Nach dem Abendessen bin ich wieder auf mein Zimmer gegangen. Marie hatte Nachhilfe in ihrem Schulgebäude. Das war ein weiterer Nachteil unseres Heims. Es legte die Zeiten so blöd, eigentlich sollte Marie schon lange im Bett sein, wenn sie wieder kommt. Ich hatte schon versucht es zu ändern, aber man ließ hier ja nicht mit sich reden.
An meinem Zimmer angekommen, wartete Johann schon an der Tür. Fast hätte ich ihn vergessen.
"Na Süße", er kam mir entgegen und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Sein Atem roch nach Alkohol. Woher hatte er ihn? Die Aufseher achteten eigentlich auf sowas ziemlich streng.
"Was willst du?"
"Das weißt du ganz genau. Dich." Und in diesem Moment wusste ich, dass ich ihm nicht mehr entkommen konnte. "Schließ die Tür auf." Da mir nichts anderes über blieb, musste ich seinem Befehl nachgehen. In diesem Moment wünschte ich mir, ich wäre in meiner Traumwelt, denn dort konnte ich machen was ich wollte.
Johann ging, kurz bevor Marie wieder kommen sollte. Aber ich wollte nicht, dass sie mich so sah, wie ich jetzt aussah, also ging ich schnell duschen. Auch, damit ich die Spuren von Johann abwaschen konnte. Eine Stunde später kam Marie, völlig erschöpft und mit Tränen in Augen wieder. Total besorgt stürmte ich auf sie zu.
"Mariechen, was ist passiert?" Sie schluchzte einmal.
"I-Ich war s-so müde und konnte m-mich nicht m-mehr konzentrie-ieren und d-die Nachhilfe h-hat Frau Schwarz angerufen und m-morgen nach der Schule soll i-ich zu ihr ins Büro". Als sie das letzte Wort sprach, war es um sie geschehen und sie brach nun ganz in meinen Armen zusammen. Wieso tut die Nachhilfe sowas? Marie ist doch erst acht Jahre alt, kein Wunder, dass sie abends um zehn Uhr mit der Konzentration am Ende ist! Und deshalb gleich Frau Schwarz anrufen? Pfah, die bekommt morgen was von mir zu hören.
"Pscht, Marie, alles ist gut. Ich werde morgen mit kommen und dann rede ich mit Frau Schwarz."
"Aber ich w-werde Ärger bekommen!"
"Nein Marie, wirst du nicht, ich kümmer' mich drum. Leg' dich jetzt ins Bett, damit du morgen früh schön ausgeschlafen bist." Ich drückte ihr eine Kuss auf die Stirn und nachdem wir gemeinsam unsere Zähne geputzt haben, gingen wir in unsere Betten.
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"Das können Sie doch nicht machen!"
"Ach ja, und wieso nicht?!"
"Marie ist acht! ACHT JAHRE! Man kann doch keine acht jährigen bis um zehn Uhr in die Nachhilfe schicken und hinterher bestrafen, weil sie müde sind!"
"Siehst du doch, wie ich das kann!", zischte Frau Schwarz. Blöde Schnepfe.
"Das ist doch schon ein Verstoß gegen die Menschenwürde!" Mit jedem Satz, den ich sagte, wurde ich lauter.
"Diese Entscheidung liegt immer noch bei mir und nicht bei dir."
"Inwiefern ist das eine Entscheidung?! Das ist ein Gesetz!"
"Das reicht mir so langsam! Du solltest froh sein, dass ihr hier leben könnt! Stell dir vor, dieses Heim gäbe es nicht, dann wärt ihr jetzt auf der Straße!"
"Lieber wäre ich auf der Straße, als hier so behandelt zu werden." So langsam fehlte mir die Energie, um weiter zu diskutieren. "Und nur, damit Sie es wissen, ich werde Marie wieder mit nach oben nehmen" Und mit diesen Worten verließ ich ihr Büro. Meine kleine Marie hat auf einem Stuhl neben der Tür gewartet.
"Bekomm' ich jetzt ärger?", fragte die Kleine mich.
"Nein, ich hab mir Frau Schwarz geredet, alles ist gut." Schweigend verließen wir den Verwaltungstrakt. In dem Gang zu unserem Zimmer brach sie das Schweigen.
"Wieso hat Frau Schwarz dich angeschrien?" Ob ich ihr sagen konnte, dass unsere Direktorin ein Monster war und sie ihr wirklich ärger geben wollte? Nein, das würde ihr nur zu viele Sorgen und Angst machen.
"Weißt du, manchmal merken Menschen, wenn sie reden, überhaupt nicht, dass sie in der Stimme lauter werden. Manchmal regen sie sich über eine Sache einfach zu sehr auf.", versuchte ich ihr vorsichtig zu erklären.
"Und wieso habt ihr euch aufgeregt?" Jetzt geriet ich wirklich in Erklärungsnot.
"Ähm... Sie hat mir gesagt, dass es in nächster Zeit keine Salami geben wird.", log ich. Aber sie schien es mir abzukaufen, da ihre Augen groß wurden. "Also hab ich ihr gesagt, dass es wieder welche geben soll", fügte ich noch hinzu.
"Wird es wieder Salami wieder geben?"
"Sie hat mir zwar keine eindeutige Antwort gegeben, aber ich schätze schon. Wir müssen uns jetzt aber beeilen, es gibt gleich Mittag."
Der Tag verging schleppend. Nach dem Mittagessen waren für mich noch zwei Stunden Schule angesagt. Jetzt war aber zum Glück schon Abend, nach elf. Marie lag in ihrem Bett, Johann war heute nicht aufgetaucht und auch Frau Schwarz hat nichts mehr von sich hören lassen. Also konnte ich erstmal ohne Sorgen einschlafen.
Die Sonne geht unter. Wo bin ich? Ah, ich bin im Park. Ach, wenn ich schon einmal hier bin kann ich ja gleich mal spazieren gehen. So liebe ich es. Ich weiß, dass das nur ein Traum ist. Hier kann alles passieren, was ich will. Zum Beispiel kann ich jetzt Schnee fallen lassen, obwohl es Sommer ist. Siehst du den Schnee? Wie er in dem wenigen Sonnenlicht, welches noch über ist, schimmert? Du glaubst es mir jetzt bestimmt. Obwohl ich keine Ahnung habe, wer du bist. Bin ich in einem Film und ich rede mit den Zuschauern im Kino? Oder in einem Buch und meine Gedanken werden hier niedergeschrieben und du bist der Leser? Oder auch eine Leserin? Oder ein Kinobesucher oder eine Kinobesucherin? Oder das Buch wurde verfilmt und du hast es gelesen und schaust es jetzt? Oder du bist nur eine Einbildung meinerseits. Das ist wohl am wahrscheinlichsten. Schließlich ist mein Leben so öde, wieso sollte man das verfilmen? Nur meine Träume sind toll. So wie ich hier durch den inzwischen vollkommenen verschneiten Park mitten im Hochsommer gehe. Ich höre eine Stimme. "Leonie!" Oh nein, nicht der schon wieder... "Leo, bleib doch stehen." Du willst wissen, wer das ist? Das da ist ein Junge. Ich drehe mich um, zu der Richtung, woher die Stimme kommt. Und mal wieder bin ich von seiner Schönheit verblüfft. Wie seine schwarzen, halblangen Haare in dem Wind wehen. Weiße Schneeflocken hängen dazwischen. Schon vom Weiten kann ich sein Grinsen sehen. Er mag es, mich zu ärgern. Dabei stechen seine Grübchen immer am meisten heraus. Aber ich werde nicht stehen bleiben. Unsere letzte Begegnung war nicht toll. Ich hatte über rein gar nichts mehr die Kontrolle. Ich muss mich konzentrieren um alles kontrollieren zu können, aber in seiner Gegenwart ist meine Konzentration am Ende. Als ich meinen Blick wieder nach vorne wende und einmal blinzele, steht er auf einmal direkt vor mir. Ich krache in ihn hinein und wir fallen hin. "Was machst du nur mit mir..." Habe ich das gerade wirklich gesagt? Sein Grinsen wird zu einem sanften Lächeln. "Das Selbe könnte ich dich fragen"
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Doch dann kam Felix
Fiksi RemajaIch dachte, ich kenne alles. Ich dachte, ich hätte alles erlebt. Ich dachte, alles würde irgendwann aufhören. Aber wie sagte meine Mutter immer: »Man sollte das Denken den Pferden überlassen, die haben einen größeren Kopf.«