TRACK 2

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ENGLISCH ODER FRANZÖSISCH?

MIA



Kaltes und vor allem nasses Wetter war ich gewohnt, doch was mich erwartete, als ich aus dem Flieger stieg, war etwas anderes. Unsicher überlegte ich, ob ich genug warme Pullover eingepackt hatte – das konnten nicht viele sein, mein ganzes Gepäck hatte schließlich in den Rucksack passen müssen. Jedenfalls war darunter kein Winterparka, der lag nämlich in einem der Umzugskartons bei meinen Eltern.

Da ist er wirklich gut aufgehoben, schimpfte ich mich selbst, da ich nicht eine Sekunde darüber nachgedacht hatte, den Parka mitzunehmen.

Ich zog meine viel zu dünne und schlecht gefütterte Winterjacke etwas enger um meinen Körper. Die Klimatabelle im Internet hatte eindeutig gelogen, das hier waren nicht die für März angegebenen vier Grad. Sobald ich im Chalet war, würde ich nach einem Laden für kanadische Winterkleidung suchen müssen, wenn ich nicht als Eiszapfen enden wollte.

Es blieb nicht viel Zeit, sich am Flughafen umzusehen, denn kaum hatte ich die Passkontrolle und den Zoll hinter mir gelassen, entdeckte ich meinen Namen bereits auf einem großen Schild. Langsam dämmerte mir eine Sache, die zum Problem werden könnte: In Québec sprach man Französisch, eine Sprache, die ich nicht beherrschte. Das konnte ja heiter werden.

»Mia Hayes?«, fragte der nett aussehende Mann mit dem Schild, als ich vor ihm stoppte.

»Ja«, antwortete ich verlegen und betete, dass er Englisch sprach.

»Sehr schön.« Der Mann nahm mir meinen Rucksack ab und deutete mit einer Handbewegung an, ihm zu folgen. »Und keine Sorge, wir haben im Chalet eine dickere Jacke für dich.«

Es war also nicht zu übersehen, dass ich fror. Zu meiner Erleichterung sprach er Englisch, zwar mit einem französischen Akzent, doch dieser ließ seine Worte viel eleganter klingen. Der Mann stellte sich mir als Armand Fortier vor, der gemeinsam mit seiner Frau Thérèse das Chalet und einige Gasthäuser betrieb, in denen ich die nächsten Monate aushelfen würde. Auf dem Weg zu seinem Wagen erklärte er mir, dass sie in der Wintersaison fast ausschließlich Wintersportler beherbergten und im Sommer viele wanderfreudige Touristen aus den USA kamen. Wir befanden uns demnach in den Anfängen der Nebensaison, in der sich weniger Gäste in die Region verirrten.

Armand packte meinen Rucksack auf die Ladefläche seines Pick-ups, während ich auf den Beifahrersitz schlüpfte. Dass ich vorher davon ausgegangen war, dieser wäre wie zu Hause in Großbritannien auf der linken Seite, würde mein kleines Geheimnis bleiben.

»Tourismus ist hier das Hauptgeschäft, wie du dir vorstellen kannst, und dass du kein Französisch sprichst, wird niemanden interessieren. Viele lieben den britischen Akzent.« Er schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln, als er hinter das Steuer rutschte und den Wagen startete.

Es gab genau zwei Optionen für uns Briten: Entweder man mochte unseren Akzent oder man hasste ihn. Es war zudem erleichternd, mich nicht noch zusätzlich mit dem Lernen einer neuen Sprache herumschlagen zu müssen und nicht die erste Aushilfe zu sein, deren Französisch quasi nicht existierte.

»Ist es in London wärmer?« Armands Blick auf meine Jacke ließ erahnen, wie er auf diese Frage kam.

Small Talk, leider nicht meine Paradedisziplin. Die meisten hielten mich für die aufgeweckte, kecke Blondine, die ich aber nicht war. Ich tat mich schwer, mit anderen Menschen ins Gespräch zu kommen, und meine sozialen Akkus waren nicht die größten. Nun wurde es allerdings Zeit, über meinen Schatten zu springen.

»Ein paar Grad«, antwortete ich daher knapp und schob meine Hände unter meine Oberschenkel, um sie mit der Sitzheizung ein wenig aufzuwärmen.

»Mit der richtigen Jacke wird das. Und wenn du dich erst an das kanadische Wetter gewöhnt hast, kommt dir London wie die Karibik vor«, scherzte Armand. Es wirkte, als wäre er nah dran, sich für diesen Witz auf die Schenkel zu klopfen. Dass sich London niemals wie die Karibik anfühlen würde, behielt ich daher lieber für mich.

Stolen Beats - Lucky Dilemma - LeseprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt