Kapitel 4 ~ Tortún

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Akeem tigert in meinem Arbeitszimmer im Kreis. Er läuft von der Tür zum Sessel, dann rechts an ihm vorbei, um meinen Arbeitstisch herum und hinter mir an dem Sofa vorbei wieder zur Tür. Das Gel, mit dem er seine Locken sonst plättet, hat sich aufgelöst und lässt seine Haare zerzaust in alle Himmelsrichtungen abstehen. Kurz bleibt er stehen, reibt sich den Nacken, doch ohne etwas zu sagen, führt seine Runde fort. Ich wende meinen Blick ab und betrachte meine Zehenspitzen, die in grauen Wollstrümpfen stecken. Dann überschlage ich meine Füße auf der Armlehne des Ledersofas lege meinen Kopf auf der anderen Armlehne ab. Mein Blick findet wieder zu dem Dolch in meinen Händen. Ich schließe die Augen und spüre das Kribbeln, das seine Energie in meinen Armen entstehen lässt. Zufrieden seufze ich. Das Vibrieren der Polster unter mir hört ruckartig auf. Akeem ist stehen geblieben. Sein Schatten fällt auf mein Gesicht.
»Wieso hast du das gemacht?«, wundert er sich und ich forme die Frage simultan mit meinen Lippen. Als er die Worte einen Moment später zum fünften Mal wiederholt, seufze ich auf. Kurz zucke ich zusammen, als ich meine Augen öffne. So nah wie er sich über mich gebeugt hat, kann er gewiss meine Nasenhaare erkennen.
»Ich habe geträumt, dass sie mir den Dolch stehlen wollen. Also habe ich sie eines besseren belehrt«, nehme ich mich seiner Frage an. Anschließend betrachte die Juwelen am Handstück des Dolches, die im Sonnenschein, der durch die vereisten Fenster fällt, bunte Flecken an die Wände werfen.
»Aber wann hattest du die Zeit eine Attrappe anzufertigen? Warum hast du nicht einfach deine Gabe benutzt?«, fließt es aus seinem Mund, ehe er sich auf die Sessellehne setzt und seine Haare plättet.
»Das habe ich auch, weil er wieder zurückgekehrt wäre, wenn ich ihn nur getäuscht hätte«, seufze ich. Anschließend setze ich mich auf. »So wie ich ihn kenne, wird er es geheim halten, bis er ihn ausprobiert. Wenn ich in dieser Zwischenzeit einen der anderen Könige damit konfrontiere, wird er sein Ansehen verlieren.«
»Dafür haben sie jetzt das Mädchen.«
Ich verdrehe die Augen. Das ist nicht wirklich ein Vorteil. In Lanidiam ist sie ein niemand. Nur in ihrer eigenen Welt könnte sie eine Gefahr für mich werden. Ihr Freund wird trotzdem zuerst hier nach ihr suchen, während sie sich das Imitat schnappen und es ausprobieren wird. Spätestens dann wird Quentin sie fallenlassen und sie nicht zu befreien versuchen, sobald ich sie wieder eingefangen habe. »Wenn das deine Sorge ist, solltest du wissen, dass meine Soldaten sie fangen, sobald sie sich auf den Weg zum Teich macht«, beruhige ich ihn. Dabei drehe ich ihm mein Gesicht zu.
»Woher weißt du, dass deiner der Echte ist?«, folgt ein neuer Zweifel. Sonst kenne ich ihn doch gar nicht so übervorsichtig.
»Ich spüre es«, gebe ich zu und stecke den Dolch zurück an seinen Platz. Anschließend schlüpfe ich wieder in meine Schuhe. Akeem beugt sich vor und legt den Roman auf den Kaffeetisch zwischen uns. »Soll ich es ins Lager bringen?«
Kommentarlos nickt er. Das Buch muss wirklich grauenhaft gewesen sein. Ein Glück, dass ich meine Zeit mit sinnvollerem verbringe.
Ich stütze meine Hände auf meine Knie und stehe auf. Dann nehme ich den Roman vom Tisch, ziehe den Umschlag und die Quittung aus dem Regal und lege ihn auf den Haufen verschmähter Bücher, die keiner meiner Bücherwürmer leiden kann. Ein anderes Mal werde ich sie weg bringen. Wenn ich sowieso dahin muss.
Er räuspert sich, bevor ich mich ihm wieder zudrehe.
»Der Schnee ist nicht mehr so hoch wie gestern«, bemerkt Akeem und wechselt das Thema. Neugierig drehe ich mich ganz zu ihm um.
»Wir waren dieses Jahr noch gar nicht jagen.« Schelmisch blitzen seine Augen auf.
»Kein Wunder, das neue Jahr hat heute erst begonnen«, lache ich und werfe ihm ein Grinsen zu. Mein Blick gleitet zu seinen Stiefeln, die er am anderen Ende des Zimmers stehengelassen hat. Meine Mundwinkel zucken noch höher. »Wer als erster draußen ist.«


Sommer 5220 nach Beginn der Zeitrechnung


Die Sommersonne brennt in meinem Nacken. Ich wische den Schweiß, der mir übers Gesicht rinnt, mit meinen Leinenhemd ab, bevor ich mein Glasflasche öffne und seinen Inhalt herunterkippe. Sofort lässt das Kratzen in meinem Hals nach.
Immer noch schnaufend tauche ich meine Hände ins Fass und befeuchte meine Haut und mein Gesicht. Ich blicke zu Akeem. Dieser schüttelt schmunzelnd den Kopf und nickt zu unseren Zuschauern hinüber.
Die versammelten Damen mit ihren Sonnenschirmchen schmachten ihm von dem Rand des Übungsplatzes hinterher. Diese Aufmerksamkeit in vollen Zügen genießend, zieht er sich das Leinenhemd vom Oberkörper und entblößt seine braune Haut. Verlegen kichern die jüngeren Mädchen, die diesen Sommer dieses Schauspiel zum ersten Mal betrachten dürfen. Als ich an ihm vorbeigehe, lege ich ihm eine Hand auf die Schulter. »Du solltest endlich über Claire hinwegkommen und dir eine Verlobte suchen«, raune ich ihm zu und mustere die schwärmenden Jungfrauen.
»Sind sie nicht wegen des ledigen Königs hier?«, fragt Akeem, erfüllt von falscher Bescheidenheit. Normalerweise wäre ein König in meinem Alter längst verheiratet, doch Vater hat versprochen, mir eine würdige Frau aus der anderen Welt zu holen. Obwohl er das nie erfüllt wurde, weiß ich trotzdem, das er bereits eine gewählt hat, die ich nur noch finden muss. Kopfschüttelnd gehe ich an ihm vorbei und bücke mich, um mein Schwert aufzuheben, das bei der letzten Übung aus meiner Hand geflogen und quer über den Platz geschlittert ist. Wenigstens habe ich im letzten Winter gegen ihn gewonnen, als wir Jagen gegangen sind. Doch ich habe diesen Sommer noch genügend Chancen gegen ihn zu gewinnen.
Kaum gehe ich wieder in Position und stehe Akeem gegenüber, schon werden wir unterbrochen.
»Majestät«, brüllt ein Soldatenjunge, der auf uns zu sprintet. Sein Kopf glüht rot wie eine Tomate. Ich hebe meine Augenbrauen. Das könnte lustig werden. Nachdem ich Akeem mein Schwert reiche, komme ich ihm entgegen.
Taumelnd hält er an und stützt seine Hände auf seine Knie. Zwei seiner raschen Atemzüge später stehe ich vor ihm und er richtet sich angemessen auf. Seine Hände verschränkt er hinter dem durchgedrückten Rücken.
»Du hast mich gerufen«, bemerke ich und sehe ihn erwartungsvoll an. Es muss einen guten Grund geben, sofern das nicht nur eine Mutprobe ist, zu denen die Jungs immer wieder mal angestachelt werden.
»Er ist zurück«, keucht er und ergänzt noch schnell ein, »Eure Majestät.«
Erwarte ich jemanden? »Wen meinst du?«
»Den Verirrten, Eure Majestät«, ergänzt er. Langsam kehrt sein Gesicht zu der gewohnten Farbe zurück, nur der Sonnenbrand auf seinem Nasenrücken und seinen Wangen glüht weiterhin rot.
Ich folge ihm zum Palasttor, wo fünf Männer in einem Kreis stehen. Sie salutieren, als sie mich sehen. Sobald wir bei ihnen ankommen, tritt ihr Truppenführer vor. »Eure Majestät, wir haben ihn gestern Mittag Nordwestlich vom Teich gefangen«, berichtet er und befiehlt seinen Männern beiseite zu treten. Gestern Mittag schon? Warum haben sie so lange für die Rückkehr gebraucht?
Die braunen Haare des Verirrten schimmern rötlich und hängen verschwitzt in sein Gesicht. Wut funkelt mir entgegen. Hass mit einem kleinen Schuss Furcht brennt in seinem Blick. Er sieht noch genau so aus wie vor ein einhalb Jahren. Wenn ich mich nicht irre trägt er sogar noch dieselben Kleider. Zumindest hängt seine Schwertscheide immer noch halb festgebunden an seiner Hüfte. Das Schwert hält einer der Soldaten, der zur Seite getreten ist. Seine Hände sind auf seinem Rücken fixiert.
»Warum ist er geknebelt?«, frage ich, als mein Blick wieder sein Gesicht trifft. Nicht das mich das stören würde, die Verirrten haben die Angewohnheit zu viel zu plappern, trotzdem macht es mich neugierig.
»Er hat einen der Männer gebissen, als er heute Nacht versucht hat, zu entkommen, Eure Majestät«, gesteht der Hauptmann. Sofort huscht mein Blick über die Soldaten. Sie alle stehen stramm, wenn auch ein wenig erschöpft, da. Keiner von ihnen scheint verletzt zu sein.
»Danke für euren Einsatz«, verkünde ich und weise sie mit einer Geste an, zu ihrer Position zurückzukehren. Noch während sie sich verneigen, packt der Truppenführer Franz an den Fesseln und zerrt ihn hinter mir her.
»Majestät«, wendet der Soldat sich erneut an mich.
»Ja?«
»Im Wald haben wir auch eine Fremde, eine junge Frau, gefunden. Einer der Jungs hat sie in der Schulter getroffen. Beim Fall hat sie sich den Kopf aufgeschlagen«, erzählt er und schluckt schwer. »Sie hätte die Reise nicht überlebt, deshalb haben wir sie dort gelassen.«
Wie angewurzelt bleibe ich stehen. Das kann nicht wahrsein. Ich habe ihnen doch gesagt, das sie jeden Verirrten hierher bringen sollen.
»Wie sah sie aus?«, frage ich und beherrsche meinen Ton. Neugier mischt sich unter meine Frustration.
»Sie hatte schulterlange, gelockte Haare und seltsame, knappe Kleidung an. Mittelgroß und gut genährt. Der Schütze meinte, sie war im heiratsfähigen Alter«, gesteht er. Ein voreiliger Gedanke, eine Sorge breitet sich in mir aus. Die Beschreibung, ausgenommen der Kleidung, klingt ein kleines Bisschen nach der Frau die Vater für mich erwählt hat. Er hatte nach einer Reise einst gemeint, er hätte eine Frau für mich gefunden, doch letztendlich hat er sie nicht mitgebracht. Wenn ich bereit für eine Frau sei, sollte ich sie selbst besuchen. Dann würde er mich zu ihr führen ...
Jedoch haben viele Menschen Locken, das muss nicht viel heißen. Zur Sicherheit könnte ich dennoch nachschauen.
»Welche Haarfarbe?«, frage ich und erinnere mich an Vaters vage Beschreibung. Eine wahre Nachfahrin der geflohenen Prinzessin sollte als meine Königin regieren, hatte er mir versprochen. Ich reibe meine feuchten Hände an meiner Hose ab und ein ungutes Gefühl breitet sich in meinem Bauch aus, noch bevor er antwortet. Was wäre, wenn sie ungeduldig geworden war und sich zu mir auf den Weg gemacht hatte?
»Rot.«

Des Königs Feind (Lanidiam 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt