Prolog

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NEUTRALE SICHT

Heiß brannte die Sonne am Marktplatz von Szeged auf die Menschen nieder. Die große Stadt kurz vor der serbischen Grenze war wie immer sehr belebt, besonders von Studenten, die sich an diesem freien Samstag auf dem Marktplatz versammelt hatten, um dort ein Eis zu essen und sich zu amüsieren. Die große Einkaufsmeile war auch nicht weit und so war der Marktplatz voll, obwohl der Markt selbst heute nicht einmal stattfand. Unter den vielen Menschen war auch ein junges Mädchen, mit gerade mal achtzehn Jahren, das sich gerade ein Kleid in einem der kleineren Läden in einer Seitengasse des Platzes ansah. Katarina Nagy, von allen aber nur Kati genannt, war zum ersten Mal seit Wochen wieder in der Stadt, eigentlich wohnte sie etwas außerhalb der Stadt in einem kleinen Dorf an der serbischen Grenze und freute sich, endlich mal wieder in die Stadt zu kommen. Sie wollte sich ein neues Kleid für den Sommer kaufen, ebenso eine neue Bluse fürs Reiten, ihr einziges Hobby. Sie wohnte in einer großen Villa und hatte dort einen eigenen Stall, in dem sie ihre Pferde hatte. Ausreiten durfte sie allerdings nur selten, zumindest nicht alleine, aber immerhin konnte sie auf ihrem großen Grundstück reiten. Ihr Vater, der Anführer der ungarischen Mafia, ließ seine einzige Tochter nur selten nach draußen, und wenn doch, dann nur mit Geleitschutz. So wie auch heute. Kati war nicht alleine in der Stadt unterwegs und das störte sie. Sie kannte es zwar nicht anders, schon seit ihrer jüngsten Kindheit war sie immer in Begleitung ihrer Beschützer gewesen und sie konnte nur wenige davon leiden - genau genommen nur einen. Bela Horváth. Der knapp Zwanzigjährige war gefühlt schon immer an der Seite von Kati gewesen, obwohl er nur wenige Jahre älter als sie war. Er war Katis einziger und bester Freund und er gab ihr mehr Freiheiten, als jeder andere ihrer Wächter. Diese umschwirrten Kati wie nervige Fliegen zu jeder Tageszeit und nur nachts in ihrem Zimmer hatte sie ihre Ruhe vor allen anderen. Nun presste sie ihre Nase gegen die Scheibe des Ladens und warf ihren Leibwächtern dann einen kurzen Blick zu, die einige Meter hinter ihr standen und sich unauffällig an den anderen Schaufenstern aufhielten. Bela bemerkte Katis Blick, nickte und folgte ihr dann in den Laden, Katis andere drei Wächter blieben vor dem Laden stehen.
"Danke", seufzte Kati erleichtert, als die Ladentür hinter Bela und ihr ins Schloss gefallen war.
"Kein Problem, ich weiß doch, dass du gerne mal deine Ruhe hast. Mach nur keinen Quatsch, ja?", erwiderte dieser grinsend und lehnte sich gegen die Wand. "Ich werde hier auf dich warten."
"Danke, Bela. Du bist der Beste."

Zur gleichen Zeit stand ein junger Mann um die zwanzig einige Straßen weiter an einem Wegweiser und versuchte mit einem Stadtplan die Einkaufsmeile zu finden. Jordan Banks hatte mithilfe eines reichen Erbes seitens der Großeltern seine Europatour bezahlt und Ungarn war der letzte Stopp auf seinem Trip. Er liebte Europa, er war bereits in Schweden, Irland, England, Spanien, Frankreich, Deutschland, der Schweiz und Österreich gewesen und nun war er in Szeged angekommen und wollte sich die Stadt noch für eine Woche ansehen, bevor er zurück nach Miami fliegen würde. Er hatte zwar im Voraus ein wenig die Sprachen gelernt, in deren Länder er gereist war, aber Ungarisch war nun doch sehr kompliziert und er konnte sich beim besten Willen nicht mehr an die gelernten Vokabeln erinnern. Er seufzte. Jordan konnte sich nur noch daran erinnern, dass die Einkaufsmeile in der Nähe des Marktplatzes gelegen war, aber wie war noch einmal das ungarische Wort dafür? Er sah von seinem Stadtplan auf, der ihm nicht sehr viel half und warf einen Blick auf die Schilder, die in verschiedene Richtungen wiesen, jedes mit einem anderen Wort darauf, Jordan konnte sich nur leider kein einziges davon herleiten oder auch nur ansatzweise verstehen. Er schüttelte den Kopf und ergab sich, um sein Handy aus der Hosentasche zu holen. Er hatte es eigentlich ohne seinen Übersetzer schaffen wollen, aber nun kam er doch nicht weiter und bevor er noch weiter durch diese sengende Hitze lief, würde er eben sein Handy nutzen - auch, wenn das eigentlich gegen seinen Plan war. Also tippte er die verschiedenen Wörter nacheinander in seinen Übersetzer und fand so schließlich heraus, dass er in Richtung Norden laufen musste, um zum Marktplatz und anschließend zur Einkaufsmeile zu kommen. Auf dem Weg dorthin betrachtete er staunend die schöne Architektur und blieb ab und an stehen, um sich einige Schaufenster und Gebäude anzusehen, die ihm besonders gut gefielen. Dabei kam er ebenfalls an einem kleinen Schild vorbei, das nicht mehr als ein loses, laminiertes Blatt war, das man mithilfe von einem Streifen Klebeband an einem Laternenpfahl festgemacht hatte. Das Blatt wirkte etwas fehl am Platz, es wirkte nicht so hochwertig wie die anderen Plakate, die in der Stadt ausgestellt waren.
"Piac Tiszasziget", las er leise vor und erinnerte sich daran, welche Worte er eben noch genervt in seinen Übersetzer getippt hatte. "Piac" bedeutete Markt. Und Tiszasziget war ein Dorf nahe der serbischen Grenze. Das klang interessant. Die meisten Dörfer hier bestanden aus Bauernhöfen und Jordan hatte großes Interesse daran, mal einen richtigen Markt voller Bauern zu besuchen. Er notierte sich das Datum, das auf übermorgen hinwies und lächelte. Das war doch mal ein Erlebnis, ein echter Bauernmarkt. Darauf freute er sich schon, er würde morgen mit dem Auto dorthin fahren und sich das ansehen, so viel war sicher. Das war wesentlich besser als eine öde Kirche oder eine Einkaufsmeile zu besuchen! Vielleicht würde er ja auch das ein oder andere Souvenir finden, das er den Verwandten oder Freunden mitbringen konnte, wer wusste das schon? Gespannt war er auf jeden Fall, was und wen er dort alles antreffen würde. Eine spannende Erfahrung war es bestimmt, da war er sich sicher.

Tödliche LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt