Kapitel 2.1 ~ Diebstahl

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Winter 5118

Klatschnass klebt das Laken an meinem Rücken, als ich aus dem Schlaf aufschrecke. Ich atme tief durch, bevor ich mich in meinem Zimmer umsehe. Ihre Fratze grinst mich aus der Dunkelheit an. Rote Haare, ein verschwommenes Gesicht. Der Traum löst sich vor meinen Augen in Luft auf, bis nur noch der fahle Geschmack der Angst auf meiner Zunge zurückbleibt. Mein Blick bleibt an der Tür gegenüber hängen. Obwohl ich sie gestern Abend noch selbstständig abgeschlossen habe, schwinge ich mich aus dem Bett, schlüpfe in meine Hausschuhe, laufe hinüber und rüttle an der Türklinke. Sie ist verschlossen. Die Attentäterin kann nicht hineinkommen und mir das gleiche antun wie meinem Vater. Mit einem tiefen Atemzug schließe ich die Augen und reibe mir über das Gesicht. Meine Bartstoppel kratzen an meiner Hand.
Langsam lichtet der Nebel in meinem Kopf sich. Erneut wiederhole ich meine Erkenntnis: Nur ein Traum. Bald schon wird sie tot sein.
Nur langsam findet mein Herz zu seinem gewohnten Rhythmus zurück. Dann lockere ich meine Faust, die sich um die Türklinke geschlossen hat, und lasse sie los. Ich drehe meinen Kopf zu den Fenstern. Die frische Nachtluft würde mir guttun.
Wenige Schritte später stehe ich vor dem linken der Fenster und öffne seine Riegel. Kalte Winterluft knabbert an meiner Nasenspitze. Die Sterne am Himmel funkeln noch, als würde es erst in vielen Stunden morgen werden.
Ich kann mich noch einmal schlafen legen. Wenn auch nur kurz, schließlich gibt es in diesen letzten Wochen vor dem Jahresende noch so viel zu tun. Doch die Stunde wäre es mir alle mal wert.
Gerade als ich den Fenstergriff ergreife, fällt mein Blick auf ein gelbes Licht. Zwischen den Bäumen des angrenzenden Waldes flackert es. Ich runzle meine Stirn. Was ist das? Zieht der Förster bereits seine Runden? Hatte ich ihm nicht zur Vorbereitung auf die Feiertage einige nächtliche Stunden freigegeben?
Das ist äußerst merkwürdig. Als ich das Licht genauer in Augenschein nehmen will und mich ein Stück aus dem Fenster beuge, fällt mein Blick auf etwas weitaus Interessanteres. Etwas huscht durch den Schnee vom Schloss direkt auf die Fackel im Wald zu. Oder jemand? Als die Kapuze der rennenden Gestalt hinabfällt, flattert ihr langer schwarzer Zopf im Wind. In ihrer rechten Hand Blitz Metall auf. Dieser vertraute Anblick weckt eine Erinnerung in mir. Ein Knoten entsteht in meinem Magen. Wer verlässt so früh mein Haus? Das kann doch nur ...
Ohne nach einer weiteren Bestätigung für meine Vermutung zu suchen, greife ich nach meinem Mantel und schlüpfe in ein paar Hosen. Danach steige ich in meine Stiefel und flitze in meine anliegende Waffenkammer. Ich schließe die Türen auf und renne durch den Flur.
»Eure Majestät«, ruft mir Wilhelm hinterher und zerreißt die Stille, die an diesem Morgen im Schloss herrscht. Doch auch meine Schritte hallen durch die Gänge, als ich die Treppen hinab renne, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Wilhelm und meine andere Leibwache eilen mir genauso schnell hinterher. Ihre Rufe haben sie eingestellt, obwohl sie keine Ahnung haben, was soeben passiert ist. Ich hingegen weiß, dass mein Gefühl mich nicht täuscht. Mir fehlt etwas. Das Mädchen hat ihn mir gestohlen und ihr verlogener Freund hat da ganz gewiss auch seine Finger im Spiel.

Als ich in die warmen Stallungen trete, kleben meine Leibwachen immer noch an mir.
»Sattelt eure Pferde!«, weise ich sie an, »Wir müssen zwei Diebe fangen.« Sofort eilen sie los und verlassen noch vor mir den Stall mit ihren Pferden. Sobald sie außer Sichtweite sind, drossle ich mein Tempo, schließlich ist Nachthimmel schnell genug, um sie wieder einzuholen. Dazu nimmt ein Grinsen meine Lippen ein, denn obwohl mir mein wertvollster Besitz gestohlen wurde, muss ich nicht befürchten, dass er nicht wieder zu mir zurückkehrt. Die Diebe sind es, die ich rechtzeitig erwischen muss, und die sind nur zu Pferd unterwegs. Sie werden Stunden brauchen, bis sie den Teich erreichen. Wir dürfen sie nur nicht aus den Augen verlieren.
Also greife ich - ruhiger als zuvor - nach dem Zaumzeug und betrete Nachthimmels Box. Er blubbert mir zu und flattert mit den angelegten Flügeln, sobald er meinen Blick erkennt. Das hier haben wir schon lange nicht mehr gemacht.

Des Königs Feind (Lanidiam 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt