•𝗣𝗮𝗻𝗶𝗸 𝗶𝗻 𝗱𝗲𝗿 𝗥𝘂𝗵𝗲•

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Die Patienten müssen nach jeder Stunde Freizeit, wieder eine Stunde in ihrem Zimmer eingesperrt werden. Freizeit bedeutet für jeden Patienten etwas völlig anderes. Schwerer betroffene Fälle dürfen zum Beispiel nur ihr Fenster kippen oder es nur dann öffnen, wenn sich Gitterstäbe davor befinden. Das sind solche Patienten, die dann nicht vor Suizid zurückschrecken würden. Die das Leben hassen und alles dafür tun würden, um zwei drei Stockwerke weit, das Fliegen zu erlernen, nur um sich dann leblos auf dem Rasen auffinden zu lassen. 

Das ist hier noch nie während meiner gesamten Karriere passiert. Doch meine Vorgängerin soll einen Patienten verloren haben dank ihrer Unnachsichtigkeit. So unnachsichtig, wie Lucy sich mit Winny verhalten hat. Der damals kranke Junge hat sich so perplex verhalten, dass Mrs.Jones ihn in ein abgesondertes Zimmer im dritten Stock eingesperrt hat. Sie hatte vergessen oder extra vergessen, dass die Fenster dort keine Gitterstäbe besaßen. Er war damals fliegen wie ein Vogel und danach tot wie eine Leiche.

Das stand überall in der Zeitung und sie wurde gleich darauf entlassen. Seitdem bin ich hier sowas wie der Chef. Zwar gefällt mir dieser Titel, aber nicht die damit verbundenen Verpflichtungen. 

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Weniger Kranke dürfen auf den undankbaren Gemeinschaftsbalkon, die gutherzigen Krankenpfleger nennen es auch gerne das „Wolkenparadies". Verstehe ich nicht, denn Wolken kann man ja wohl auch aus dem Fenster sehen und seit wann nennt man einen Balkon, den man mit anderen Gestörten teilen muss, ein Paradies? Das wird mir auf ewig ein Rätsel bleiben. 

Kommen wir einmal zu den Patienten, die so schwach eingeschränkt sind, körperlich und psychisch, dass sie den ganzen botanischen Garten, die Wiese hinter dem Haus und den Park mit lauter Wasserfällen sogar ganz alleine betreten dürfen. Natürlich nur für eine Stunde, danach folgt wie bereits gesagt, eine Stunde hinter Gittern. Hier sind es Gitter aus Glas, Holz und Türen. Es fühlt sich trotzdem wie ein Gefängnis an. Die Freizeit soll alles in allem pädagogisch sinnvoll sein oder wurde mir jedenfalls als solches verkauft. 

Um zumindest die Barrieren zu brechen und mich nicht vollkommen einem System zu beugen, das von unfähigen Möchtegern Experten entworfen wurde und als sogenannte „Freizeit" getauft wurde, habe ich mich dazu entschieden, eine Sonderregel einzuführen. Patienten, die sich den Umständen entsprechend, vorbildlich benehmen und ihre Aufgaben erledigen, sowie Medikamente brav schlucken, dürfen auch etwas mehr Freizeit bekommen oder Privilegien erhalten. 

Ein Belohnungssystem treibt die Motivation eines jeden Lebewesens an, ich nutze dieses Phänomen nur allzu gern für meine Zwecke. Hier muss jeder einfach nur (über)leben.

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Ich habe mich am Anfang meiner Zeit hier, einmal selbst für einen Tag und dreiundzwanzig Stunden in eine dieser Zellen, ich meine Zimmer eingesperrt. Wollte sehen, was das mit einem macht. Es war langweilig, monoton. Wenn einem Menschen sonst neonpinkes Licht nach ein paar wenigen Augenblicken im Auge brennt, ist es dort das immer gleich bleibende, sterile Weiß. 

Weiß, wie...ich finde nicht einmal einen passenden Vergleich, um diese Farbe zu beschreiben. Weiß wie ein Schwan? Nein. Ein Schwan ist dagegen grau. Weiß wie Milch? Nein. Milch ist dagegen geschmackvoll, vor allem im Kaffee. 

Es ist ein Weiß, das zerreißt.

Ich habe ein ruhiges Gemüt in panischen Situationen. Ungefähr wie da, als Winny abhauen wollte und ich mit einer geschickten Handbewegung die Gefahr entschärfen konnte.

Doch an diesem Tag und den darauffolgenden dreiundzwanzig Stunden, war mein ruhiges Gemüt einer völlig ruhigen Umgebung ausgesetzt. Ich war das nicht gewohnt und wurde panisch. Ich habe es nicht einmal ganz zwei Tage ausgehalten.

Panik in der Ruhe.

Grotesk, nicht?

Ich greife in mein Jackett und hole kleine runde Pillen heraus, nur um sie danach in meinem Rachen zu versenken, wie ein Schiff im Meer.



// Was sagt ihr zum Kapitel?

Voten🔪




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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 24 ⏰

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