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Nachdem wir spät abends fertig geworden waren, zog ich mich als erstes aus dem Raum zurück. Als ich aus dem Raum trat, streckte ich mich erst einmal, bevor ich versuchte in dem spärlich beleuchteten Gang etwas zu erkennen.

Nachts wurden die meisten Lichtquellen ausgeschalten, um Strom zu sparen und das Unvermeidbare herauszuzögern. Energie war wertvoll.

Als ich noch einmal nach rechts blickte, erkannte ich die Umrisse von zwei Männern, die vor der Metalltür wache hielten. Eine Gänsehaut kroch mir in meine Glieder und ich wandte mich nach links ab, um zu meinem Schlafsaal zu gehen.

Die ganze Zeit hatte ich mich versucht mit der Arbeit abzulenken, aber immer wieder waren meine Gedanken zu Alena und dem Vorfall abgeschweift. Ich fühlte mich emotional taub. Ich wusste nicht, ob es so besser war, immerhin fühlte ich keine starke Trauer mehr, aber irgendwo machte es mir auch Angst.

Ich stand völlig neben mir als ich das Gemeinschaftsbad betrat um mir die Zähne zu putzen. Dieses befand sich genau zwei Zimmer vor unserem Schlafsaal und es war auch vor dem Zusammenbruch unserer Zivilisation schon ein Bad gewesen, wir hatten nur die Trennwand zwischen dem Männer und Frauenbad eingerissen, sodass wir besseren Zugang hatten.

Hier wurde gemeinsam geduscht, mit genau vier Duschen und zwei Klos und zwei Waschbecken gab es zwar manchmal schon Stress, aber das Meiste regelte sich durch die Schichtarbeit. Und unsere Gruppe bestand aus ungefähr dreißig Leuten, zwar eine große Menge, aber die Meisten davon sah man kaum.

Ich zog den Plastikbeutel aus einem der Fächer des Regals, auf dem mein Name stand, zog Zahnpasta und Zahnbürste heraus und fing an mir die Zähne zu putzen. Erschöpft setze ich mich an die Wand gegenüber von den zwei Waschbecken, als mein Blick nochmals durch den Raum wanderte.

Denn dieser war wie ausgestorben, auch von draußen konnte ich durch die dünnen Türen, die mehr dem Sichtschutz dienten aber ziemlich geräuschdurchlässig waren, nichts hören. Erneut zog mein Magen sich zusammen, aber ich ignorierte dieses komische Gefühl und die knisternde Stimmung die sich aufbaute. Ich musste ins Bett. Es war alles zu viel gewesen.

Ich stand auf und spülte meinen Mund aus. Als ich gerade mein Gesicht mit kaltem Wasser wusch und die Augen öffnete, fiel mein Blick frontal in den Spiegel. Die Zeit hielt an und ich erschrak zu Tode, konnte mich aber keinen Zentimeter bewegen. Meine Arme zitterten als meine Hände plötzlich auf den Waschbeckenrand fielen um mein Gleichgewicht zu halten.

Irgendwo in weiter Ferne klapperte meine Zahnbüste, die gerade auf den Boden gefallen war. Ich sah mich im Spiegel, aber um mich herum strahlte eine orangene Aura, die fast golden wirkte. Ich dachte plötzlich an nichts und starrte mich einfach nur krampfhaft an, musterte mich und wartete.

Sonst war in dem verschwommenen Spiegelbild nichts zu erkennen, nur diese um mich wabernde Wolke. Ich wusste nicht wie lange ich mich dort anstarrte, aber es konnten nur ein paar Sekunden gewesen sein, als ich meine Hand wieder heben konnte und mir über die Augen rieb, erneut kaltes Wasser in mein Gesicht warf und wieder aufblickte.

Aber egal wie oft ich blinzelte, diese Orange-Goldene Aura die um mir herum flimmerte wie Nebel, verschwand einfach nicht. Erneut blinzelte ich, aber nichts änderte sich. Meine dunkelblonden Haare schimmerten genauso wie immer. Genau dasselbe strahlende blau meiner Augen schaute mich im Spiegel zurück an. Dieselbe große, aber dünne Statur, dieselbe spröde und ausgemergelte Haut.

Ich trat ein paar Schritte vom Spiegel zurück, drehte ihm den Rücken zu und sah über meine Schulter, aber selbst von da sah ich alles, jedes einzelne Farbenspiel der Wolke. Als ich jedoch meinen Körper und meine Hände betrachtete, erkannte ich nichts.

Ich schüttelte den Kopf und sprach mir selber zu, dass das alles nur Einbildung war. Ich war übermüdet und psychisch am Ende. Langsam begannen aber meine Gedanken und Gefühle aus den letzten Tagen hochzubrodeln. Sie drohten sich mit meinen Ängsten zu vermischen und ich wusste dass ich daran zerbrechene würde. Ich wollte und konnte es aber nicht.

Wieder stolperte ich an den Spiegel und krallte mich in das vergilbte Keramik des Waschbeckens. In meiner Kehle bildete sich ein Klumpen und ich musste mich bemühen, nicht in Atemnot zu geraten.

Alena war weg, und mit ihr alles, was mich in den letzten Monaten dazu gebracht hat weiterzumachen. Ich hatte meine Familie und meinen ganzen Besitz verloren, war mit Alena in ständiger Panik auf der Flucht gewesen.

Ich brach vor dem Spiegel zusammen und setze mich in die Hocke, presste meine Hand vor meinen Mund und ließ den Tränen freien Lauf auch wenn es auf meiner Haut brannte wie Feuer, betete dass keiner reinkommen und mich so sehen würde.

Leises Wimmern kam immer wieder über meine Lippen und ich schluckte hart, zählte immer und immer wieder bis Zehn aber auch das altbekannte Zittern in meinem Körper ließ nicht nach, meine Gefühle und die Angst wurden zu groß.

Ich kralle mich mit der anderen Hand in meinen Oberschenkel, wusste nicht mehr, was ich noch tun konnte. Ich hatte Angst, dass wenn mich einer finden würde, und dies den Vorsitzenden berichtete, dass sie mich hinaus werfen würden, weil ich andere mit meiner Panik anstecken konnte. Ich war für sie krank und keiner konnte mir helfen. Eine Krankheit, die man nicht mit Medikamenten behandeln konnte.

Ich hörte leise Stimmen und schwere Schritte die in meine Richtung kamen und genau das war der Moment in dem mir der Wechsel in meinen Überlebensmodus gelang. Alena hätte das so nicht gewollt.

Ich stand ruckartig auf, sammelte meine Zahnbürste vom Boden und schmiss sie samt der Zahnpasta vom Waschbeckenrand zurück in die Plastiktüte. Die stellte ich an den Waschbeckenrand und machte das Wasser an, stellte es auf ganz kalt.

Als die Schritte vor der Vorderen der beiden Türen zum Bad stehen blieben, hielt ich meinen Kopf unter den kalten Strahl. Als sich die Tür öffnete, konnte keiner meine geröteten Wangen oder Tränen sehen. Ich sah nicht auf, als die Personen eintraten, wartete noch ein paar Sekunden unter dem Strahl und schaute dann auf.

Den Wasserhahn stellte ich ab, griff sofort nach meinem kleinen Handtuch, was in dem Beutel lag und legte es mir übers Gesicht.

Wieso musste alles nur so verdammt kompliziert sein? Ich hatte nichts gesehen, keine Farben und auch keine Aura!

Als ich damit beschäftigt war, meine Emotionen schnellstmöglich wieder in den Griff zu bekommen und den Beutel wegzuräumen, verdrängte ich auch den Vorfall von gerade aus dem Bad. Dann machte ich mich auf den Weg in den Schlafsaal zu meinem Feldbett, die Vorfälle trotzdem im Hinterkopf, als hätte man sie mir mit Nägeln dort hingeschlagen.

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04.04.2024
1099 Wörter

<3

The chosenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt