Es klingelte und Finley ging raus auf den Pausenhof, zu Holly. „Hey Holly, wie findest du die Idee von mir zum Essen in der Kantine eingeladen zu werden?" Er sah leicht nach unten, während Holly grinste. Sie packte Finley am Arm und zog ihn mit zur Kantine. „Das lasse ich mir nicht entgehen, mein Gentle-non-binary!" Lachte sie. Finley lächelte leicht und die beiden stellten sich an. Heute war nicht viel los, dementsprechend kamen sie schnell dran. Kaum hatten sie ihr Essen, setzten sie sich an einen eher abgelegenen Platz. „Holly, ich muss dir was sagen... Ich hätte es eigentlich schon viel früher schon sagen sollen..." Holly sah ihn erwartungsvoll an, doch noch bevor Finley weiter reden konnte, ertönte ein Alarm. Augenblicklich drang durch die Lautsprecher der Schule die Stimme des Direktors. „Alle Schüler sowie das Personal der Schule begeben sich augenblicklich in Sicherheit! Dies ist kein Test!" Alle gehorchten, Finley wollte allerdings nicht mit der von Panik getriebenen Masse mit. Er nahm Hollys Hand und zog sie mit sich mit. „Wohin gehen wir?" „Wir gehen auf das Dach und von da aus mit der Feuerleiter runter auf die Straße!" Doch noch bevor die beiden dort ankommen konnten, wurden sie getrennt. Finley versuchte noch verzweifelt, Holly in der Menge zu finden, doch es war aussichtslos. Als Finley nach draußen gelangt war, suchte er weiter, doch Holly konnte ihn nicht finden. Finley gab die Suche aber nicht auf, er würde nicht ohne Holly fliehen. Doch er wurde aufgehalten - von Elmar, seinem Arzt. „Komm, Mädchen! Wir müssen ein paar Wölfe retten und dann mit Nancy von hier verschwinden!" Noch bevor Finley widersprechen konnte, packte Elmar ihn und zog ihn mit in einen LKW. Der Arzt setzte sich ans Steuer, Finley daneben und ohne zu zögern fuhr er los. „Du hältst Ausschau nach Wölfen und ich halte dort an. Morag und zwei ihrer Kameraden suchen alle zusammen und wollten sich dann in Straßennähe, hier in der Gegend versammeln!" Finley gehorchte und hielt Ausschau - nach Wölfen und Holly. Nach etwa zehn Minuten fanden sie eine Gruppe von etwa zwanzig Wölfen und nur zwanzig Minuten später Morag mit etwa fünfunddreißig weiteren Wölfen. Morag setzte sich vor Finley in den Fußraum. „Noch eine Gruppe und dann haben wir hoffentlich alle. Nancy holen wir Zuhause ab und fahren dann zum Flieger." „Nein, wir müssen Holly finden! Ich kann nicht ohne sie gehen und Tom kann ich auch nicht zurücklassen, genau wie die anderen aus meiner Gruppe!" „Du musst! Und jetzt jammer nicht!" Finley schwieg und hielt weiter Ausschau. Etwa dreißig Minuten später fanden sie die dritte Gruppe, welche aus etwa fünfzehn Wölfen bestand. Anschließend fuhren sie zu Nancy, welche sofort einstieg und Elmar fuhr, ohne ein Wort zu sagen, zu einem Feld, auf welchem sein Flugzeug stand. Dort angekommen stiegen alle aus dem LKW und gingen nacheinander ins Flugzeug. Finley fühlte unter seinen Füßen die Erde beben und sah zurück. „Ich rufe meine Freunde an, wenn ich in zehn Minuten niemanden erreiche, fliegen wir." Finley telefonierte, doch ohne Erfolg. Er stieg in den Flieger und sie starteten den Flug. Er sah aus dem Fenster, die Stelle, an der gerade noch das Flugzeug stand, war nur noch eine riesige Kluft und auch der LKW war verschwunden. Finley kämpfte mit den Tränen und sein Handy war leer. Einer der Wölfe ging zu Finley, es war Morag. „Du machst dir sicher Sorgen und Vorwürfe wegen deiner Freunde. Ich bin mir sicher, wenn du ihr Anführer warst, werden sie mit Sicherheit überlebt haben." „Sollte ein Anführer nicht bei seiner Gruppe sein, um für ihr Überleben zu sorgen?" Morag schüttelte den Kopf und schnaubte. Sie war eine wunderschöne Wölfin. Ihr langes, dichtes Fell war dunkelgrau, ihre rechte Vorderpfote beige und ihre Augen leuchteten bernsteinfarben. „Ein Anführer bringt seinem Rudel bei zu überleben, denn eines Tages geht jeder Anführer seinen eigenen Weg, fernab des Rudels." Finley sah Morag an, Tränen stiegen dem siebzehnjährigen in die Augen. „Was wenn sie es nicht geschafft haben? Was, wenn Holly es nicht geschafft hat?" "Dann ist das so. Bei so einer Katastrophe ist jeder auf sich gestellt. Die einen überleben und die anderen sterben, 003!" Sie fletschte ihre Zähne. „Haben alle Nummern?" Fragte Finley, sichtlich verwirrt darüber, dass Morag als einziger Wolf einen Namen zu haben schien. „Ja, wir sind schließlich Experimente." Brummte der graue Rüde. „Ich habe meinen Namen erhalten, als ich Elmar kennenlernte. Vorher hieß ich 013." Finley sah Morag an. „Wie wäre es, wenn ihr beiden von nun an Mishka und Goblin heißt?" Die weiße Wölfin schien erfreut über Finley's Vorschlag, der graue Rüde dagegen knurrte nur. „Warum sollte ich Goblin heißen?" „Weil du ein alter Griesgram mit vorstehenden Zähnen bist." Entgegnete Mishka. „Ach ja, das hier sind meine Töchter, 002 und 124." Finley lächelte und überlegte kurz. „Clover und Anais! Clover für die Kleine gefleckte, sie hat einen Fleck im Gesicht der mich an ein Kleeblatt erinnert und die andere würde ich Anais nennen, weil sie mich an meine verstorbene kleine Schwester erinnert." „Ja, die Namen sind wunderschön!" Mishka wedelte leicht mit der Rute. „Dann will ich auch einen Namen! 012 ist ein doofer Name - wenn man es überhaupt Name nennen kann!" „Campion, weil du mutig und stolz bist." Antwortete Finley dem schildpattigen. Morag schnaubte. „Jetzt fehlen nur noch alle anderen und dann ist jeder seine Vergangenheit los und kann ein neues Leben anfangen." Die Dunkelgraue legte sich neben Finley, ihren Kopf auf seinen Schoß. Finley war nervös, er machte sich Sorgen um Holly. „Wir setzen zur Landung an!" Rief Elmar. Das Flugzeug landete, doch Finley interessierte dies nicht. Kaum waren sie gelandet, sprangen alle Wölfe raus. Das Gebiet wurde von dem Erdrutsch nicht verschont. Es war aber glücklicherweise nicht zu schlimm verwüstet. Morag und Elmar führten sie zu einem Gebäude, Nancy folgte. Finley blieb zurück, er hockte sich auf den Boden und fing ohne weiteres an zu weinen. Da tauchte Morag auf. Sie kam zu ihm und legte ihre Schnauze sanft an Finleys Gesicht und schwieg. Finley umarmte sie. "Ich hab Holly zurückgelassen und Tom und die anderen! Ich hab sie eiskalt im Stich gelassen! Was wenn einer oder alle von ihnen verletzt oder sogar tot ist?" Finley weinte bitterlich, er hatte alles verloren. Morag schwieg nur, sie kannten sich kaum, etwas zu sagen wäre aus der Sicht der Wölfin jetzt unangebracht. Dann kam Elmar. "Los Finley! Flenne nicht sondern erkunde dein neues Zuhause!" Morag knurrte Elmar an. Finley schnaubte. "Deinetwegen könnte Holly jetzt tot sein und ich soll hier bei dir Leben?!" Finley war wütender als je zuvor. "Warum ist dir dieses Mädchen so wichtig?" "Ist doch egal! Ich will sie einfach nur suchen!" Morag hielt sich weitestgehend raus. "Sie wäre doch bestimmt froh, wenn sie wüsste, dass es dir gut geht! Und jetzt komm! Wir brauchen deine Hilfe, schließlich haben wir knapp achtzig Wölfe hier." Mit den Worten dreht Elmar sich herum und ging zum Gebäude. Morag stupste Finley an, sie wollte ihn dazu bewegen, Elmar zu folgen. "Wenn die Gefahr vorüber ist, werden wir sie suchen, versprochen." Als Morag dies sagte, setzte Finley sich in Bewegung. Er mochte die Wölfin sehr. Sie war fürsorglich, streng, ruhig und weise. Die beiden gingen schweigend zum Gebäude und Finley stellte fest, dass das Gebäude nur ein Bruchteil von dem Gelände war, auf welchem sich alle Anwesenden befanden. Die beiden gingen hinein. Innen machte Nancy Passfotos von allen und Elmar notierte die bestehenden Namen. Bis auf sechs hatten alle Wölfe ihre Nummern als Namen behalten. Finley nahm ohne ein Wort Elmars Liste und zerknüllte das Papier. "Wenn Nan alle Fotos aufgehangen hat, werde ich sie alle mit Namen beschriften. Nummern sind keine Namen." Mit den Worten setzte Finley sich in eine abgeschottete Ecke des Raumes, in welchem sie sich befanden und trauerte. Nan, welche dies mitbekommen hatte, gab Elmar die ersten Polaroidbilder. Elmar hängte diese auf und winkte Finley zu sich. Finley nahm Papier und Stift und machte Namensschilder. Elmar war erstaunt, wie einfallsreich er war. Nach etwa zehn Minuten waren sie bei dem vierzigsten Bild angekommen, die Hälfte. Nach weiteren zehn Minuten waren sie dann fertig. An der Wand hingen nun Fotos von allen dort wohnenden Personen. "Heute schlafen alle hier, außer man gehört zur Spezies Mensch." Verkündete Elmar. "Morgen wird renoviert und Aufgaben sowie Schlafplätze werden verteilt." Mit den Worten ging der Arzt. Nancy brachte Finley in ein Zimmer. Es war ein kleines Zimmer, es hatte ein Fenster und die Finleys erstaunen seine Sachen. "Wir haben all unsere Sachen schon heute morgen hier hingebracht." Die Dame verließ das Zimmer und Finley blieb alleine zurück. Er kuschelte sich in sein Bett und versuchte zu schlafen - vergeblich. Er wälzte sich hin und her und schaute immer wieder auf die Uhr, welche an der Wand neben seinem Bett hing. Dreiundzwanzig Uhr. Dreiundzwanzig Uhr dreißig. Mitternacht. Finley weinte und schrie in sein Kissen. Halb ein. Finley schlief weinend ein, die Erschöpfung hatte Finley eingeholt. Drei Uhr. Finley wachte auf. Er schaute nach draußen. Der volle Mond schien hell an dem dunklen wolkenlosen Himmel, um ihn herum waren kleine helle Tupfen namens Sterne. Es war kalt, doch nicht kalt genug, um sich wie November anzufühlen. Es war bereits Mitte November, der siebzehnte November, um es ganz genau zu sagen. Finley stand auf und ging zur Tür, welcher er leise öffnete. Leise schlich er sich hinaus in den Flur und dann schlich er wie eine Katze die Treppen hinunter, nur leider war er keine Katze. Das Holz der Treppen knarzte unter Finleys Gewicht leise. Mishka, die zusammen mit ihren Nachkömmlingen in Treppennähe schlief, wachte auf. Sie schaute Finley verschlafen an. "Komm her, Kleine." Flüsterte sie sanft. "Ein Junges mehr macht mir nichts aus. Aber bitte weck meine zwei anderen nicht." Finley liefen Tränen die Wangen herunter und er legte sich ohne Wiederworte zu ihr. Clover wurde kurz wach und kletterte still über Anais auf Finley. Finley streichelte das Welpenmädchen, bis diese einschlief. Auch Anais drückte sich mehr an Finley und lag letzten Endes halb auf ihn. Mishka hatte sich so positioniert, dass sie alle drei mit ihrer Körpertemperatur wärmen konnte. "Du kannst gerne immer hierher kommen. Nur weil ich bereits zwei Welpen habe bedeutet es nicht, dass ich mich nicht auch um dich Sorgen kann." Die weiße Wölfin gähnte und kurz darauf schliefen sie und Finley ein. Er fühlte sich geborgen und sicher. Keine Alpträume. Keine weiteren Tränen. Ein leichtes Lächeln und ein ruhiger Schlaf. "Schläft die noch?" "Ich weiß nicht, schau du doch nach." Finley nahm die Stimmen zwar wahr, war aber noch zu benebelt, um etwas zu realisieren. Jemand schleckte Finley durchs Gesicht und jemand anderes biss leicht in Finley's Ohr. Er grinst und öffnete die Augen. "Guten Morgen, Clover und guten Morgen, Anais." Finley hob Clover vorsichtig runter von seiner Brust und Clover wedelte nur aufgeregt mit ihrer Rute. Anais sprang die beiden immer wieder an. Einige Wölfe schliefen noch, während andere bereits wach und versammelt waren, unter ihnen auch Mishka. "Wie heißt du eigentlich?" "Hast du auch eine Nummer?" "Wir nennen dich Nacht!" Rief Anais quiekend. "Ja, weil du so schwarz angezogen bist!" Jaulte Clover zustimmend. "Ich heiße Finley, aber danke ihr beiden. Ihr dürft mich aber natürlich auch Nacht nennen, wenn ihr damit glücklich seid." Er lachte ein wenig. "Fin!" Johlte Clover und kletterte an Finley hoch. Mishka beobachtete die drei aus der Ferne, Finley konnte ihren Blick erfassen. Diese Wölfin hatte ihn behandelt wie einen ihrer Welpen und das obwohl er nichts weiter als Jugendlicher mit Problemen war. Mishka erhob sich von ihrem Platz neben Morag und gesellte sich zu ihren Welpen und Finley. "Mama, Fin ist spitze!" Kläffte Anais freudig. Mishka lachte leicht. "Danke, dass ich letzte Nacht bei euch sein durfte." "Du bist nun mal eine Waise. Ich konnte es nicht übers Herz bringen, dich so alleine zu lassen." In dem Moment kam Elmar in den Raum. Clover saß mittlerweile schon auf Finleys Schulter und schlug ihm ihre Rute immer wieder ins Gesicht. "Clover! Wo sind deine Manieren geblieben?" Empört hob Mishka ihr Junges von Finleys Schulter. "Ist Fin jetzt unsere Schwester?" "Ja, bitte Mama!" "Fin kann dann immer mit uns spielen und auf uns aufpassen!" Mishka lachte nur. "Wenn sie das möchte, ist das kein Problem." Sie schaute ihn liebevoll an. Sie hatte wunderschöne Augen. Ihr linkes Auge leuchtete in einem warmen Bernstein, während ihr rechtes so blau wie das Meer an der Karibik war. "Finley, ich heiße dich herzlich willkommen in meiner Familie." Die beiden Welpen quiekten glücklich auf und sprangen Finley und Mishka aufgeregt an. Finley hatte nun eine Familie und noch wichtiger: er hatte nun eine Mutter. Nun wurden auch mit und mit die anderen wach. Nancy kam nun herein und Finley konnte es kaum erwarten, ihr die Neuigkeiten zu überbringen. "Guten Morgen, Finley." Nancy war eine gute Person und sie würde bestimmt kein Problem mit Mishka's Entscheidung haben. Doch noch bevor er etwas sagen konnte, jaulte Clover auf und verkündete die Neuigkeit. "Hast du das wirklich getan, Mishka?" "Finley ist von nun an mein Welpe." "Sie ist ein Mensch! Mishka, du kannst keinen Menschen großziehen!" "Es ist egal zu welcher Spezies jemand gehört. Es kommt nur auf das an, was man fühlt. Finley ist mein Welpe. Egal wie alt sie ist und egal zu welcher Spezies sie gehört." Mishka's Nackenfell war gesträubt. Sie meinte es ernst und sie würde ihre Meinung mit allen Mitteln verteidigen. Der Instinkt einer Mutter. Elmar forderte alle nun Anwesenden dazu auf sich zu versammeln und ohne weiteres versammelten sich alle, woraufhin der Arzt eine Rede hielt. "Guten Morgen Wölfe, Welpen, Jungwölfe und natürlich auch Menschen die sich hier nieder gelassen und nun versammelt haben. Ich will nicht um den heißen Brei herum reden, jeder sollte bemerkt haben, dass wir hier eine Menge Arbeit haben und vor allem, dass wir Aufgaben haben müssen, eine Hierarchie. Ich habe mir zusammen mit Morag sechs verschiedene Arbeitsbereiche für jeden ausgedacht und eine Liste erstellt, die zeigt wer wo hingehört. Die erste Gruppe ist sehr klein und besteht aus Mishka, Aika und Mazie. Ihr drei seid zuständig für die Beaufsichtigung der Welpen, bis diese vier Monate alt sind und ihre Ausbildungen beginnen dürfen. Die nächste Gruppe, die Meute, ist zuständig für die Jagd und den Kampf. Ihr seid eine etwas größere Gruppe, da ihr zu zwanzig seid, darunter vier Lehrlinge." Er zählte alle zwanzig Wölfe auf, welche sich erhoben und zu einer Gruppe zusammensetzten. Zu ihrem Anführer wurde ein kräftiger Rüde mit langem grau-silbernen schwarzen Fell und gelben Augen, namens Sheriff ernannt. Elmar nahm einen Korb, in welchen sich Halsbänder befanden, und ging zu der Gruppe. Die Halsbänder bestanden aus rotem Leder und jeder Wolf, der zur Meute gehörte, bekam ein solches Halsband. Dann war die nächste Gruppe, die Patrouille, an der Reihe. Sie bestand aus zehn Wölfen und alle bekamen Lederhalsbänder in dunklem braun. Ihre Anführerin wurde Morag. „Nun kommen wir zu den ältesten Wölfen unter uns. Ihr braucht keinen Anführer und auch keine Pflichten." Elmar rief sieben Wölfe auf, denen er allerdings keine Lederhalsbänder gab. Nun war der Such- und Rettungstrupp. Dieser bestand - so wie die meisten Gruppen - aus zehn Wölfen. Ihr Anführer, Alphonso, war ein pechschwarzer großer Rüde mit grünen Augen. Ihre Farbe war grün - passend zu den Augen ihres Anführers. Dann wurden wieder zehn Wölfe aufgerufen, welche die Farbe schwarz bekamen und von einer schneeweißen Wölfin mit gelben Augen angeführt wurden. Elmar nannte diese Gruppe „Wächter", weil sie zuständig für das Bewachen des Lagers und das Kontrollieren von allem zuständig waren. Ihnen wurde die Farbe weiß zugeteilt. Nun blieben nur noch einige Wölfe mit Behinderungen übrig. Sie wurden zu Assistenten ernannt und waren somit dazu verdonnert, im Lager zu bleiben und bei einfachen Arbeiten zu helfen. Sie waren die einzige Arbeitsgruppe ohne Anführer und ihre Farbe war gelb. „Nan, du wirst von nun an für alle Haushaltsarbeiten zuständig sein und du Finley bist Verantwortliche bei den Wölfen. Du wirst mir alles Wichtige berichten und darfst dich gerne wie der Boss verhalten. Ich bin für den ganzen Bürokram zuständig." Mit diesen Worten beendete Elmar die Versammlung und ging weg. Finley hatte sich nach der Versammlung die Erlaubnis genommen, zusammen mit Anais und Clover das Lager zu erkunden. Das Lager bestand aus vier Gebäuden: einer Scheune mit Stall, dem Hauptgebäude (welches aus drei Stockwerken bestand und einem Einfamilienhaus sehr ähnlich sah), einem eher kleineren Haus und einem Gebäude, welches einer Lagerhalle ähnelte. Finley stellte erstaunt fest, dass es viel zu renovieren gab und in der Scheune, beziehungsweise im Stall, welcher direkt an der Scheune war, fand er zwei Pferde sowie eine Kutsche. Clover schien etwas ängstlich in der Gegenwart der Pferde, während Anais neugierig schnupperte. Finley hob Clover hoch. Das Welpenmädchen hatte die Rute zwischen die Beine geklemmt und die Ohren angelegt, ihre wunderschönen blauen Augen waren weit aufgerissen. „Ich habe Angst..” „Ich weiß, deswegen bin ich da." Sie drückte sich eng an Finley und winselte, Anais dagegen sprang immer wieder an den Stalltüren hoch und kläffte aufgeregt. Nur einige Meter von den dreien entfernt saßen Mishka und die beiden anderen Mütter. Mishka beobachtete ihre drei Welpen stolz. "Ein Glück halten sich nur deine Welpen mit diesem Balg auf. Ich verstehe nicht, wieso du diesen Menschen adoptiert hast, Mishka?" Mishka drehte sich um und schnaubte genervt. "Finley braucht auch eine Mutter und wenn Finley so eine schlechte wäre, hätten Elmar und Nancy sie nicht hergebracht. Mir erschließt sich nicht, wieso du, obwohl du ein Problem mit Menschen hast, mitgekommen bist, Aika?" Mishka blickte die schwarz-braune Wölfin eindringlich an. "Wir haben an die Sicherheit unserer Welpen gedacht. Uns sind die Kleinen schließlich wichtiger als alles andere." Meldete sich Mazie zu Wort und Aika nickte zustimmend. "Unterstellt mir nicht, dass ich meine Welpen nicht lieben würde. Ich bin eine gute Mutter, auch wenn ich Fehler mache. Finley zu adoptieren war kein Fehler, es war eine Entscheidung meines Instinktes. Man ist nicht dann Mutter, wenn man Welpen bekommt, sondern dann, wenn man die Unterschiede nicht sieht und ein Junges liebt und beschützt, so wie es das verdient." Mishka stand auf und trottete zu ihren drei Jungen, welche nun im Laub herumtollen. Mishka gesellte sich zu ihnen und alle drei zogen sie mit in ihr Spiel hinein. Aika und Mazie saßen nur da, ihre eigenen Welpen waren ruhig. Mazie´s Tochter, eine kleine Wölfin mit langem schwarzem Fell und braunen Augen, brach die Stille. "Mama, können wir nicht auch da mitspielen?" Mazie knurrte ihr Junges an und knuffte sie. Aika saß daneben und sagte nichts, sie schaue nur weg. Jede Wolfsmutter wusste, sich nicht in die Erziehung anderer einzumischen, egal wie schlimm die Erziehungsmethoden auch waren. Trotz der Aggression ihrer Mutter konnte das Welpenmädchen nicht ruhig bleiben und brach die Stille erneut, aber diesmal wegen etwas anderem. "Sie mal Mama! Da kommt Papa!" "Alphonso, was machst du hier? Musst du nicht irgendwelche Aufgaben erledigen?" Der Rüde nahm von Mazie keine Notiz, er wandte sich sofort seiner Tochter zu, welche er hoch hob und dann mit ihr zusammen davon trottete. Mazie sah ihm wütend nach, blieb aber schweigend sitzen. "Er bringt sie zu Mishka, sollte er das nicht vorher mit dir besprechen?" "Er ist ein Anführer. Ihm ist meine Meinung egal und außerdem ist er nur noch ihr Vater, nichts weiter." Mazie beobachtete das Geschehen wütend, während Aika nur schweigend daneben saß. "Wie heißt du? Also ich heiße Anais!" Anais sprang um Alphonsos Tochter herum und quiekte aufgeregt. "Noémie." "Wie schön! Hey Fin, Clover! Das ist Noémie!" Clover sah Noémie entgeistert an, Noémie konnte Clover schon von Anfang an nicht ausstehen. Fin begrüßte die kleine Schwarze mit einem Lächeln. "Alphonso, denkst du, es war richtig? Du solltest Mazie doch kennen in solch einer Hinsicht?" "Das ist mir egal. Mazie ist eine Rabenmutter, sie hat sich allgemein sehr negativ verändert. Das einzige gute an unserer Beziehung ist Noémie. Wobei man es nicht mal mehr Beziehung nennen kann. Aber nun zu dir, wo ist der Vater deiner Welpen?" Mishka seufzte. "Fin habe ich adoptiert und mein ehemaliger Gefährte hat sich dem Militärdienst gewidmet und mich anschließend verraten." Mishka sah ein wenig traurig zu Boden. "Du bist eine tolle Mutter. Ich rechne dir dein Handeln hoch an." Mishka sah kurz zu den Rüden auf. „Danke, aber du bist auch ein toller Vater." "Ich glaube, wenn ich dir früher begegnet wäre, würden unsere Leben nun ganz anders aussehen." Alphonso drehte sich herum und trottete davon. Mishka blickte ihm nach. "Nein, selbst wenn wir uns früher begegnet wären, hätte ich niemals mit dir eine Familie gegründet." Flüsterte sie. Finley setzte sich neben die weiße Wölfin. „Alles in Ordnung?" „Wenn ich sehe, wie gut du zu deinen Schwestern bist, ist immer alles in Ordnung." Finley lehnte sich an sie. "Woher wusstest du, dass ich ein Waisenkind bin?" „So was riecht man. Außerdem habe ich all deine Verhaltensmuster beobachtet. Ich bin selbst auch eine Waise." Finley schwieg. Er genoss die Wärme der Wölfin. „Hey Fin! Ich wette, wir sind schneller als du, wenn du reitest!" Anais schaute er herausfordernd an. „Herausforderung angenommen!" Finley sprang auf, sattelte eines der Pferde und machte sich anschließend bereit, los zu galoppieren. Anais platzierte sich zusammen mit den anderen beiden neben ihm und auf Noémies Startzeichen rannten alle vier los. Mishka lachte, blieb aber zurück. Finley galoppierte auf dem Pferd, während Anais und die anderen beiden ihm hinterherjagten. Nach einiger Zeit humpelte Clover nur noch hinterher. Die anderen hielten sofort an und Fin sprang vom Pferd und hob das Welpenmädchen hoch. Anais sprang panisch an ihm hoch und winselte. „Mein Bein schmerzt.“ Wimmerte Clover unter Schmerzen. Finley rannte mit Clover auf dem Arm zu Mishka, Anais sprintete hinterher. „Mishka!“ Finley keuchte und Anais bellte. Mishka kam auf die Drei zu gerannt. „Was ist geschehen?“ Mishka nahm ihr Junges sofort und umsorgte es, während Clover weiterhin wimmerte und Anais jaulte nur. „Wir müssen sie versorgen! Sie hat schmerzen!“ Finley sprintete los, Mishka und Anais folgten. Innen angekommen stürmten alle vier in Elmars Büro, ein kleiner Raum, in dem lediglich ein Schrank mit Bürotisch und Stuhl waren. Der Arzt räumte gerade den Schrank ein, wurde aber von Finley unterbrochen, als dieser herein gestürmt kam. Noch bevor jemand etwas sagen konnte, bellte Anais los. „Clover hat Schmerzen am Bein! Wir müssen sie versorgen!“ Der Arzt zögerte nicht lange und ging mit Finley, welcher die kleine Clover noch immer im Arm hielt, in einen kleinen Raum, welcher wie eine Arztpraxis eingerichtet war – naja, zum Teil eingerichtet war. „Mishka, bleib du hier und beruhige Anais.“ „Wieso kann ich nicht mit rein?“ „Der Raum ist zu klein und du sowie Anais, seid zu aufgebracht. Bleibt beide hier.“ Elmar ging rein und schloss die Tür von innen ab. Mishka blieb zurück und gab ihr Bestes, um sich und Anais zu beruhigen. Finley setzte Clover vorsichtig auf einem Tisch ab. „Es wird alles gut, kleine.“ Flüsterte Finley ruhig und mitfühlend. „Fin, du redest weiter ruhig auf sie ein und ich taste sie ab.“ Gesagt, getan. Finley lenkte Clover ab und Elmar tastete sie ab, gut ging es, bis Elmar ihren rechten Hinterlauf abtastete. Clover jaulte auf und versuchte irgendwie zu entkommen. „Bring sie zum Röntgengerät.“ Finley legte das Welpenmädchen auf einen Tisch, über dem ein Scanner hing und Elmar schaltete das Gerät ein. Finley sprach beruhigend auf Clover ein und Elmar kümmerte sich um den Rest. Nach etwa zehn Minuten war alles vorbei, das Ergebnis sollte allerdings erst dreißig Minuten später erfolgen. Elmar verließ die Praxis und gesellte sich zu Mishka. „Wie geht es meiner Tochter? Kann ich zu ihr?“ „Ich habe sie geröntgt. Ich gehe mal von einem falsch verheilten Bruch oder einer Knochenfehlstellung aus, das kann mit einer Operation wieder geheilt werden.“ „Verstehe.. Danke Elmar. Ich stehe in deiner Schuld.“ „Kein Problem. Allerdings wird sie trotz allem nie vernünftig rennen oder kämpfen können.“ Der Arzt ging wieder in die Praxis. Finley und Clover hatten jedes Wort gehört. Elmar räumte schweigend ein wenig auf. Er schien nachdenklich. Einige Zeit hielten sich alle drei an das Schweigen. Erst nach etwa zwanzig Minuten brach Finley das Schweigen.
"Elmar... Was ist los?" „Clover muss vermutlich operiert werden, allerdings bin ich alt und krank.“ „Wie krank?“ „Finley, ich muss dich anlernen, damit du eines Tages für alle sorgen kannst.“ Finley schaute zu Boden und er nickte. Warum antwortet er nicht auf meine Frage? Was versucht er zu verschweigen? „Ist gut. Ich mach es und ich werde dich nicht enttäuschen.“ Elmar lächelte und sah sich die nun fertigen Ergebnisse von Clovers Untersuchung an. „Wie ich sagte, eine Fehlstellung der Knochen.“ Finley versuchte auf dem Röntgenbild etwas zu erkennen und Elmar hielt das Bild in einem anderen Lichtwinkel, so dass nun auch Finley etwas erkannte. Der Arzt erklärte ihm sorgfältig alles, was auf dem Bild zu sehen war. „Die Operation wird am Freitag durchgeführt. Jetzt gibt es hoffentlich erst mal Abendessen und dann wird geschlafen. Morgen beginnen wir damit, das Hauptgebäude zu renovieren.“ Finley hob Clover wieder hoch und trug sie zu einem provisorischen Esssaal, in welchem sich bereits die Meute und die Patrouille befanden. Die Assistenten und Welpen sowie ihre Mütter kamen nun auch herein. Die Gruppe der Wächter folgten etwas später. Finley setzte sich abseits der anderen zusammen mit Clover auf den Boden. Mishka und Anais, welche Finley gefolgt waren, taten es ihnen gleich. „Fin!“ Campion kam auf die kleine Familie zugestürmt und schien extrem glücklich und stolz zu sein. „Ich alleine habe zwei Elche erlegt! Okay, Charlie und Aria haben ein wenig geholfen, aber egal. Sheriff und Dandelion haben außerdem ein paar Raubvögel erlegt und der Rest hat Nagetiere gefangen!“ Er blickte sich kurz um und sein Blick blieb an einer weiß-grauen Wölfin hängen. „Wen gaffst du da an, Campion?“ Fiepte Anais neugierig. „Aria, ich hoffe sie bemerkt mich nicht, sonst muss ich zur Gruppe zurück. Aria ist extrem grob, ich glaube sogar, dass sie ein schlimmes Aggressionsproblem hat. Ihr hättet sie bei der Jagd sehen sollen, leise wie eine Katze und aggressiv wie ein Wiesel.“ Finley schwieg und folgte mit den Augen Campion's Blick. Sie alle wurden von einem Aufprall aus ihren Gedanken gerissen. „Entschuldige, ich wollte euch nicht erschrecken. Ich habe einen der Raubvögel mit Aika und Mazie geteilt. Wir haben leider nicht sehr viel Futter.“ Clover und Anais stürzten sich hungrig auf den halben Kadaver und aßen, Campion hatte sich derweil ein Eichhörnchen genommen, welches ganz in seiner Nähe war und aß ebenfalls. Auch die anderen Wölfe aßen gierig. Finley stand auf und ging zu Nancy, er wollte sich versichern, dass es ihr gut ging. Zu Finleys Beruhigung saßen Nancy und Elmar zusammen und aßen. Das Essen dauerte wie zu erwarten nicht lange. Nach etwa zwanzig Minuten waren alle fertig und alle halfen beim Abräumen. Die Welpen spielten noch während ihre Eltern sich unterhielten und Lehrlinge rauften sich. Die Erwachsenen zogen sich allerdings mit und mit zurück, um schlafen zu können. Finley gesellte sich zu Campion, welcher gerade Aria herausforderte. Die Wölfin ließ sich darauf ein – zu Campion's Pech, denn sie war stärker. Der junge Rüde setzte zum Angriff an, doch die Wölfin beendete den noch nicht angefangenen Kampf, indem sie den Rüden am Nacken packte und brutal zu Boden schleuderte. Campion jaulte kurz auf und sie ließ los. Mit einem Schnauben drehte sie sich herum und trottete davon. „Cam, alles in Ordnung?“ Finley hockte sich zu ihm und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Campion brummte, rappelte sich auf und humpelte zu seinem Schlafplatz. Auch Finley ging zu der Stelle, an der er und Mishka sowie die beiden Welpen in der letzten Nacht geschlafen hatten. Clover lag bereits dort und Mishka umsorgte sie. „Fin, sei so gut und hol Anais.“ Finley pfiff daraufhin kurz und Anais kam angerannt. Sie war noch sehr überdreht, aber gehorsam. Sie legte sich neben Clover und versuchte einzuschlafen, während ihre Schwester nur wimmerte. Finley massierte behutsam Clovers Hinterlauf und das Wimmern hörte auf, kurz darauf schlief sie ein. Anais war noch wach und zu aufgedreht, um zu schlafen. Finley kraulte die kleine bis nun endlich auch Anais einschlief. Nun legte sich auch Mishka gähnend zur Ruhe und es dauerte nicht lange, bis auch sie schlief. Finley stand leise auf und ging ebenso leise hinaus in die Kälte des Nordens. Er spazierte durch das Lager und genoss den Wind, der ihn schwach umarmte. „Was wohl mit Holly und den anderen ist?“ Tränen stiegen er in die Augen. Der Wind wurde stärker und kälter, dann kam der Regen. Kalte Tropfen, welche sich auf Finleys Haut warm anfühlten, prasselten auf ihn hinab. Es war, als würde die Natur mit ihm fühlen und seine Tränen vergießen, um ihm diese Anstrengung zu ersparen. Er öffnete die Tür zur Lagerhalle, in welcher stapelweise Holz war. Finley nahm sich einige Bretter und baute. Er baute und baute. Stunde für Stunde. Der Wind war zum Sturm geworden und der Regen prasselte wie das Wasser eines Wasserfalls auf die Erde herab. Er hielt einen Nagel, nur noch einen Nagel, um die Basis zu vervollständigen. Ein Schlag mit dem Hammer. Ein gebrochener Daumen. Er wusste nicht, ob es ein Unfall oder Absicht war, aber Schmerz spürte er nicht. Ein weiterer Versuch. Ein Treffer. Der Nagel war nun im Holz und er begann damit, den nächsten Teil zu bauen. Zwei Bretter und ein Nagel. Ein weiterer Fehlschlag, ein blutender, gebrochener Daumen. Finley spürte nichts. Er bastelte weiter, als wäre nichts geschehen. Ein weiterer Nagel. Ein gezielter Schlag. Noch zwei Nägel und dann wäre auch der zweite Teil fertig. Es war nun ein Uhr nachts. Finley baute weiter. Das Blut tropfte auf das Holz. Er bemerkte nichts. Zwei Uhr. Das dritte Teil (welches auch das Letzte sein sollte) war nun fast fertig. Vier Uhr. Nun war alles fertig. Der Blutverlust machte sich mehr und mehr bemerkbar. Finley kippte um, er knallte mit dem Kopf gegen die Wand. Eine Platzwunde. Er blieb an Ort und Stelle liegen. Blut verteilte sich und bildete kleine Lachen. Finley schlief ein.
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Project Zero
FantasyAls ein Erdrutsch die kleine Stadt Mystic zerstört beginnt für den Teenager Finley ein Kampf ums Überleben.