1

128 12 9
                                    

Wincent

„Muss das sein?" Ich schaue Vanessa fragend an.
„Komm schon. Das wird lustig."
„Na gut. Aber wehe ich muss mich schick anziehen."
„Nein. Das ist ganz inoffiziell. Nur eine simple Firmenfeier", erwidert sie.
„Okay", gebe ich nach, denn ich habe absolut keine Lust mich mit meiner Freundin zu streiten.
Das tun wir ehrlicherweise in letzter Zeit viel zu oft und meistens wegen irgendwelchen Kleinigkeiten.
„Ich leg dir schnell etwas raus und dann geh ich duschen", sagte Vanessa und damit verlässt sie mein Büro.
Kaum hat sie die Tür hinter sich geschlossen, atme ich tief durch. Diese Situation verlangt mehr Beherrschung von mir ab, als ich will. Ich liebe Vanessa, keine Frage, aber irgendwie ist es nicht mehr wie am Anfang.
Als hätte sie meine Gedanken gelesen, klingelt mein Handy und das Bild meiner besten Freundin springt mir entgegen. Schnell klicke ich auf ‚annehmen' und keine Sekunde später schaue ich ihr ins Gesicht.
„Wince", begrüßt sie mich glücklich, doch wird sofort Ernst. „Alles gut bei dir?"
„Ja", lüge ich.
„Wincent", kommt es drohend von der anderen Seite, denn natürlich hat meine beste Freundin die Lüge sofort durchschaut. Sie kennt mich einfach viel zu gut.
„Amelie, ehrlich. Nichts, worüber du dir Sorgen machen musst. Ich komme klar."
„Ich mache mir aber immer Sorgen um dich", kontert sie.
„Musst du nicht. Ehrlich."
„Na gut, ich vertraue dir." Amelie klingt noch immer nicht so wirklich überzeugt. „Hast du kurz Zeit?"
„Kommt drauf an wofür", sage ich und werfe einen kurzen Blick auf die Uhr.
„Ich habe hier einen Stapel Termine und die müssten wir mal abstimmen. Also, falls du gerade einen Kopf dafür hast."
„Klar", antworte ich sofort, denn alles ist besser als über Vanessa nachdenken zu müssen.
„Okay, dann fangen wir an", verkündet Amelie und ich stelle mein Handy so ab, dass ich die Hände frei habe.
Hektisch suche ich auf meinem unaufgeräumten Schreibtisch nach meinem Kalender und entsperre zusätzlich noch meinen Laptop. Dort öffne ich meinen Kalender, der mit Vanessas Google-Konto synchronisiert ist. So kann ich nicht vergessen, ihr zu sagen, wann ich wo bin. Das ist nämlich auch immer so ein Streitthema.
„Wince?", kommt es fragend von meiner besten Freundin.
Verdammt! Meine Gedanken sind schon wieder abgeschweift.
„Ja, bin bereit."
„Sag mal, ist wirklich alles gut?"
Ich mache den Fehler und sehe zu ihr. Amelie hat die Augenbrauen hochgezogen und schaut mich prüfend an.
„Ich hab doch gesagt, du sollst dir keine Gedanken machen."
„Tu ich trotzdem und das weißt du", erwidert sie. „Wince, das hier macht nur Sinn, wenn du wirklich dabei bist. Sonst geh erst klären, was dich beschäftigt und wir machen das wann anders. Ist jetzt nicht so wichtig."
„Können wir das bitte machen?", frage ich und hoffe, dass ich nicht allzu verzweifelt klinge.
„Okay. Aber sobald du unkonzentriert bist, brechen wir ab", entscheidet Amelie.
Ich nicke nur zustimmend und atme erleichtert auf, als sie wirklich anfängt. Nach und nach gehen wir die nächsten Termine durch und ich kann mich wirklich erstaunlich gut konzentrieren. Wieder einmal fällt mir auf, wie sehr sich mein Leben verändert hat. So langsam merke ich, dass ich in der Musikbranche die Karriereleiter nach oben klettere. Also nicht, dass es in meinem Gehirn wirklich schon angekommen ist, dass ich langsam ein Star werde.
„Schaaaaatz!", höre ich meine Freundin rufen und bei einem Blick auf die Uhr bekomme ich einen Schreck.
„Schaaatz!", ruft Vanessa wieder.
„Amelie, ich glaub, wir müssen langsam aufhören. Ich hab noch einen Termin", sage ich leicht panisch.
„Wieder so ein Wohltätigkeitsding?", will sie skeptisch wissen.
„Ne, Firmenfeier. Total inoffiziell."
„Ah ja." Meine beste Freundin wirkt nicht überzeugt.
„Können wir den Rest morgen oder so machen?"
„Klar. Aber Wince, eine Bitte noch."
„Natürlich. Was?"
Sie sieht mich eindringlich an. „Bitte mach nur das, worauf du Lust hast. Du kannst ihr auch sagen, wenn du da nicht hin willst. Begeisterung sieht nämlich ganz anders aus."
„Du verstehst das nicht", wimmle ich Amelie ab. „Ich muss da hingehen. Überlebe ich schon. Wir reden morgen. Danke für alles. Hab dich lieb."
Damit beende ich das Telefonat genau im richtigen Moment, denn keine Sekunde später geht die Tür auf.
„Was machst du noch hier? Warum bist du noch nicht umgezogen? Wir kommen zu spät", mault Vanessa direkt.
„Entspann dich mal bitte", sage ich und drehe mich zu ihr um.
„Entspannen? Ernsthaft? Das ist eine Firmenfeier." Sie betont das letzte Wort noch einmal extra.
„Ja, eben. Was ist denn das Problem?", frage ich, denn ich verstehe es wirklich nicht.
Sie seufzt genervt und verdreht die Augen. „Zieh dich einfach um, ich warte im Auto auf dich. Du hast fünf Minuten." Mit diesen Worten dreht sie sich um und geht.
Ich schließe meinen Laptop, nehme mein Handy und laufe ins Schlafzimmer. Vanessa hat mir ein weißes Hemd, eine Anzughose und mein Jackett bereit gelegt. Inoffiziell aber Anzug? Will sie mich verarschen? Sie weiß, dass ich das hasse. Da ich allerdings nicht wirklich erpicht darauf bin, noch mehr Stress mit ihr zu haben, ziehe ich mich aus und quäle mich in die Sachen. Eher unzufrieden stehe ich vor dem Spiegel und wende schnell den Blick wieder ab. Stattdessen nehme ich meine Powerbank aus der Nachttischschublade, das Ladekabel auch und packe die Sachen zusammen mit meinem Handy in die Hosentasche. Anschließend gehe ich in den Flur, schlüpfe in meine weißen Vans und nehme den Wohnungsschlüssel vom Regal. Als ich abgeschlossen habe, laufe ich die Treppen nach unten und gehe zu meinem grünen Oldtimer, den ich auf den Namen Marki getauft habe. Vanessa findet das ja albern, aber das interessiert mich nicht. Marki war schon vor ihr da, damit muss sie sich ganz einfach anfreunden. Ich steige auf der Fahrerseite ein und Vanessa überreicht mir meinen Schlüssel.
„Die Schuhe sind ja wohl nicht dein Ernst, oder?", fragt sie.                  
„Doch. Hab keine anderen", antworte ich und starte den Motor.
Da wir sonst wirklich zu spät kommen würden, schweigt Vanessa ausnahmsweise mal. Ich verstehe bis heute nicht, warum ihr mein Aussehen so wichtig ist, wenn wir unterwegs sind. Normal im Alltag darf ich auch das tragen, was ich will. Und ehrlicherweise war ich in den Fernsehshows bisher nur in meinen normalen Klamotten. Dass ich überhaupt Anzüge besitze, liegt an Vanessa. Sie hat mich irgendwann mal dazu überredet, mit ihr shoppen zu gehen. Während der Fahrt reden wir nicht und als ich das Radio anschalte, bemerke ich im Augenwinkel, wie sie die Augen verdreht. Ich ignoriere es einfach und konzentriere mich einfach auf die Straße. Mir kommen wieder Amelies Worte in den Sinn, doch ich kann einfach nicht anders. Vanessa muss schon so viel zurückstecken, weil mein Job gerade immer mehr Aufmerksamkeit fordert, da kann ich ihr solche Wünsche einfach nicht ausschlagen. Oder?

Kein Lied für dichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt