Kapitel 1
Auch heute begann die gleiche trostlose Routine erneut, meine Schwester Atropos drängte mich zu sputen. Atropos ist eine der drei Moiren also eine Schicksalsgöttin. Sie durchtrennt den Lebensfaden eines Menschen und entscheidet, wie er stirbt. Man nennt sie auch die Unabwendbare und Unerbittliche. Als ich das Ufer erreiche, warteten dort bereits weitere Seelen auf mich. Ich seufzte und musterte sie eingehend. Auch heute war niemand Besonderes dabei, so schien es. Die vereinzelten kreischenden Seelen waren kaum zu ignorieren und jagten mir eine Gänsehaut über den Nacken. Es waren die Seelen, die ich nicht ziehen ließ. Es gab für mich klare Anweisungen bezüglich der Übersetzung vom irdischem Reich ins Totenreich. Sie mussten tot sein und einen Obolus, einen Charon Pfennig dabei haben. Sobald sie mir die Münze zahlen, setze ich sie über den Fluss Acheron und führe sie in die Unterwelt. Im alten Griechenland war es der Brauch, dass man den Toten bevor sie begraben wurden eine Goldmünze unter die Zunge legte als Zoll für den Fährmann. Hatte man keine, so musste man 100 Jahre lang zwischen dem irdischen und dem Totenreich ausharren, bis ich sie kostenlos mitnehme. Für mich als Gott mag das keine lange Zeit mehr sein, doch für wehklagende Seelen schon. Sie fingen mit den Nägeln an meiner Fähre zu zerren. Das Holz ächzte unter deren scharfen Nägeln, die sich ins Holz bohrten. Die Seelen umgab ein verhängnisvoller Nebel und der Gestank von Verwesung steigt mir mit voller Wucht in die Nase. Ich würge leicht und fange an, mit dem Skull nach ihnen zuschlagen. Sie wichen zurück und fauchten mich an. Diese Gestalten hatten nichts Menschliches mehr an sich. Ich schlucke schwer und kassiere den Zoll von den angekommenen Seelen. Später am selben Tag empfing ich erneut einige Neuankömmlinge und erkannte schon von weitem, dass etwas nicht stimmte.
Ich konnte nicht benennen, was es war, aber es war dieses dumpfe, alarmierende Gefühl, dass mir Sorgen bereitete. Aber wer weiß vielleicht macht mich das Alter ja paranoid? Obwohl man mir mein Alter wohl gar nicht ansehen würde. Ironischerweise sehe ich nicht älter aus als 20. Ich mustere meine Gestalt, die sich auf der Flussoberfläche spiegelt. Lange schwarze Haare fallen in Wellen über meine zerknitterte abgeranzte Kleidung. Undefinierbarer Dreck und Schmutz setzt sich auf meiner Haut ab. Meine Haare sind verfilzt und fettig. Ich hebe meinen Arm und rieche vorsichtig, um beschämt meinen Arm wieder zu senken. Es wurde mal Zeit dachte ich. Ich muss dringend mal wieder vorzeigbar sein. Ich ließ mich wirklich gehen. Seufzend und mürrisch ruderte ich den Fluss hinab und stoppe kurz vor der Anlegestelle , das Boot wird langsamer und ich verlagere mein Gewicht, um am Steg anlegen zu können. Ich befestige das Boot und ziehe mich hoch und bahne mir einen Weg durch Gestein und Geröll und undefinierbaren Dreck. Nebelschwaden umschließen meine Beine und auch das Rauschen des Flusses ist bald nur noch ein schwaches Plätschern, je weiter ich vordringe.
Ich erreiche mein Ziel und stoße die stämmige Tür zu der heruntergekommenen Unterkunft auf. Die Tür gibt ein bedenkliches Knarren von sich, als ich mich mit meinem Körper dagegen stämme, das schließlich nachlässt. Meine kleine Bleibe war ein Bergvorsprung, den ich notdürftig mit Holzbalken abgedeckt hatte. Die Kälte hielt es zwar nicht raus, doch ein gewisses Gefühl von Privatsphäre gab es mir trotzdem. Obwohl es wahrscheinlich eh niemanden hier unten im Hades gab, der sich dafür interessierte, was ich tat. Und das war auch gut so. Der Raum war ziemlich klein, doch er sollte reichen. Ich hatte nur dürftig einen Tisch und einen Stuhl aus dem Geröll und dem Holz gebastelt und eine kleine Feuerstelle zum Kochen ,weiter zum Ausgang, damit der Rauch abziehen konnte. Der Ruß darunter zeichnete sich ab und ich musterte entnervt die kleine Staubschicht, die sich überall verteilt hatte und deren Staubpartikel, die bei jedem weiteren Schritt aufgewirbelt und durch den Raum verteilt wurden.
Müde griff ich nach meinem Messer und schnitt mir die Haare so kurz wie möglich, da sie mir zu lang geworden waren. Ich streifte die verschmutzte Kleidung ab und griff nach der Wasserschale. Ich lief hinab zum Fluss und wusch mich ausgiebig. Ich fühlte mich wieder lebendig, dachte ich augenrollend, da dieser Gedanke anhand der Umstände hier unten wirklich zum Schießen war. Ich gehe wieder zurück und lasse mich auf dem notdürftigem Bett aus Fellen und Leder sinken und seufze unzufrieden. Auch jetzt lies mir meine Schwester keine Sekunde Ruhe. Ich hörte die nervtötende bestimmerische Stimme meiner Schwester Atropos in meinem Kopf. Neue Seelen. Ich stand auf und trottete lustlos herab zum Fluss und machte mich auf den Weg.
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Charon der Fährmann
FantasyCharon der Fährmann aus der griechischen Mythologie sehnt sich nach viel mehr als dem trüben Darsein im Hades, doch scheint keinen Ausweg zufinden, bis eines Tages ein seltsamen Mädchen in sein Reich eindringt.