Normale Extravaganz

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Sein frustrierter Schrei prallte von den stoischen Wänden der Werkstatt genauso ab, wie zuvor jegliches Mitgefühl von Violettes Pokerface. Die Gangbossin hatte inzwischen mit ihren Leuten die Halle verlassen. Nur einer ihrer Handlanger blieb eine Viertelstunde länger. Ein schlaksiger Kerl, noch keine zwanzig. Neontätowierungen bissen sich mit seinem aknevernarbten Gesicht. Ein überlanger Ledermantel schlackerte ihm so locker um die Schultern, dass man meinen konnte, er hätte ihn von seinem älteren Bruder geerbt. Jetzt saß er neben Melvin, hatte seinen zitternden Daumen auf den blauen Knopf und schaute alle paar Sekunden auf das Armdisplay.

Er verzichtete darauf, ein Gespräch mit ihm anzufangen. Zu groß war das Risiko, dass das Häuflein Elend, das offenbar den kürzesten Strohhalm gezogen hatte, panisch aus der Werkstatt rannte.

Dann – endlich – piepte ein Timer am Arm des Gangmitglieds. Es warf noch einen unsicheren Blick herüber und drückte den Knopf. Mit einem metallischen Klacken sprangen die Stahlklammern auf – und damit die Waffen aus Melvins Armen. Ein kurzer Schwenk nach rechts und mit einem heftigen Wummern zerplatzte der Schädel des Halbstarken in einem rot-grauen Sprühregen, der sich auf die umliegenden Ersatzteile legte.

»So viel zum Thema: Ich töte keine Unschuldigen«, kommentierte seine KI das Geschehen mit seiner emotionslosen Stimme, während der leblose Körper vom Hocker kippte und klatschend in den Staub fiel.

Was?! Nein! Das wollte er nicht! Wieso hatte er geschossen? War das ein Reflex gewesen? Auf jeden Fall keine absichtliche Handlung. Das Gangmitglied war sicherlich alles andere als unschuldig, trotzdem hätte es ihm wertvolle Informationen über Violette liefern können. Verflucht! Fassungslos erhob er sich und starrte auf seinen Arm, von dem sich eine winzige Rauchfahne kräuselte. Mit einem bewussten Gedankenbefehl ließ er die Waffen wieder einschnappen und atmete ein paar Mal tief durch.

»Du solltest definitiv an deiner Impulskontrolle arbeiten. Aber das ist im Moment das geringste von deinen psychischen Problemen. Willst du jetzt endlich zu einer Militärbasis zurückkehren, bevor du noch komplett Amok läufst?«

Ja, logisch, was sonst. Kapierte seine KI Ironie, wenn man sie deutlich genug dachte? Egal. Zunächst musste er Violettes Auftrag erledigen und danach hoffen, dass sie Wort hielt und Kim und Lena in Ruhe ließ.

»Und wie kommst du darauf, dass Violette sie nicht weiterhin als Druckmittel einsetzt?«

Ganz einfach: Er lag nicht mehr wehrlos vor ihr und glaubte nicht, dass sie und ihre Truppe ihm viel entgegenzusetzen hatten. Es hatte einen guten Grund, warum sie sich rechtzeitig verdrückt hat, ehe er befreit wurde. Alternativ könnte er direkt nach seiner Familie suchen und versuchen, sie zu befreien, bevor sie zerteilt und an das Unfallkrankenhaus ausgeliefert wurden. Aber ohne Geld und Beziehungen war das in dieser kurzen Zeit aussichtslos.

Interessanterweise zeigte ihm sein Armdisplay ein grünes Batteriesymbol. Er war vollständig geladen. So viel zum Thema, dass die Batterie zwingend vom Militär ausgetauscht werden müsse. Seine innere KI erzählte ihm definitiv eine Menge Mist, wenn der Tag lang war. Jetzt hatte er wieder für zwölf Stunden Saft und wusste, dass eine Neuaufladung möglich war.

»Tut mir leid, scheinbar waren meine Informationen nicht korrekt.«

Ja, vielleicht. Vielleicht auch nicht. Für ihn wurde es jedenfalls Zeit, seinen Auftrag zu erledigen. Violette hatte ihm die Adresse einer konkurrierenden Schieberin gegeben: Red. Er sollte ihr Hauptquartier ausräuchern und sie eliminieren. Zumindest würde es diesmal keine Unschuldigen treffen. Wie es danach weiterging und ob die Gangbossin ihr Wort hielt, würde sich zeigen. Ändern konnte er daran nichts.

So, und jetzt könnte seine KI sich endlich mal nützlich machen und ihm erklären, wo er das halbe Dutzend Kleinteile wieder festschrauben musste, die ihm der Bastler entnommen hatte.

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