Kapitel 23

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Kaum waren die blauen Flecken an ihrem Hals verblasst, hatte Runa ein neues Problem: Ein verdammt großer Kratzer auf der Wange.

Seit einer halben Stunde stand sie vor dem Spiegel, versuchte ihn zu verdecken, doch mit der Schminke, die sie zur Verfügung hatte, klappte dies nicht wirklich.

Frustrierte, heiße Tränen liefen ihr über die Wangen. Seit dem Vorfall in der Stadt hatte ihr Körper nicht mehr aufgehört zu zittern. Sofort hatte sie alle Sicherheitsmaßnahmen getroffen, die sie zuvor ausgearbeitet hatte - doch diese konnten sie kaum beruhigen.

Weihnachten war an ihr vorbeigezogen, als steckte sie in einem Fiebertraum. Sie hatte kaum geschlafen, konnte an nichts anderes denken und ihre Augen waren verquollen von den Tränen.

Nun musste sie zwischen den Feiertagen arbeiten - Kate hatte ihr gesagt, dies seien die besten Tage für das Casino. Und ausgerechnet heute sah sie furchtbar aus.

Ihr rasender Puls holte sie aus ihrer Trance zurück und Runa zuckte zusammen. Nicht das noch, das durfte nicht sein...

Sie amtete tief durch, spürte wie die nächste Panikattacke ihren Körper einnahm. Sie hatte nur noch wenige Minuten, ehe sie aufbrechen musste, deshalb tat sie etwas, das sie sich selbst geschworen hatte nur im alleräußersten Notfall zu tun: Sie nahm ihre Beruhigungstabletten.

Auf dem Weg zum Casino setzte die Wirkung ein. Sie fühlte sich benommen, ihre Muskeln entspannten sich und ihre Gedanken wurden von einem Schleier umhüllt. Normalerweise hasste sie das Gefühl, doch nach drei Tagen, die sich wie eine mentale Folter angefühlt hatten, war es das erste Mal, dass sie durchatmen konnte.

Kaum hatte sie die Eingangshalle betreten, war sie umgeben von Menschen in schwarzen Anzügen und funkelnden Abendkleidern. Die Leute kamen immer schick gekleidet in das Casino, doch heute war es anders. Es waren so viele Gäste da, dass sie sich sogar auf den Bereich vor dem roten Vorhang versammelten.

Runa fühlte sich, als wäre sie auf einem Ball aus einem klassischen Film.

Den Abend über versuchte sie ihr Gesicht so zu halten, dass der Kratzer nicht auffiel. So lange, bis ihr bewusst wurde, dass sich die Leute sowieso nicht um sie scherten. Keiner sah sie an, sie wollten bloß schnellstmöglich ihre Chips einlösen und weiter feiern.

Darüber war sie verdammt froh. Sie entspannte sich allmählich - so lange bis ein großer, breitschultriger Typ mit schwarzen Haaren vor ihr stand.

"Guten Abend, Runa", sagte er und seine dunkle, ruhige Stimme durchzog ihren Körper. Logan hatte ihr gerade noch gefehlt. Durch den Stress der letzten Tage hatte sie überhaupt nicht daran gedacht, dass sie ihn hier treffen könnte.

"Logan", antwortete sie und rang sich ein Lächeln ab.

Er gab ihr ohne ein weiteres Wort die Scheine und sie wandelte sie um. Sie sortierte sie ein und reichte ihm die Chips. Seine Augen waren auf ihr Gesicht gerichtet, konnte sie nur noch feststellen, dass er sie und den Kratzer ausgiebig gemustert hatte.

Logan nahm die Chips entgegen, ohne den Blick abzuwenden. Dann beugte er sich vor. "Wieso hast du jedes Mal eine neue Verletzung, wenn ich dich sehe?" Das spielerische war aus seiner Stimme verschwunden.

Runa schnaubte und schüttelte den Kopf. "Das ist nicht wahr", doch zu mehr kam sie nicht, hatte Logan sich ihr noch ein weiteres Stück genähert.

"Will ich wissen, woher du das hast?"

Sie schluckte schwer und schüttelte den Kopf.

"Macht dir jemand Ärger?"

Wieder schüttelte sie den Kopf.

"Das heißt, du hast alles im Griff?"

Sie nickte, wollte ihm gerne sagen, dass ihn das nichts anging und er aufhören sollte, so viele Fragen zu stellen, doch sie konnte nicht.

"Und wieso sind deine Pupillen so klein, Engel?"

Runa zuckte kaum merklich zusammen, hatte sie diesen Effekt der Medikamente einfach vergessen. "Weil das Licht hier ziemlich grell ist" Dass er diesen Kosenamen für sie verwendete, gab ihr ein komisches Gefühl. Sie dachte, sie wären über diesen Punkt wieder hinaus, wären auf die platonische Eben zurückgekehrt - wenn man das überhaupt so nennen konnte.

"Nicht greller als sonst", antwortete er unbeeindruckt.

Sie schloss die Augen, spürte wie ihr Puls sich beschleunigte. "Hör zu, Logan. Ich muss arbeiten" Demonstrativ schaute sie an ihm vorbei, doch da war niemand, der darauf wartete, dass sein Geld eingetauscht werden würde. Ausgerechnet jetzt wollte das niemand.

"Ich mag es nicht, wenn man mich anlügt"

Etwas in diesem Satz schwang mit, das ihr ganz und gar nicht gefiel. Es ging nicht nur um dieses Gespräch, da war noch etwas anderes - oder bildete sie sich das ein? Waren ihre Sinne zu benommen oder sie zu paranoid?

Sie hob eine Augenbraue an. "Wer mag das schon?"

Logan schnaubte.

All das, er und seine Fragen und seine verdammte Aura lösten die Beruhigungsmittel in Luft auf. Runa hielt sich an dem Theke vor sich fest, ihre Beine begannen erneut zu zittern.

"Ich habe dich nicht für jemanden gehalten, der..." - Das alles war zu viel für sie. Ein imaginäres Band wickelte sich um ihre Lunge.

"Beruhigungsmittel", flüsterte sie und er hielt inne, sah sie fragend an. "Tu nicht so", zischte sie, "du hast es bereits mitbekommen..."

Sie atmete tief ein und wieder aus. "Ich... mir ging es heute nicht gut. Und da ich diesen Job und vor allem das Geld brauche, musste ich sie nehmen"

Nachdenklich fuhr er sich mit der Zunge über die Zähne. "Panikattacken?"

Sie nickte mit zusammengekniffenem Kiefer.

Als er sie erneut betrachtete, konnte er es sehen. Runa sah müde und geschwächt aus. Ihre Haut war blass, ihre Augen wirkten desorientiert. Er erinnerte sich daran, wie sie damals im Club ausgesehen hatte, als er sie aus ihren Gedanken befreit hatte.

Was hatte sie bloß erlebt, dass einen Teil von ihr so brechen konnte?

Er konnte dabei zusehen, wie eine Welle durch ihren Körper strömte, sie anfing leicht zu zittern und entschied sich dazu, ihr zu helfen.

"Warte hier", sagte er und stellte sich aufrecht. Fragend legte sie den Kopf schief. "Ich werde Kate sagen, dass du heute mit mir in das Casino kommst"

Als er sich entfernte, rief sie ihm hinterher. "Logan, nein... das geht doch nicht"

Doch Logan wollte es, also bekam er es.

Runa vergrub ihr Gesicht in ihren Händen, erinnerte sich jedoch schnell wieder, wo sie gerade war und stellte sich aufrecht. Einige der Gäste hatten sie dabei beobachtet, deshalb warf sie ihnen ein entschuldigendes Lächeln zu und wollte am liebsten im Erdboden versinken.

Hilfe, wo hatte sie sich da bloß hinein manövriert? Wieso hatte sie überhaupt mit ihm gesprochen und es soweit kommen lassen?

Hatte sie nicht schon genug Probleme?

Als Logan wenige Minuten später wieder auftauchte, folgte Zara ihm. Sie band sich das Tuch um, welches die Leute trugen, die für den Empfang zuständig waren.

Er streckte seine Hand nach ihr aus. "Kommst du mit mir?"

Sie zögerte.

"Bist du denn gar nicht neugierig, was sich dahinter verbirgt?", mit einem verschmitzten Lächeln schaute er zu dem Vorhang.

Das war es - er hatte sie. Runa war schrecklich neugierig, was sich dahinter verbarg, doch das sollte sie eigentlich nicht zugeben.

Sie schob es darauf, dass sie kurz zuvor starke Medikamente genommen hatte - legte ihre Hand in seine, die warm und groß war und sich sanft um ihre schloss.

Dann führte er sie zu dem Vorhang, öffnete ihn damit sie eintreten konnte. Als sie an ihm vorbei huschte, flüsterte er ihr etwas neckisch ins Ohr. "Du darfst natürlich die Armlänge Abstand von mir halten, sofern du das willst"

Dahinter eröffnete sich ihr eine ganz neue Welt - und die Panik blieb vor dem Vorhang.

The Ordeal of Desire I Dark RomanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt