Schützende Sphären

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Keine sinistre Maschinenhalle, keine endlosen Reihen mit scheintoten Körpern in Glasbehältern oder grelle Studiobeleuchtung erwartete ihn. In rund zwei Metern Tiefe schien ein Meer aus grünen Blättern zu wogen. Er schaute von oben auf eine dichte Baumkrone, die der Wind in der Dunkelheit bewegte. Wobei ... Vielleicht war das mit dem Studio doch nicht so abwegig. Falls dem so wäre, sollte ihre Aufgabe deutlich leichter werden, als wenn eine hochgerüstete Roboterarmee auf sie wartete.

»Die könnten sich ja durchaus dort unten verstecken«, merkte sein KI an.

Entwickelte das Teil jetzt auch noch einen Sinn für Ironie? Ihm fehlte der Nerv auf die sinnfreien Kommentare einzugehen. Vorsichtig schwang sich Melvin durch die Öffnung, griff sich das Seil mit den Händen und ließ sich langsam in die wogende Masse herab. Feine Zweige und Blätter verhakten sich in seinem Mantel und schabten am Helm entlang, während die Äste dicker wurden und er sich dem Stamm näherte. Er hörte, wie Stoff zerriss, aber es kümmerte ihn nicht. Auf halbem Weg setzte er seine Füße in einer Astgabel ab und schaute sich um.

Der Baum stand am Rande eines Gehweges. Er war Teil einer feudalen Einfahrt, die sich im weiten Bogen vor einer dreistöckigen Villa im Südstaatenstil schwang. Gelbliche Straßenlaternen erleuchteten ein Grundstück, das bunte Blumenrabatte und akkurat gestutzter Golfrasen überzogen. Befände er sich nicht unter einer künstlichen Kuppel, hätte er angenommen, auf dem Grundstück eines Superreichen gelandet zu sein.

»Ihr könnt runterkommen«, informierte er die anderen und ließ sich komplett herab, »so weit ist hier alles friedlich.«

Sekunden später schwangen sich Red und Aiko herunter und landeten neben ihm auf dem weichen Gras. Es roch nach frisch geschnittenen Pflanzen und lauem Sommerabend.

Seine ehemalige Kameradin wollte keine Zeit verlieren: »Beeilung. Das Fluggerät der Wachtruppe war bereits zu hören. Die kommen hier gleich an. Versuchen wir unser Glück am Haus. Wir brauchen einen Zugang zum hiesigen Netzwerk und haben nur einen minimalen Vorsprung.«

Geduckt huschten sie durch den Garten in Richtung Villa. Weder erkannte er Überwachungskameras noch Menschen oder sonstige verdächtige Gegenstände. Es war hier beinahe zu friedlich – wie in einem Filmstudio. Und im Bunker waren damals auch keine Kameras oder Mikrofone sichtbar gewesen. Zügig umrundeten sie das Gebäude, um aus dem Sichtfeld zu verschwinden, falls sie verfolgt wurden.

Während Aiko die Rückseite nach einem Schaltkasten absuchte, ging er zur Hausecke und warf einen Blick zurück. Mit Schrecken erkannte er vier schwarze Silhouetten neben dem Baum, die mit erhobenen Gewehren die Umgebung sondierten. Sicherlich verfügten die über Nachtsicht und Infrarot. Ruckartig drehte er sich weg und gab den anderen Bescheid.

»Wir gehen ihnen so lange wie möglich aus dem Weg«, meinte Red. »Bisher gibts noch keinen Alarm. Aiko? Wie siehts aus?«

»Ich ... habe ... es ... sofort«, kam ihre abgehackte Antwort, während sie an einem Kasten auf Bodenhöhe hantierte. »Okay ... das System ist von innen nicht groß gesichert. Hier ist ein Lageplan. Ich gleiche die Datenbank mit unseren Zielpersonen ab ... gefunden!«

So schnell? Melvin konnte es kaum glauben. »Und? Wo sind Lena und Kim?«

»Nicht weit weg«, erläuterte ihn die Asiatin und zeigte ihm ihr Tablet. »Hier. Nur drei Grundstücke entfernt. Das sollte es sein. Hausnummer siebenunddreißig.«

»Dann nichts wie ...«

»KEINE BEWEGUNG!«, erscholl der Befehl eines schwarz Uniformierten, der in diesem Moment um die Hausecke trat und ihn anvisierte.

Mit dröhnendem Hämmern jagte Melvin dem Bewaffneten eine Salve aus seinem Sturmgewehr genau ins Visier. Er wartete nicht ab, ob es kugelfest war, sondern sprang direkt vor. Dabei nutzte er die Ablenkung und rammte dem Kerl seine fingerlangen Klauen von unten in den Schädel. Noch während dieser mit einem Röcheln sein Leben aushauchte, hielt er dessen Körper als Schutzschild fest. Nur zwei Schritt hinter dem ersten stand ein zweiter und eröffnete seinerseits das Feuer. Melvin stieß die Leiche mit Wucht gegen den anderen, stürmte vor, und erledigte den nächsten ebenfalls mit den Klauen.

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