Kapitel 4

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Nach dem Abendessen bei Julias Eltern beschlossen Wincent und Julia, in ihre gemeinsame Wohnung zurückzukehren. Wincent hatte auf Julias Wunsch hin dafür gesorgt, dass sie weiterhin zusammenlebten, in der Hoffnung, dass die vertraute Umgebung ihr helfen würde, ihre Erinnerungen zurückzugewinnen. Doch die vergangenen Wochen hatten gezeigt, dass dies ein schwieriger und langsamer Prozess war.

An diesem Abend hatten Julias alte Schulfreundinnen sie eingeladen, feiern zu gehen. Es war eine spontane Idee, die sie ein wenig aus ihrem Alltag herausreißen sollte. Julia zögerte zunächst, doch auf Drängen von Wincent und ihren Freundinnen entschloss sie sich, mitzugehen. Wincent bot sich an, sie zu begleiten, um ihr moralische Unterstützung zu geben.

Als sie in der Bar ankamen, herrschte eine ausgelassene Stimmung. Musik spielte, Menschen lachten und tanzten. Julia fühlte sich zunächst unwohl in der lauten Umgebung, doch ihre Freundinnen versuchten, sie zu beruhigen. "Es wird dir guttun, ein wenig abzuschalten", sagte Lena, eine ihrer ältesten Freundinnen. "Lass uns einfach Spaß haben."

Julia lächelte zaghaft und nickte. Wincent blieb dicht bei ihr, doch sie merkte, dass er sich auch nicht ganz wohl fühlte. Sie nahmen sich einen Tisch am Rand der Tanzfläche und bestellten Getränke. Julia nippte an ihrem Cocktail und versuchte, sich zu entspannen.

Dann geschah es. Während sie sich umsah, entdeckte Julia jemanden, den sie sofort erkannte - Tobias, ihren Ex-Freund. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, und plötzlich fluteten alte Erinnerungen zurück. Sie erinnerte sich an die Zeit, die sie mit Tobias verbracht hatte, an ihre gemeinsame Schulzeit, an die Momente der ersten Liebe und des jugendlichen Überschwangs.

Tobias sah sie ebenfalls und kam lächelnd auf sie zu. "Julia! Es ist lange her. Wie geht es dir?"

Julia stand auf und umarmte ihn, ihre Augen leuchteten auf eine Weise, die Wincent schon lange nicht mehr bei ihr gesehen hatte. "Tobias! Das ist ja eine Überraschung. Mir geht es... ganz gut, denke ich."

Wincent beobachtete die Szene mit einem mulmigen Gefühl im Bauch. Er sah, wie Julia Tobias ansah - mit einem Blick, den er nur allzu gut kannte. Es war der Blick, den sie ihm gegeben hatte, als sie sich frisch verliebt hatten. Eine Mischung aus Wärme, Vertrautheit und einer Sehnsucht nach vergangenen Zeiten.

"Das ist Wincent", stellte Julia ihn vor, als Tobias fragend zu ihm hinüberblickte. "Wincent, das ist Tobias, ein alter Freund aus der Schulzeit."

"Freut mich, dich kennenzulernen", sagte Wincent und schüttelte Tobias die Hand, obwohl er sich innerlich unwohl fühlte. Die Art, wie Julia Tobias ansah, machte ihn nervös. Er wollte nicht der eifersüchtige Partner sein, aber die Situation nagte an ihm.

"Setz dich zu uns", bot Julia Tobias an. Tobias nahm das Angebot gerne an und die drei begannen, sich zu unterhalten. Tobias erzählte von seinem Job, seinen Reisen und erinnerte sich an gemeinsame Erlebnisse aus der Schulzeit, die Julia wieder ein Stück ihrer Vergangenheit zurückbrachten. Sie lachte und schien für einen Moment in diese vergangene Zeit zurückversetzt.

Wincent blieb den ganzen Abend über ruhig und zuvorkommend, auch wenn es ihm schwerfiel. Er wusste, dass er Julia nicht noch mehr verunsichern durfte, indem er seine eigenen Unsicherheiten offen zeigte. Stattdessen versuchte er, sich in die Gespräche einzubringen, auch wenn er sich fehl am Platz fühlte.

Als die Nacht fortschritt, wurde die Bar immer lauter und belebter. Julia hatte inzwischen mehrere Cocktails getrunken und schien sich zunehmend zu amüsieren. Wincent merkte jedoch, dass sie sich in einer Art nostalgischem Rausch befand, der sie von der Realität entfernte. Tobias genoss die Aufmerksamkeit und schien sich ebenfalls an die alte Zeit zu erinnern, als er und Julia ein Paar waren.

Gegen Mitternacht entschloss sich Wincent, dass es Zeit war zu gehen. Er beugte sich zu Julia und sagte leise: "Vielleicht sollten wir langsam nach Hause gehen. Es war ein langer Tag."

Julia nickte, wenn auch etwas widerwillig. "Ja, du hast recht. Es war schön, Tobias wiederzusehen, aber ich bin auch müde."

Sie verabschiedeten sich von Tobias und den anderen Freundinnen. Tobias umarmte Julia noch einmal fest. "Es war wirklich toll, dich wiederzusehen. Lass uns bald mal wieder was zusammen machen."

"Das würde ich gerne", antwortete Julia und lächelte. "Pass auf dich auf, Tobias."

Wincent hielt Julia sanft an der Hand, als sie die Bar verließen und in die kalte Nacht hinausgingen. Der Weg nach Hause war still. Julia schien in Gedanken versunken, während Wincent mit seinen eigenen Gefühlen kämpfte. Er wusste, dass es eine schwierige Zeit war und dass er Geduld haben musste, aber der Abend hatte ihm deutlich gemacht, wie fragil ihre Beziehung momentan war.

Zuhause angekommen, half Wincent Julia aus dem Mantel und begleitete sie ins Schlafzimmer. "Ich hoffe, du hattest trotzdem einen schönen Abend", sagte er, obwohl seine Worte ein wenig hohl klangen.

Julia drehte sich zu ihm um und sah ihn an. "Ja, das hatte ich. Es war... seltsam, aber auch schön, Tobias wiederzusehen. Es hat so viele Erinnerungen geweckt."

Wincent nickte. "Ich verstehe das. Es ist wichtig, dass du dich an deine Vergangenheit erinnerst. Aber ich hoffe, dass du auch uns nicht vergisst."

Julia sah ihn lange an, bevor sie leise antwortete: "Ich versuche es, Wincent. Es ist nur so schwer, alles in meinem Kopf zu sortieren. Aber ich weiß, dass du für mich da bist, und das bedeutet mir viel."

Wincent zog sie in eine sanfte Umarmung und küsste sie auf die Stirn. "Ich werde immer für dich da sein, Julia. Egal, was passiert."

Mit diesen Worten verließ er das Schlafzimmer und legte sich auf die Couch...

Schneeflocken der ErinnerungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt