Die Kälte des Winters

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Die Tage vergingen schnell. Finley wurde immer geschickter im Schwertkampf und auch im Umgang mit den anderen Waffen war er sehr talentiert. Mittlerweile war das Hauptgebäude komplett renoviert und jetzt war das Lagerhaus an der Reihe. Sie waren mit dem Renovieren sogar so weit, dass jeder ein Zimmer hatte und draußen wurde ein kleiner Versammlungsplatz „erbaut". Markiert wurde dieser durch einen großen Felsen, auf welchem sich Wölfe und Menschen niederlassen konnten, um vor der Menge besser sprechen zu können. Es war quasi eine Bühne. Es war Anfang Dezember und es begann ab und an zu schneien. Nicht viel Schnee, oft nur ein dünner Film auf dem Boden. Die Welpen erfreuten sich an jedem noch so kleinen Schneeregen und die Ältesten erfreuten sich immer an dem freudigen Gejaule der Jungen. Finley verstand sich gut mit jedem - außer mit Aria. Aria war sehr stark und mutig, auch vor ihrer Loyalität hatte Finley immensen Respekt. Allerdings konnte sie ihn nicht besonders gut leiden, dies merkte er jedes Mal aufs Neue. Sie war eine geborene Einzelgängerin und ging immer ihren eigenen Weg, sogar dann, wenn sie mit der Meute unterwegs war. Ihr Bruder, Charlie, war allerdings das komplette Gegenteil. Er war sehr gesellig und freute sich immer über Gesellschaft. Besonders mutig war er allerdings nicht und dies sorgte ständig dafür, dass er im Schatten seiner Schwester stand. Finley fand von Anfang an das Verhältnis der beiden Geschwister seltsam, Aria wirkte so, als würde sie ihren klammernden Bruder verabscheuen, aber mittlerweile wusste nicht nur Finley, dass Aria einfach nur alleine sein wollte. Sie liebte ihren Bruder und er liebte seine Schwester. Charlie hatte Campion und Finley beim letzten Schießtraining erzählt, wie schlimm ihre Vorurteile gegenüber Aria waren - sie war anscheinend extrem fürsorglich, wenn sie mit ihrem Bruder alleine war. Finley war allerdings viel mehr von dem Fakt erstaunt, dass Aria, obwohl sie so kalt und abweisend war, viele Verehrer hatte - so hatte Charlie es jedenfalls erzählt. Wie Finley mitbekommen hatte, war das Thema Partnerschaft nicht nur bei jugendlichen Menschen präsent, sondern auch bei den Jungwölfen. Clovers Operation verlief gut, allerdings konnte sie ihren Traum, sich der Meute anzuschließen, nicht verwirklichen. Finley verbrachte viel Zeit mit ihr, um sie aufzumuntern und zeigte ihr ständig, wie gut sie es bei den Assistenten haben würde. Anais dagegen war total aufgeregt auf den Tag, an dem sie endlich zum Lehrling ernannt werden würde. Der Such- und Rettungstrupp war ihr Wunsch. Mit den anderen Welpen hatten sie allerdings nichts zu tun, nur Noémie konnte ab und zu mit den beiden spielen, wenn ihr Vater sie vorbei brachte. Die drei verstanden sich gut, worüber Finley sehr froh war. Gerade war es erst mittags. Es regnete. Finley war auf dem Weg zum Trainingsplatz, welcher sich hinter der Scheune mit den Ställen befand. Heute würde er sich im Schwertkampf auf einem Pferd üben. „Finley, da bist du ja! Ich hab dich überall gesucht!" Finley drehte sich um. „Hi Campion. Was ist los?" „Sheriff sagt, ich werde sein Nachfolger!" Bellte der junge Rüde aufgeregt. „Glückwunsch. Ich gehe jetzt zum Training. "Bis später, Campion." Finley drehte um und wollte seinen Weg fortsetzen, aber Campion hielt ihn auf. „Du solltest eine Pause machen, schließlich hast du die ganze Nacht Fitness gemacht und mit den Wurfsternen und den Messern trainiert." „Ich muss trainieren. Ich konnte meine Freunde nicht schützen, jetzt muss ich zumindest euch und meine Familie schützen." Campion seufzte genervt. Er wusste, er konnte Finley nicht aufhalten, er war zu stur - was der junge Rüde sehr bewunderte. Er trottete hinter Finley her, so ruhig und unauffällig wie möglich. „Der Schnee unter deinen Pfoten knistert. Er hat dich verraten. Du musst nicht auf mich aufpassen, Campion." „Ich möchte mit dir trainieren." „Ich trainiere Schwertkampf auf Pferd." „Ich bin dein Gegner." „Warum?" „Vielleicht gibt es gegnerische Wölfe." Finley verdrehte die Augen und gab nach. Die beiden Freunde trotteten schweigend weiter, bis sie schließlich am Trainingsplatz ankamen. Finley ging zum Stall und wählte eines der Pferde, einen reinrassigen Tinker Hengst, welches er sattelte. Der Name des Pferdes lautete Avanti. Elmar hatte Avanti sowie das andere Pferd, einen Fjordinger Hengst, damals für seine Tochter gekauft. Leider war sie vor zwei Jahren verstorben und kurz darauf lernten Finley und Elmar sich durch Elmars Sohn, Andrew, welcher sich einige Monate zuvor mit Finley angefreundet hatte, kennen. Elmar hatte Finley sofort als Ersatz genommen - was Finley natürlich ein wenig gestört hatte. Finley stieg auf Avanti und trabte auf ihm bis zum Trainingsplatz. „Campion, reich mir bitte eines der Schwerter." Der Rüde gehorchte. Dann stellten sich beide auf Position. Er trieb Avanti dazu an, weiter zu traben, und Campion setzte sich und wartete auf seinen Einsatz. Finley trabte auf einem kleinen Rasen zu, doch noch bevor er dort ankam, setzte Campion ein. Der Rüde setzte zum Angriff an und Finley wehrte ab. Avanti galoppierte los, der Jungwolf hetzte hinterher. Finley wusste ihn mit dem Schwert abzuwehren, ohne jemanden zu verletzen. Nach etwa fünf Minuten jagten sie dann quer durch das Lager. Das ganze Spiel dauerte etwa zwanzig Minuten, dann wurde Campion in die Ecke gedrängt und in der Simulation getötet. Finley jubelte und Campion wedelte mit der Rute, während der Hengst schnaubte. „Tote Wölfe bewegen sich nicht!" lachte Finley und Campion sprang lachend auf. „Was macht ihr beiden da? Habt ihr komplett den Verstand verloren?" Finley erstarrte, als er Nancy's wütende Stimme vernahm. „Entschuldige, wir haben trainiert." Finley meinte es nicht ernst, aber Dank seiner schauspielerischen Fähigkeiten, welche Nancy überzeugten, verflog ihr Ärger recht schnell. Er trabte mit Avanti davon, zurück zu den Ställen. Campion suchte ein paar andere Lehrlinge, mit denen er weiter trainieren konnte. Am Stall angekommen, stieg Finley von dem Hengst ab und führte ihn in seine Box. Er sattelte den Hengst ab und räumte alles an seinen Platz und ging dann Richtung Hauptgebäude. Nach etwa zwei Minuten kam er am Hauptgebäude an und wurde von Rufen aus seinen Gedanken gerissen. Die Rufe kamen vom Haupttor, welches auf die letzten Tage aufgebaut wurde (natürlich wurde das gesamte Gebiet des Lagers durch einen riesigen Zaun begrenzt). Er ging dorthin. Am Tor stand ein Mädchen, in Finley kam kurz Hoffnung auf, doch er wusste, dass dies nicht Holly war. „Wer bist du?" Finley stand nun genau vor ihr, nur die Gitter des Tores trennten die beiden Fremden. „Amy. Amy Sinclair ist mein Name. Und wer bist du?" „Was willst du? Warum bist du hier? Wie hast du uns gefunden?" „Ich habe meine Eltern, die einzigen beiden Personen, die mir nahe standen, verloren. Sie kamen bei dem Erdrutsch ums Leben. Ich habe ganz knapp überlebt und bin nun schon einige Zeit unterwegs. Gerade habe ich nur aus Zufall das Tor erblickt und wollte mich hier niederlassen." Sie schien aufrichtig und Finley ließ sie herein. Er brachte sie schweigend zu Elmar. Amy musste ungefähr in Hollys Alter sein. Sie war ungefähr eins fünfundsechzig groß und schlank. Sie hatte wunderschöne, klare hellblaue Augen und langes, glattes braunes Haar. Finley schwieg. Er wollte keine Gespräche führen. „Wie heißt du?" Sie versuchte, Finley's Ruhe anzueignen, war aber zu aufgedreht. „Fin." Brummte er genervt. An Elmars Büro angekommen, klopfte Finley nicht einmal, sondern ging einfach hinein. „Eine Überlebende. Kümmer dich um Papierkram mit ihr, ich will mit Campion und den anderen noch etwas trainieren." Mit den Worten drehte er sich herum und ließ die beiden anderen im Büro zurück. Finley machte sich auf die Suche nach den Lehrlingen, stieß allerdings nur auf Charlie. „Hey Charlie, hast du Campion und seine Freunde gesehen?" Der braun-weiße Rüde schaute Finley neugierig an. „Wieso suchst du die?" „Training." „Trainiere doch mit jemanden, der dich richtig herausfordern kann? Wie wäre es wenn wir trainieren?" Finley lachte nur leicht. „Guter Witz! Wir beide wissen, du hast zu viel Schiss jemanden den du magst zu verletzen, deswegen meidest du das Training und Raufereien immer!" Der Rüde blickte ihn leicht wütend mit seinen eisblauen Augen an. Charlie sah vielmehr wie ein Alaskan Malamute als wie ein Wolf aus. In dem Moment kam Aria. Sie nahm von Finley kaum Notiz, sondern legte sich einfach neben ihren Bruder auf den Boden und schnaubte genervt. „Kämpfe doch gegenAria", blaffte Charlie und stieß seine Schwester dabei nur mit der Schnauze an. Aria knurrte kurz, aber stand auf. Ohne zu zögern packte sie Finley am Bein und riss ihn zu Boden. Finley trat mit seinem anderen Bein nach ihr und sie ließ ab - und griff erneut an. Sie hatte kein Erbarmen und bis so fest, dass Finleys Knochen knackten und Blut floss. Er schlug und trat so fest er konnte und zog letzten Endes ein kleines Taschenmesser. Jetzt eskalierte die Situation. Aus dem Training wurde Ernst und aus dem Ernst ein einziges Gemetzel. Charlie sprang dazwischen. „Es reicht!" Er hatte sich schützend vor seine Schwester aufgebaut, welche ihn zum Dank weg stieß und ihn mit einem Zähnefletschen zu Boden drückte. Dann ging der Kampf weiter. Immer mehr Blut bedeckte den Boden und der ein oder andere Knochen wurde angeknackst oder sogar gebrochen. Noch weitere Minuten kämpften die beiden miteinander, dann das Wunder: Aria wurde besiegt. Finley hatte es geschafft, die starke Wölfin zu Boden zu drücken. Sie leckte sich knurrend über die Schnauze, ihre Ohren eng angelegt und ihre Rute peitschte zornig so stark, dass der Aufprall auf den Boden zu hören war. Charlie riss die Augen erstaunt weit auf. Finley rappelte sich auf und sah nur keuchend auf Aria, die sich wütend auf rappelte und davon trabte. „Jetzt du, Charlie?" „Noch will ich leben!" Lachte der Rüde und sprintete seiner Schwester hinterher. Finley stampfte daraufhin davon. Er ging ins Hauptgebäude und in die Küche, wo er auf Nancy stieß, die gerade kochte. „Hi, Nan. Ich hab mit Aria trainiert und jetzt brauche ich eine heiße Schokolade und dann will ich schlafen." Gerade als Finley das Material für das Kochen seiner heißen Schokolade zusammensuchen wollte, ergriff Nancy das Wort. „Koch für Amy eine heiße Schokolade mit und dann lernst du sie kennen. Wenn ihr fertig mit euren Getränken seid, führst du sie herum und bringst sie anschließend in ihr Zimmer." Finley wollte etwas entgegnen, er hatte keine Lust auf neue Bekanntschaften, aber noch weniger Lust auf Ärger mit Nancy. Er kochte schweigend die heiße Schokolade, was zu seinem Glück nur etwa zehn Minuten dauerte. Danach ging er mit zwei Tassen aus der Küche und eine Etage nach oben, zum Gemeinschaftszimmer, wo Amy alleine saß und ein Buch las. Er stellte die Tasse vor sie und setzte sich dann ihr gegenüber auf einen Sessel, die Beine nah an seinen Körper gezogen. Sie legte das Buch weg und nahm ihre Tasse. „Danke", murmelte sie und trank. „Fin ist ein männlicher Name, aber du bist weiblich?" Fing sie an. „Fin ist ja auch nur ein Spitzname." Zischte er patzig zurück. „Du bist ein echt komisches Mädchen, aber ich finde es interessant." „Falls das eine Anmache sein soll, kann ich dir direkt eine Abfuhr erteilen." „Weil du hetero bist?" „Weil ich kein Interesse an dir habe. Nur weil du attraktiv bist, heißt das nicht, dass ich was von dir will." „Finde ich cool, so bist du nur noch interessanter." „Halt die Schnauze." Sie kicherte. Finley fand sie tatsächlich hübsch und wenn er ehrlich war, fand er sie sogar ganz nett. Aber dennoch wollte er den Kontakt mit ihr lieber vermeiden. „Ich will dir nicht auf die nerven gehen, aber wie identifizierst du dich? Ich meine schon alleine dein Name schreit nach Männlichkeit und -" „Ich bin nicht binär und steh auf Frauen. So, zufrieden?" Fauchte er zurück. „Und ich benutze männliche Pronomen, was allerdings weder die Wölfe noch Nancy und Elmar verstehen beziehungsweise wissen." Er trank seine Tasse leer und wischte sich an dem Ärmel seines schwarzen Zip-Ups den Mund ab, dann stellte er die Tasse vor sich auf den kleinen runden Holztisch. „Ach ja, da es kein freies Zimmer gibt, welches ich nutzen kann, teilen wir uns von nun an erst einmal ein Zimmer." Sie stand auf, nahm beide Tassen und ging dann runter in die Küche. Ernsthaft?! Ein Zimmer teilen?! Mit dieser Nervensäge?! Finley stand auf und ging noch eine Etage höher, wo die Schlafräume für Menschen waren. Die der Wölfe befanden sich zum Teil in einem großen Nebenraum der Küche und die anderen in einem anderen Gebäude. Finley ging in sein Zimmer. Seine gesamten Schränke und sein Bett. Kein anderes Bett. Nur seines. „Fuck", zischte Finley wütend. Er knallte die Tür zu und rannte zu Elmars Büro, welches sich direkt neben der Küche in einem kleinen Raum befand. Dort angekommen, riss Finley die Tür auf. „Was soll der Scheiß? Amy einfach in mein Zimmer einziehen zu lassen! Wenn das so ist, penne ich ab sofort nur noch bei Mishka!" Finley ging wütend raus und ließ Elmar mit einem verdutzten Gesichtsausdruck zurück. Nancy, die alles gehört hatte, ging ihm nach. Finley hatte sich draußen auf einen kleinen Schneehügel gesetzt und bockte herum. „Hey, Fin. Ich weiß das ganze ist schwer für dich, aber du musst versuchen loszulassen und dich auf Neues einzulassen." Finley stiegen Tränen in die Augen, als sie dies sagte und er bemühte sich nicht zu weinen - ohne Erfolg. „Amy ist ganz nett. Es würde dir gut tun, sie näher kennenzulernen, ich meine mit Campion und den anderen bist du ja auch mittlerweile sehr gut befreundet." Beide schwiegen. Finley weinte still vor sich hin. Nancy ging wieder ins Haus, Finley blieb alleine zurück. Kurze Zeit später kam dann Amy. „Verpiss dich. Ich will dich nicht in meiner Nähe haben. Ich will keinen Kontakt zu dir haben." Gerade als Finley aufstand, nahm sie seine Hand. Ihre Haut war weich und ihr Griff ganz sanft. Ihre Hände waren ein wenig kleiner als die von Finley. „Was hast du für ein Problem? Sparst du dich für eine andere auf?" „Schnauze! Da gibt es niemanden! Ich habe einfach genug Freunde!" Finley spürte, wie seine Wangen rot und warm wurden und wandte den Blick ein wenig ab. Sie kicherte daraufhin. „Komm, du brauchst erst mal etwas Schlaf. Und ich auch." Unrecht hatte Amy nicht. Finley war tatsächlich sehr müde, da er in der letzten Zeit kaum geschlafen hatte. Amy zog ihn hinter sich her in das Schlafzimmer. Im Schlafzimmer legte Finley sich wortlos und ohne weiteres ins Bett und kuschelte sich unter seine Decke. Er hatte immer noch nicht aufgehört zu weinen, gab aber auch keinen Mucks von sich. Amy zog sich um. „Fin, ich hoffe, es stört dich nicht, dass ich mir Kleidung von dir leihe?" Er gab keine Antwort, sondern seufzte nur. Amy machte das Licht aus und legte sich zu ihm unter die Decke. Ohne Wortwechsel schlief Finley relativ schnell ein, während Amy noch eine Weile wach blieb, bis auch sie letztendlich einschlief.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 12, 2023 ⏰

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