Harry hatte Wort gehalten. Jedes Zimmer war mit einem Notfallknopf ausgestattet und sorgte für eine gewisse Sicherheit der Mädchen. Ansonsten waren sie unterschiedlich eingerichtet. Einzig das übergroße Bett war gleich, eine Schale mit Kondomen, Gleitmittel und Taschentüchern. Ein Zimmer hatte sogar eine Badewanne mitten im Raum und zählte zu den teuersten. Wer hier Zeit mit einem der Mädchen verbrachte, musste tief in die Tasche greifen.
Trotzdem sah sich Lucy in keinem der Räume oder in einem der Betten. Aber auch das stellte kein Problem dar. Regina hatte letztendlich ihren Platz getauscht, sich vor die Theke gestellt und Lucy dahinter. So fühlte sie sich besser, konnte mit den Männern flirten, etwas trinken und damit ihr Geld verdienen. Mit Alkohol kannte sie sich aus, wusste, was sie vertrug und was nicht. Neben teurem Champagner wurde ohnehin nur noch Flaschenbier verkauft und das tranken sehr wenige Kunden.
Frauen waren selten Biertrinker, daher rollte der Champagner besser, öfter und wie schnell, das merkte auch Lucy an diesem Freitagabend. Immer wieder wurde sie auf ein Glas eingeladen, unterhielt sich knapp und überließ dann den Mädchen den Kunden, wenn dieser auf sie ansprang und mit auf eines der Zimmer ging. Ein angenehmer Job, in dem sie sich langsam wohler fühlte, sogar mit den Männern scherzte, lachte und mit einigen zu flirten begann. Harry war mehr als zufrieden, lobte sie hin und wieder und musste nur selten eingreifen.
So gesehen nur einmal. Ein Kunde, der nicht verstehen wollte, dass eine Frau hinter der Theke tabu war. Harry ließ, was das anging, nicht mit sich reden, diskutierte nicht lang und letztendlich schmiss er den uneinsichtigen Mann raus. Lucy war darüber sehr froh, atmete erleichtert auf, als der schmierige Typ mit den fettigen Haaren verschwunden war und sie nicht weiter belästigen konnte. Schlimm genug, dass er sie ständig anfassen wollte, ihr widerwärtige Komplimente machte und dachte, sie würde darauf anspringen. Im Leben nicht und das hatte sie ihm mehrmals zu verstehen gegeben.
„Tut mir leid, dass du gleich am ersten Tag sowas erleben musst", entschuldigte sich Harry, während er sich ein Bier aus dem Kühlschrank nahm und öffnete.
„Entschuldige dich nicht. Es war nicht deine Schuld", erwiderte Lucy sachlich, lächelte sofort wieder, als ein neuer Kunde den Raum betrat und sich vorerst umsah.
Anzugträger. Sicher ein Bänker oder jemand, der etwas zu sagen hatte. Auf jeden Fall gepflegt und zurückhaltend. Es dauerte, bis er zu ihr an die Theke trat, sie wirklich nur sehr kurz betrachtete und sich schließlich auf einen der Hocker setzte.
„Trinkst du ein Glas mit mir?" Sein Lächeln war ehrlich, wirkte keinesfalls aufgesetzt.
„Gerne", erwiderte Lucy daher, holte den Champagner und füllte zwei Gläser.
„Wie heißt du? Ich hab dich hier bisher noch nie gesehen."
„Ich bin auch erst seit heute hier und mein Name ist Denisa."
Lächelnd hob der Mann am Tresen sein Glas, prostete ihr zu, was sie gerne erwiderte und einen netten Plausch begann.
Es stellte sich heraus, dass dieser feine Mann einfach zum Reden kam, fast jeden Freitag seine drei Gläser Champagner trank und eine nette Zeit mit einem der Mädchen verbrachte. Nichts Sexuelles, einfach reden, lachen, Scherze machen. Ein angenehmer Kunde, einer, mit dem man gerne sprach und sich den restlichen Abend vertrieb.
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Schatten der Vergangenheit ✔
Short StoryNiemand sagt, dass das Leben einfach wird, nach einem Plan verläuft und auf rosa Luftschlössern aufgebaut ist. Davon kann auch Lucy ein Lied singen, hat genug Scheiße in ihrem Leben geschmeckt und beendet dieses vorzeitig, um endlich frei zu sein.