Tag der Beisetzung
Heute war der Tag, vor dem es Andreas und allen anderen graute. In der letzten Nacht hatte er gar nicht geschlafen, sondern war nur im Haus umhergewandert. Er wollte sich nicht endgültig von seiner Familie verabschieden, sondern mit seinen Söhnen in der leeren Halle Fußball spielen. Mit Steffi über die Shows diskutieren oder mit Bianca puzzeln bis zum umfallen. Wieder kamen ihm die Tränen, ob er jemals abschließen konnte?
Andreas zog den schwarzen Anzug, der eigentlich für ihren 19. Hochzeitstag gedacht war, an, band seine Krawatte und ging dann auf die Terrasse. Er wollte noch ein paar Minuten alleine sein.
Es war schon schwer genug für ihn, da brauchte er jetzt keine Gesellschaft. Seine Schwiegermutter schniefte die ganze Zeit, die mitleidigen Blicke, all das konnte Andreas jetzt nicht ertragen und bevor er ausrastete und jemand anschrie zog er sich lieber zurück. Mit gesenktem Kopf ging er durch den Garten, zum Schafgehege.
Hier hockte Andreas sich vor den Zaun und streichelte eines der Lämmer. Chris sah seinen Bruder bei den Schafen hocken und wollte zu ihm. Da hielt ihn ihre Mutter zurück.
"Ich weiß, dass du für Andreas da sein willst, aber lass ihn eine Weile in Ruhe. Die paar Minuten für sich alleine braucht dein Bruder jetzt. Schließlich muss er heute von seiner Frau und seinen Kindern Abschied nehmen. Da versucht er jetzt Kraft bei seinen Tieren zu sammeln und die hat er bitter nötig. Er wird schon rechtzeitig wieder reinkommen."
"Ach Mama, wenn ich ihm doch nur helfen könnte. Letzte Nacht hat er gar nicht geschlafen. Die anderen Nächte nur ein paar Stunden."
"Das ist ganz normal Schatz, dein Bruder versucht auf seine Art mit dem Verlust klarzukommen. Glaub mir, wenn das heute vorbei ist, wird es nach und nach besser. Ganz wichtig dräng ihn zu nichts. Andreas bestimmt wann er die Sachen wegräumt. Druck ausüben ist das Schlimmste was du jetzt tun kannst. Achte nur darauf, dass er mindestens eine Mahlzeit am Tag isst."
Chris legte seinen Kopf an die Schulter seiner Mutter und nickte. Hedi streichelte ihrem jüngsten liebevoll über den Rücken. Sie wusste, dass ihr Kleinster, für seinen großen Bruder stark sein wollte. Aber an seiner Atmung merkte sie, dass Chris gerade mit seinen Gefühlen kämpfte.
"Lass es raus Schatz, kämpf nicht dagegen an. Du brauchst weder für Andreas, noch für mich den starken Mann spielen, weinen befreit."
Dann brachen auch bei Chris die Dämme und er vergrub, schluchzend, sein Gesicht an der Schulter seiner Mutter.
Hedi umarmte ihn und hielt ihn fest bis er sich beruhigt hatte. Dann wischte sie ihm die Tränen aus dem Gesicht. "Geht's wieder?"
Chris nickte, atmete einmal tief durch und meinte dann: "Ich gehe mal Andreas holen."
"Mach das.", erwiderte Hedi und sah ihrem jüngsten nach. Die Brüder waren vom Charakter so unterschiedlich und trotzdem ähnelten sie sich in vielen Bereichen. Beide waren Perfektionisten, lebten für ihren Beruf und waren sehr Familien bezogen. Chris ging zu seinem Bruder, berührte ihn sacht an der Schulter. Andreas sah auf. "Müssen wir?" "Ja" "Bruder ich kann und will das nicht."
"Glaub mir, wenn ich das irgendwie verhindern könnte würde ich es tun, aber leider kann ich das nicht." "Ich weiß", erwiderte Andreas und stand auf. Gemeinsam gingen die Brüder ins Haus zurück. Hedi ging zu ihrem ältesten und drückte ihn einfach. "Du schaffst das." Andreas schüttelte den Kopf "Nein Mama." Anstelle einer Antwort drückte sie ihren Sohn einfach noch einmal fest an sich. Sie war überzeugt davon, dass Andreas stärker war, als er glaubte. Während der Fahrt zum Friedhof schwieg Andreas, ihm war nicht nach unterhalten. Jetzt hieß es Abschied nehmen, für ihn war das wie der Gang zum Schafott. Nervös trommelte er mit den Fingern auf der Mittelkonsole des Audi rum. Die lockere Unterhaltung zwischen seiner Mutter und seinem Bruder, machte ihn wahnsinnig und aggressiv. Er versuchte seine Umgebung auszublenden, aber zehn Minuten später wurde es ihm zu viel. Aus heiterem Himmel brüllte er los. "Könnt ihr nicht einfach mal die Klappe halten?" Dann schlug er die Hände vors Gesicht und weinte. Chris fuhr sofort rechts ran, während Hedi ausstieg und ihren ältesten fest in den Arm nahm. "Lass es raus Schatz." Andreas klammerte sich haltsuchend an seine Mutter, die ihn wie ein kleines Kind hin und her wiegte. Immer wieder fuhr sie ihrem Sohn durch die Haare oder über den Rücken. Der 42-Jährige zitterte am ganzen Körper, war nicht in der Lage auch nur einen zusammenhängenden Satz zu sprechen. Hedi wartete geduldig bis Andreas sich wieder gefangen hatte und reichte ihm dann ein Taschentuch. "Sorry, ich wollte euch nicht anbrüllen.", meinte Andreas während er sich die Nase putzte. "Schatz es ist alles in Ordnung. Deine Nerven liegen blank. Dann macht oder sagt man schon einmal Dinge die einem hinterher leidtun. Geht's wieder oder brauchst du noch ein paar Minuten?" "Lass uns weiterfahren, ich will diesen Tag endlich hinter mich bringen."
Okay, denk dran wir sind alle für dich da." Andreas nickte nur. Dreißig Minuten später stand er vor der Trauerhalle und wäre am liebsten wieder rumgedreht. Seine Schwester Silvia umarmte ihn einfach nur, während Freunde ihre Anteilnahme bekundeten. Schulfreunde seiner Kinder standen vor der Trauerhalle und spendeten sich gegenseitig Trost.
Andreas hätte den Kids gerne ein paar tröstende Worte gesagt, aber er konnte nicht. Dafür kämpfte er viel zu sehr mit seinen eigenen Emotionen. Als er beim Betreten der Halle, die vier Särge erblickte, wurde ihm übel. Trotzdem ging er weiter.
Dann stand er direkt vor den offenen Särgen, Andreas ließ seine Blicke darüber schweifen. Auf ihn wirkte es als ob Steffi und die Kinder friedlich schliefen. Als erstes trat er an den Sarg von Bianca, streichelte seiner Prinzessin über die Wange und drückte ihr ihren Teddy in den Arm. "Petz soll auf dich aufpassen und überall hinbegleiten, egal wohin du auch gehst. Papa wird dich nie vergessen." Er beugte sich über den Sarg und drückte seiner Tochter einen letzten Kuss auf die Stirn.
Seine Stimme zitterte, dann ging Andreas zu seinem zweitgeborenen, betrachtete ihn eine Weile. "Pass bitte auf deine kleine Schwester auf, beschütze sie vor Gefahren. Denk bitte dran, ich liebe dich." Andreas ging zu Marcel, betrachtete ihn ebenfalls eine Weile, drückte sanft die blasse Hand. "Jetzt kannst du mit deinem Opa Fußball spielen bis zum abwinken. Aber vergiss bitte nicht ab und an nach deinen Geschwistern zu sehen, gerade Bibi braucht dich." Tränen verschleierten seinen Blick und seine Stimme zitterte. Dann ging er zu Steffi, nahm ihre Hand führte sie an seine Lippen und brachte unter Schluchzen hervor.
"Auch wenn ich immer noch nicht verstehe warum du mich verlassen hast, sollst du eins wissen. Du wirst immer meine große Liebe bleiben, egal was kommt, bitte grüße Papa von mir."
Andreas wandte sich ab und nahm zwischen Chris und seiner Mutter Platz. Tränen rannen seine Wangen hinab und nahmen ihm die Sicht. Die Worte des Pfarrers nahm er nur am Rande wahr, genauso das neben und hinter ihm zahlreiche Schluchzer zu hören waren. Im Anschluss an die Trauerfeier, wurden die Särge auf den Wagen gestellt. Mit diesem wurden sie dann zur Grabstätte gefahren.
Mit gesenktem Köpfen folgte die Trauergemeinschaft den Särgen.
Allen voran Andreas zwischen Christian und ihrer Mutter, dann folgten seine Schwiegereltern und seine Schwester. Vor dem offenen Grab, neben dem seines Vaters, wurde es Andreas kurz schwindelig.
Er überspielte das Schwindelgefühl gekonnt und beobachtete wie ein Sarg nach dem anderen in die Tiefe gelassen wurde.
Als dann Steffies Sarg in der Erde verschwand, war's um Andreas' Fassung geschehen.
Mit einem Schrei ging er auf die Knie und griff nach einem der Seile, um zu verhindern, dass man den Sarg weiter absenkte.
"Steffi, nein lass mich nicht alleine. Ich brauche dich doch."
Christian eilte zu seinem großen Bruder, zog ihn sanft auf die Beine und führte ihn ein Stück von der Grabstätte weg. Vorsichtig drückte er ihn an sich und hielt Andreas fest im Arm. Immer wieder wollte der ältere sich aus dem griff seines Bruders lösen.
Doch Chris hielt ihn fest. "Lass die Leute ihre Arbeit machen, du kannst Steffi nicht mehr helfen, das kann leider niemand."
"Ich will nicht, dass sie mich alleine lässt, die dürfen sie nicht da runter lassen. Sie soll hier an meiner Seite sein."
"Andreas das geht nicht, sie ist Tod, genau wie die Kids."
"NEIN, DAS SIND SIE NICHT", schrie Andreas völlig verzweifelt und ging auf die Knie. Chris ging mit seinem Bruder zusammen in die Knie und hielt ihn fest an sich gedrückt. "Chris, bitte lass nicht zu dass man sie mir wegnimmt. BITTE!" "Leider kann ich das nicht, so gerne wie ich es täte. Tut mir leid." "Warum, straft man mich so? Was habe ich Schlimmes getan, das ich diese Strafe verdient habe?" "Du hast niemand etwas getan, so blöd es klingt das ist Schicksal. An diesem können wir leider nichts ändern." Andreas schüttelte den Kopf und wollte sich erneut aus Chris' Griff befreien.
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Breathe Easy
FanfictionAndreas und Chris befinden sich in den Vorbereitungen für eine Show, als eine Nachricht alles auf den Kopf stellt. Von jetzt auf gleich muss Andreas sein Leben alleine bewältigen. Chris unterstützt ihn dabei so gut er kann