Prolog

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Die kühle Abendluft streift sanft über dein Gesicht, so angenehm wie sie auch ist, spürst du doch die Kälte genau, jene Kälte die deine Wangen rötet, während sie dir mit so leichter Gewalt an die Wangenknochen prallt, weiter bis zu deinen Ohren fliesst und dich mit einem erfrischend kalten Schauer verlässt. Keine Sekunde später besucht dich ihr Artgenossen, mit dem Versprechen, dass das gleiche Prozedere von Neuem beginnt und doch ist die Veränderung, der ach so gleichen Situation, unumgänglich. Du, der du das hier liest, spürst es vielleicht schon selbst, aber es hat etwas Belebendes, oder? Spürst du nicht, wie das Leben zurück in deine Glieder kehrt, wie die Luft dich belebt, wie sie kalt durch die Nase deine Lungen füllt und so eine unausgesprochene Sucht befriedigt, die doch jeder auf diesem Planeten täglich zu stillen hat. Die Gedanken im unverständlichen Gesang des friedlichen Windes vertieft, blendest du das schwache Rauschen des naheliegenden Flusses komplett aus. Der Fluss, der mit einer so gleichgültigen Gewalt vor sich hinfliesst, dass sein eigentlicher Name schon gar keine Relevanz mehr hat. Nun rauscht also der unbekannte Fluss neben dir her und während er fliesst, fliessen auch deine Gedanken, ohne Start und ohne Ziel kreisen sie in einem unendlichen Wirbel voller Tatendrang und Erschöpfung, voll Freude und doch von Angst geprägt. Wie der ungenannte Fluss, so bemerkst du auch die Parkbänke, jene, die scheinbar seit Ewigkeiten unverändert nahe dem Fluss stehen, nicht. Es ist nicht so, als würdest du diese bewusst ausblenden, nein, vielmehr nimmst du die Parkbänke gar nicht wahr, deine Wahrnehmung wird durch ihr wenig spektakuläres Äusseres getrübt und dadurch wird eben jene Parkbank unsichtbar für dich. So wie er, er, der im Schatten auf einem solchen Gestell aus altem Holz und rostigem Metall sitzt.

Er, dessen Namen wir hier in diesem Umfeld nicht nennen und nicht kennen, hat sich vor geraumer Zeit auf jene eine Holzkonstruktion gesetzt. Sie unterscheidet sich in keiner Weise von jeder anderen Parkbank. So normal wie sie scheint, so unbequem ist sie auch. Doch das fällt ihm nicht auf, in Gedanken vertieft nimmt er die unbequeme Sitzfläche kaum wahr. Schliesslich erfüllt sie ihren Zweck und entlastet seine Beine und dies ist der Unterschied, der für ihn in diesem Moment wirklich zählt. Die Beine, die ihn den ganzen Tag über durch die Menschen getragen haben. Jene Menschen, die nicht aufsehen, wenn er auf seinen – mittlerweile ermüdeten – Beinen neben ihnen durchläuft, die nicht grinsen und nicht lachen. Unverständnis gegenüber ihnen hat er nicht, im Gegenteil sogar, er versteht sie sogar sehr gut. Warum sollte man denn auch fröhlich sein, wenn man jeden wider den gleichen Mist machen muss, um Geld zu verdienen, das man braucht, um Sachen zu bezahlen, die man nicht will. Er empfindet eher Unverständnis gegenüber denen, die solch ein «Leben» geniessen. Doch bohrt sich im heute Abend eine Erkenntnis in den Kopf. Er, der seine Abende hier draussen damit verbringt, über das Leben anderer zu sinnieren, realisiert, dass auch seine Abende wie diese begrenzt sind. Möchte er sie wirklich mit solch Negativität verbringen? Überhaupt nicht, er will doch einfach frei sein. Die Freiheit spüren und auskosten können, bis sie ihm verleidet und dies könnte tatsächlich so lange dauern, bis seine Abende nicht mehr begrenzt, sondern schlichtweg aufgebraucht sind. So frei sein wie ein Vogel, der sich vom Wind tragen lassen kann, ohne Start und ohne Ziel. Den Moment in seiner reinsten Form geniessen. Wie eben dieser Vogel, der sich von der kalten Abendbrise über das Haus, welches nicht weit entfernt von der Parkbank steht, tragen lässt.

Die Ästhetik des Gebäudes könnte man als verlassen und schaurig beschreiben. Die Möglichkeit besteht durchaus, dass Fremde dieser Stadt hinterfragen würden, warum dieses Haus noch nicht dem Erdboden gleichgemacht wurde. Weder eine rumreiche Vergangenheit noch wertvolle Erinnerungen können mit diesem Gebäude in Verbindung gebracht werden. Und doch drängt sich die Frage auf, was dieses Gebäude so lange vor Wind und Wetter oder dem Optimierungsdrang der Menschheit beschützt hat. Die Gründe für das Fortbestehen dieser Baracke liegen im Untergrund darunter. Ausser Sicht unseres schwebenden, freien Freundes befindet sich eine kleine Gruppe von Menschen fernab unserer heutigen Sicht von Normalität. Ein künstlich beleuchteter Raum gibt der Ansammlung Herberge an diesem Abend. Wer, was und wieso sich all jene Persönlichkeiten im Untergrund versammelt haben, wird zu einem späteren Zeitpunkt aufgeschlüsselt. Denn in nicht allzu ferner Zukunft werden sich die Wege zwischen der nächtlichen Versammlung und ihm kreuzen, ob die Wege nach der Kreuzung wieder separat verlaufen oder diese verschmelzen, wird sich zeigen. Er, von dem diese Geschichte hier handelt, wird sich früher oder später hier wiederfinden. Doch bis dahin geben wir uns zufrieden, wenn wir seinen schicksalshaften Namen erfahren. Seit seiner Geburt von vor etwas mehr als 2 Jahrzehnten hört er auf den Namen, ob gesprochen, geflüstert oder geschrien, ...

ADAM: Das Erbe des EmpathenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt