ansah. Ich drehte mich um und starrte direkt in ein Paar vertrauter Augen. **Ran**.

Er stand dort, verblüfft, und starrte mich an. Sein Gesichtsausdruck wandelte sich rasch von Überraschung zu Besorgnis. Er trat näher und legte sanft eine Hand auf meine Wange, als ob er mich wachrütteln wollte.

„Kleines, was ist mit dir passiert?" flüsterte er dicht an meinem Ohr, weil die laute Musik jedes Wort verschluckte. Doch ich konnte ihn kaum hören. Alles war verschwommen, meine Ohren waren wie zugedröhnt. Ich konnte nur noch schemenhafte Umrisse erkennen, während sich mein Blick trübte.

Ich versuchte, mich auf ihn zu konzentrieren, aber selbst meine Worte waren kaum verständlich. „Viel..." lallte ich, als er mich fragte, wie viel ich getrunken hatte. Doch bevor ich weiter sprechen konnte, griff er nach meinem Arm und stellte mich unsanft auf die Beine. Meine Knie gaben sofort nach, und ich sackte in mich zusammen.

Ran schüttelte den Kopf, sichtbar genervt, und hob mich schließlich über seine Schulter. Mein Kopf baumelte an seinem Rücken, und alles um mich herum wurde dumpf und leise. Ich wusste nicht, wohin er mich brachte, bis wir schließlich in einem vertrauten Raum ankamen – dem Bonten-Hauptquartier.

„Wir haben Besuch", verkündete Ran, während er mich absetzte. Ich hob meinen Blick mühsam, als ich die Männer sah, die im Raum saßen. Zufrieden winkte ich ihnen zu, doch meine Laune fiel sofort, als ich Sanzu sah. Er lag auf einem Sessel, der Kopf in den Nacken gelegt, die Augen halb geschlossen – und ein Mädchen kniete zwischen seinen Beinen. Ekel und Unbehagen durchfuhren mich, als ich realisierte, was da vor sich ging.

Sanzu bemerkte mich in dem Moment, als Ran mich absetzte. Seine Augen weiteten sich vor Schock, und er schickte das Mädchen sofort weg, während er mich nicht aus den Augen ließ. Auch er wusste, dass mit mir etwas nicht stimmte. Alle schwiegen, als ob sie nicht wussten, was sie sagen sollten.

Manjiro trat schließlich vor, setzte sich neben mich und sah mich an, als ob er in mir lesen könnte. „Amaya, ist alles in Ordnung?" fragte er, mit einer sanfteren Stimme als jemals zuvor. Ich war verwirrt, denn wie Ran einst sagte: Manjiro kümmerte sich nie um das Wohlbefinden anderer. Und doch schien er sich jetzt Sorgen zu machen.

„Meine Mutter ist tot", flüsterte ich leise und versuchte, die Tränen hinter meiner Hand zu verstecken. Der Raum wurde still. Keiner der Männer wusste, wie er darauf reagieren sollte. Manjiro legte sanft eine Hand auf meinen Kopf und flüsterte mir zu: „Wenn du möchtest, kannst du bei uns leben. Sanzu hat mir alles erzählt. Wir werden uns um dich kümmern."

Ich hätte dieses Angebot nie in Erwägung gezogen, doch in diesem Moment wusste ich, dass ich alleine in meiner Wohnung an der Trauer zugrunde gehen würde. So stimmte ich schließlich zu.

Während ich mich in diesem Gedanken verlor, überkam mich Übelkeit. Ich fiel beinahe zu Boden, doch Sanzu war sofort da, hob mich in seine Arme. Ich hatte keine Kraft mehr, mich zu wehren.

Obsessed/ Sanzu HaruchiyoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt