•Brillenträger•

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„So kann das nicht mehr weitergehen Sir, finden Sie nicht das Ganze hier ist eine Nummer zu groß für uns?" Lucy vergräbt die Hände in ihrem Gesicht, hängt jetzt wie ein müder Reissack auf ihrem drehbaren Bürostuhl und seufzt ununterbrochen.

„Für uns? Du meinst wohl, dass das hier eine beträchtliche Nummer zu groß für Sie ist. Ich komme hier bestens zurecht, wofür habe ich denn sonst komplexe Verhaltensmuster einstudiert, etliche Nächte wie ein Fanatiker gelernt? Nur um es jetzt mit den einfachen Fällen aufzunehmen? Ich bitte Sie." Lucy...wachen Sie endlich auf.

Lucy hebt den Kopf, als würde sie einsehen, wie lächerlich ihr Klagen auf mich gewirkt haben musste. Sie blinzelt ein paar Mal, zieht die enge weiß anliegende Bluse aus ihrem Rock und haucht ihre Brillengläser an. Daraufhin poliert sie sie vorsichtig und bedacht, sodass auch ja nichts zu schaden kommt.

Ich habe mal irgendwo gelesen, dass Brillenträger das Gestell in ihrem Sichtfeld nach einiger Zeit überhaupt nicht mehr wahrnehmen, weder das Gewicht dessen. 

Wir Menschen tendieren eben dazu, schnell zu adaptieren, uns unseren Lebensverhältnissen anzupassen. Zu ignorieren, was uns stört.

Lucy hätte dieses Brillengestell stören sollen, doch irgendwann tat es das nicht mehr. Vielleicht war ihr das scharf sehen wichtiger, vielleicht nahm sie dafür sogar in Kauf, ständig links und rechts einen schwarzen, dünnen Rahmen und vorne zwei runde Kreise sehen zu müssen. Vielleicht nimmt sie diese inzwischen auch überhaupt nicht mehr wahr und trotz dessen sitzt sie nun hier, spannt ihre saubere weiße Bluse, nur um die Flecken auf ihren Brillengläsern weg zu polieren. 

Die Flecken ihrer eigenen Handflächen, die sie bis eben noch in ihrem Gesicht vergraben hatte. Sie schien nicht zu realisieren, dass sie eine Brille trägt und das ganz sicher nicht von Vorteil ist. Ehe sie sich versah, wurde ihre gekünstelte scharfe Sicht zu einem Trümmerfeld aus punktierten Verschwommenheiten.

Kurz gesagt, den Fettflecken ihrer eigenen Hände.

Sowas nenne ich gerne eine gescheitere Adaption. 

Wir hören auf zu klagen über unsere schlechten Augen, nehmen dankend ein von Maschinen produziertes Gestell mit gekünstelter scharfer Sicht hin. Nehmen hin, auf dass es besser wird, wir mehr sehen können, aber es ist dann eben doch nicht optimal und plötzlich lassen wir uns von unseren Klagen mitreißen, vergraben die Hände in unseren Gesichtern und stellen später fest, dass dies ein fataler Fehler war.

Alles kann besser werden, aber niemals optimal. 

Wir passen unser Sichtfeld an, ignorieren die furchtbar störenden Ränder des Brillengestells, irgendwann fühlen wir nicht einmal mehr das Gewicht auf unseren Nasenrücken, doch dann plötzlich, in einem unvorhergesehenen Moment, fassen wir uns ins Auge und bemerken, dass wir keine Kontrolle haben und vor allem nicht zu jeder Sekunde des Tages.


Letztendlich sind wir alle nur hoffende Verschwommenheiten in einem System der gescheiterten Optimierung.



/was sagt ihr zum Kapitel?

Gerne Voten 🪽


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