12: Der Geschmack von Asche

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Siegfried klappte den Mund auf und wieder zu. Was sollte er darauf sagen? Glücklicherweise musste er sich keine weiteren Gedanken machen, denn es klopfte an der Tür.

Van Leestens Kopf ruckte herum. „Herein?"

Siegfried war froh, nicht mehr länger im Visier des mächtigen Hexers zu stehen. Stattdessen schaute er ebenfalls zu der sich öffnenden Tür. Lillian. Wenn er ihre zierliche Gestalt jetzt sah, überlief es ihn kalt. Heute Morgen noch hätte er sie kaum beachtet. Schließlich war sie ein Sergeant des Ordens, ihm damit unterstellt und an seine Weisungen gebunden. Aber jetzt sah er sie an und sah eine Frau, die im Raum stand, als würde er ihr gehören. Zwar folgte sie seinen Weisungen, aber nicht, wegen ihm, sondern weil sie sich selbst dem Orden und seinen Regeln unterworfen hatte. Heute Morgen noch hätte er darin keinen Unterschied gesehen – jetzt könnte er offensichtlicher nicht sein. Er war so dumm gewesen.

„Lillian! Wie schön, dass du da bist!", begrüßte Van Leesten die Vampirin mit jovialer Freundlichkeit, die die Frau mit einem knappen Kopfnicken erwiderte.

„Van Leesten. Ich wusste nicht, dass Sie sich persönlich um die Nachbesprechung kümmern. Dann hätte ich mich mehr beeilt."

Jetzt erst bemerkte Siegfried, dass sie das abgerissene Tanzkostüm gegen saubere, unauffällige Kleidung getauscht hatte. An ihrer Ausstrahlung änderten der knielange, dunkle Rock mit den schlichten Absatzschuhen und die weiße, hochgeschlossene Bluse nichts.

„Alles gut – ich hatte mich auch nicht angekündigt." Es klang wie belangloses Gesprächsgeplänkel, doch die Aufmerksamkeit mit der der Marshall Lillian beobachtete, wie sie ihre Tasche auf dem Tisch abstellte, strafte den Tonfall Lügen. „Raik ist noch nicht da. Hast du was von ihm gehört?"

Lillian schien einen Moment lang nachzudenken. „Nein." Mit einem kurzen Blick auf Siegfried zog sie sich dann einen Stuhl hervor und nahm darauf Platz. Trotz ihrer schlichten Kleidung hatte sie die gerade Haltung einer adeligen Dame, während sie ihren Vorgesetzten fast schon auffordernd ansah. „Ich denke, er hat eine Spur. Sonst wäre er schon zurück."

Einen Moment lang schien Van Leesten verdutzt, doch dann folgte er Lillians Beispiel und setzte sich der Höflichkeit halber ebenfalls. Wenn die Dame Platz nahm, sollte der Gentleman es auch tun. Und so folgte Siegfried dem Beispiel des Marshalls. Er hätte fast laut aufgestöhnt – bis jetzt, als die Anspannung aus seinen Muskeln wich, hatte er nicht gespürt, wie erschöpft er war.

Van Leesten räusperte sich überdeutlich und griff wieder nach der Wasserkaraffe, um sich nachzuschenken. „Ich hoffe, dass er nicht versucht, das Zirkelproblem selbst zu lösen? Möchten Sie auch noch etwas, Herr Werstein?"

Siegfried schüttelte den Kopf und warf Lillian einen betretenen Seitenblick zu. Ihr nichts anzubieten, fühlte sich falsch an. Als würde er sie ausschließen oder ihr den Unterschied zwischen ihnen noch mehr vorhalten. Aber gleichzeitig vertrug ihr Körper nicht einmal Wasser – und er konnte ihr schlecht sein Blut anbieten.

Die Vampirin schien es jedoch nicht zu stören, zumindest reagierte sie nicht weiter darauf und stellte stattdessen ihre Tasche fein säuberlich neben ihrem Stuhl ab. „Nein. Ich denke nicht. Er wird wahrscheinlich Informationen sammeln, zurück kommen und dem Orden die Strategieplanung überlassen. Meistens ist er nicht so dumm, sich selbst auf ein Selbstmordkommando zu schicken." Sie zögerte und schüttelte dann resigniert den Kopf. „Und wenn doch, such ich ihn nachher und kratz ihn von der Straße."

Hätte Siegfried in diesem Moment nicht zufällig zu Van Leesten geschaut, als dieser einen weiteren Schluck Wasser trank, wäre ihm das kurze, feine Lächeln auf dessen Gesicht gar nicht aufgefallen. Anscheinend schien alles zur Zufriedenheit seines Vorgesetzten zu laufen. „Sehr gut, sehr gut. Wollt ihr mir dann kurz erklären, wie der Auftrag verlaufen ist? Vorhin klang es nach Schwierigkeiten? Wie ich sehe, bist du verletzt?"

Der Geschmack von AscheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt