Kapitel 25

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Innerhalb weniger Sekunden gingen Runa tausende Gedanken durch den Kopf. Wusste Logan etwas? Oder hatte er bloß eine Vermutung?

"Ich dachte, du hast nichts getrunken", antwortete sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie lieferten sich ein Blickduell und der Stimmungswechsel war deutlich zu spüren. Die Luft zwischen ihnen war zum Schneiden. 

"Hast du in der Schweiz jemanden umgebracht?", fragte er und schnaubte, ging einen Schritt auf sie zu. "Oder Geld geklaut?"

Sie versuchte, ihre Atmung zu kontrollieren. Er wusste, dass sie aus der Schweiz kam. Sie hatte niemandem davon erzählt. 

"Geld geklaut? Ich hörte deine Familie kennt sich gut damit aus", konterte sie und verlagerte ihr Gewicht auf ein Bein. "Ich möchte, dass du gehst, Logan" 

Er nickte kaum merklich, verzog nachdenklich den Mund. "Die harte Tour also, alles klar", sang er. Er zog seine Hand aus seiner rechten Hosentasche und Runa rechnete mit allem, nur nicht damit dass er ihr Halstuch hervorholte und es ihr reichte. 

"Hier", sagte er, "das brauchst du doch zum Arbeiten" 

Zögerlich griff sie danach.

"Wir sehen uns", damit verabschiedete er sich und verließ ihr Zimmer. Sie wartete wenige Sekunden, dann rannte sie zur Tür und schloss sie ab. Mit dem Rücken zur Tür rutschte sie langsam herunter, setzte sich auf den Boden und legte ihren Kopf in ihre Hände. "Fuck", fluchte sie und atmete schnell ein und wieder aus. "Fuck, fuck, fuck"

Der Weg über den Campus zurück zu seinem Auto fühlte sich länger an als die Male davor. Dieses Mal setzte sich Logan seine Kapuze nicht auf. Er wollte es darauf anlegen - wenn ihm jemand dumm kommen sollte, würde er das schnell bereuen. 

Insgeheim hoffte er auf so jemanden, die Wut brodelte in ihm. 

Runa hatte keine Ahnung, wie viel scheiße sie damit gebaut hatte. Wie viel Probleme sie ihm damit machte, dass sie einfach hier auftauchte mit einer gefälschten Identität. 

Nein, diese Probleme hatte nicht nur er, sondern nun auch sein bester Freund Rob. 

Einer von den Leuten, die für seinen Vater arbeiteten, hatte etwas bemerkt und seinem Vater Bescheid gesagt. Er vermutete bereits, dass einer von ihnen Mist gebaut hatte. 

Und es würde ihn überhaupt nicht überraschen, wenn es sein eigener Sohn wäre. Logan war sich sicher, dass er damit bereits rechnete. 

Wenn Logan nicht bald eine logische Erklärung dafür liefern konnte, dass Rob und er einige Leute seines Vaters vom Arbeiten abgehalten und sie um einen Gefallen gebeten hatten, dann würde sein Vater die Sache selbst in die Hand nehmen. 

Und so sauer er auch auf Runa war - das wollte er ihr nicht antun. 

Er atmete schwer aus, zog eine Schachtel Zigaretten aus seine Tasche und rauchte eine, bevor er ins Auto stieg. Seine Augen analysierten den Campus, der so anders war als der seiner Uni. 

Als er jünger war, hatte er sich gewünscht, auf genau so einem Campus zu leben. Vermutlich fanden hier etliche Partys zwischen den Wohnhäusern statt und es gab etliche Clubs, in denen man neue Freundschaften schließen konnte. 

Heute wusste er, dass sie ihn niemals akzeptiert hätten, jeder hätte gewusst, wer er war. 

Vielleicht war Runa deshalb gegangen, vielleicht kannten sie alle in ihrer Heimat und sie war es satt, mit den selben voreingenommen Augen betrachtet zu werden. 

Vielleicht war sie stärker als er. 

Doch wohin würde sie das bringen? Sie schien, genau wie er, den Hang zur Problematik zu haben. Sie zog tausende Kilometer weit weg, nur um dann unter ihm zu landen. 

Sie war wirklich ein gefallener Engel. 

Als Logan nach Hause kam, rannte ihm Rob förmlich in die Arme. "Pass doch auf", brummte er, doch als er den besorgten Blick seines besten Freundes sah, spannten sich seine Schultern sofort an. 

"Was ist los?", fragte er und schaute sich um, ging sicher dass niemand in Hörweite war. 

Rob schluckte schwer. "Dein Vater hat mich eben angerufen"

Das konnte nichts gutes bedeuten und kurz wünschte Logan sich, er würde nicht weitersprechen. 

"Wir sollen morgen Abend zu ihm und ihm erklären, was los ist"

Logan fuhr sich unruhig durchs Haar. "Wieso kann er nicht einfach seine scheiß Arbeit machen und uns in Ruhe lassen", fluchte er, stemmte eine Hand in seine Hüfte. 

"Weil er schon so lange nach Gründen sucht, Bro", seufzte Rob, lehnte sich gegen die Wand. "Er will uns so schnell wie möglich aus dieser Uni nehmen" 

Logan schüttelte genervt den Kopf. "Und nun serviere ich ihm den Grund auf dem Silbertablett" 

"Es tut mir Leid, man", fügte er nach einer Weile an. "Ich hab scheiße gebaut und..." Rob winkte ab. "Hätte mir genau so gut passieren können", er lachet tonlos auf. "Es war nur eine Frage der Zeit, oder nicht?"

Sie sahen sich an und schmunzelten. 

"Hast du etwas herausgefunden?" 

Logan nickte. "Sie kommt wirklich aus der Schweiz", bestätigte er, konnte es selbst noch nicht glauben. "Sie hat eine verdammt gut gefälschte Identität"

Das Wiederrum warf nicht nur die Frage nach dem Wieso auf, sondern auch, woher sie jemanden kannte, der SO gut darin war. Immer wieder, wenn sie versuchten etwas über sie herauszufinden, war er so genervt wie begeistert. 

"Vielleicht sollten wir sie einfach wieder zurückschicken", schlug Rob vor. "Wir melden sie und sie wird aus rausgeschmissen - Goodbye Land der unbegrenzten Möglichkeiten"

"Das würde überhaupt nichts bringen", holte er seinen besten Freund wieder zurück auf den Boden der Tatsachen. "Denn dann hätten wir nichts, was wir meinem Vater geben könnten"

Rob gab einen genervten Ton von sich, den er nur allzu gut nachvollziehen konnte. Das morgige Treffen mit seinem Vater war gerade das mit Abstand größte Problem, welches sie hatten. 

Runas größtes Problem hingegen war es, Ruhe zu bewahren. 

Eine ganze Weile saß sie auf dem Boden ihres Zimmers und ließ ihre Angst zu. Sie schluchzte in ihre Hände, spielte das Gedankenkarussell immer wieder durch. 

Logan würde sie nicht in Ruhe lassen, das wusste sie genau. Seine ruhige, besonnene Art kam ihr zum ersten Mal richtig gefährlich vor, wie die eines absoluten Psychos. 

Sie gab seinen Nachnamen noch einmal im Internet ein, laß sich alle Artikel zu seiner Familie durch, die sie finden konnte. Selbst dann noch, als es draußen langsam wieder hell wurde. 

Runa fand einen Artikel über seine Schwester, ihr Name war Laura und laut dem Artikel war sie bei einem Autounfall gestorben, nur dass man vermutete, dass das Auto absichtlich in ihres gerast war. 

Sie fand noch weitere Artikel und bemerkte, dass in keinem angegeben war, wo dieser Unfall stattgefunden hatte, noch wo sie beerdigt worden war. 

Auch wenn sie es hasste, auch wenn sich alles in ihr dagegen sträubte: Vielleicht musste sie Feuer mit Feuer bekämpfen und herausfinden, was es mit dem Tod seiner Schwester auf sich hatte. 

Eins war klar:  Es waren jetzt schon zu viele Leute hinter ihr her. Sie musst Logan loswerden. Entweder würde sie verschwinden, einen zweiten Versuch woanders starten und noch einmal von vorne anfangen oder sie würde sich durchkämpfen. Die Leute ihres Vaters würde sie noch ein Weile aufhalten können, doch Logan... 


The Ordeal of Desire I Dark RomanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt