Kiohime.

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Vor langen, langen Jahren, so erzählen sich die Leute, lebte ein armer junger Mönch, der sich durch Weissagen ernährte und zu dem Orden der Bergpriester gehörte. Er wohnte in einem Dorfe, das Kayane hieß; dasselbe liegt in der Provinz Mitschinoku und ist ungefähr eine Stunde weit von der Stadt Schirakawa entfernt, welche seither dort erbaut ist.

Antschin, das war der Name des jungen Priesters, verbrachte in stiller Zurückgezogenheit seine Tage und verblieb das ganze Jahr in seinem Dorfe mit Ausnahme einiger Wochen, welche er zu einer Wallfahrt benutzte. Diese Wallfahrt machte er alljährlich nach dem Tempel von Mikumano, der sich in dem hohen Gebirge von Murogori in der Provinz Kii befindet. Es war ein weiter, beschwerlicher Weg, den er zurückzulegen hatte, doch unverdrossen pilgerte er fort und fort; von der Wanderung hing das Heil seiner Seele ab, und deshalb wurde sie ihm leicht; sie war ihm ein Bedürfniß, das er befriedigen mußte, um die einsamen Tage in seinem heimatlichen Dorfe für sich und Andere segensreich zu gestalten.

Noch fünfzehn Wegstunden von dem Ziele seiner Pilgerfahrt entfernt, kehrte er regelmäßig in einem Dorfe ein, das Manago hieß, und übernachtete bei dem Ortsvorsteher. Die Leute kannten ihn schon von fern und hießen ihn stets freundlich willkommen, und er wiederum fühlte sich bei ihnen bald so zu Hause, daß er sich stets auf seine kurze Rast freuete und seine Schritte beschleunigte, wenn er das Dorf von weitem vor sich liegen sah. Der Ortsvorsteher hatte unter anderen Kindern auch ein kleines merkwürdiges Töchterchen. Dasselbe war unschön, ja mißgestaltet, dafür aber hatte es einen scharfen Verstand, lernte sehr früh lesen und schreiben und besaß so große Kenntnisse in der Litteratur, daß es weit und breit berühmt war. Das kleine verkrüppelte Mädchen hieß Kiohime. Es war der Stolz seiner Eltern, die es vor jedem Luftzuge bewahrten und es wie ihren Augapfel hüteten. Wenn Antschin die gelehrte kleine Kiohime erblickte, welche ihn stets freundlich begrüßte, so war er hocherfreut; er setzte sich zu ihr nieder, hörte aufmerksam zu, wenn sie ihre selbstgedichteten Lieder vorlas, und erzählte ihr in liebenswürdiger Weise Geschichten, die sie noch nicht kannte. Voller Aufmerksamkeit richtete das arme Geschöpfchen seine klugen, großen Augen auf den Erzähler, und als er einst im Spaße sagte: »Kiohime, wenn du erst groß und erwachsen bist, so will ich dich heiraten, du sollst meine Fran werden und mit mir in meine Heimat ziehen,« da lachte sie voll Freude hell auf.

So verstrich die Zeit; alle Jahre kehrte Antschin wieder, Kiohime wurde nicht schöner, aber älter, und als sie ihr dreizehntes Jahr zurückgelegt hatte und Antschin abermals bei ihrem Vater eingekehrt war, da trat sie um Mitternacht, als alles still im Hause war, vor sein Lager. Sie weckte ihn aus tiefem Schlaf und sprach zu seinem nicht geringen Erstaunen: »Nun ist die Zeit gekommen, Antschin, ich bin erwachsen; halte nun dein Versprechen, das du mir vor langer Zeit gegeben, und heirate mich; ich bin bereit, morgen, wenn du fortgehst, mit dir zu ziehen.« Antschin, als er ihre Worte vernahm, war sehr bestürzt und sagte ihr ganz ehrlich, er habe damals nur im Scherze gesprochen und dürfe auch gar nicht heiraten; er habe geglaubt, daß sie das wisse, und deshalb habe er auch nicht daran gedacht, seine damalige scherzhafte Aeußerung zurückzunehmen. Der arme Antschin mochte aber zu seiner Entschuldigung sagen, was er wollte: Kiohime achtete nicht auf seine Worte und bestand darauf, daß er sie mit sich nehme und zu seiner Frau mache. Sie war sehr leidenschaftlich und ganz außer sich bei dem Gedanken, daß er sein Wort nicht halten wolle; sie geberdete sich wie von einem bösen Geiste besessen und hätte das ganze Haus in Aufruhr gebracht, wenn Antschin sie nicht noch zu rechter Zeit beruhigt hätte. Es war ihm höchst unlieb, daß Lärm und Gezänk entstehen könnte, und deshalb entschloß er sich, Kiohime abermals zu hintergehen. Er versprach ihr, wenn er von seiner Wallfahrt zurückkäme, wolle er sie heiraten und in seine Heimat mitnehmen; am Wallfahrtsorte wolle er die Gottheit um ihre Erlaubniß dazu und um ihren Segen anflehen. Nun war das Mädchen zufrieden. Sie hatte zu wenig von der Welt gesehen und wußte nichts von Verrath; deshalb glaubte sie auch steif und fest an Antschin's Worte und legte sich beruhigt und glücklich schlafen.

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