Ich schließe die Augen und lasse meine Gedanken einfach kommen und gehen. Ich sehe Farben und Formen. Jedoch noch ziemlich verschwommen. Langsam wird das Bild schärfer. Eine Blumenwiese! Die schönste und vielfältigste die ich mir jemals vorstellen könnte. Von Margariten über Veilchen. Vergissmeinnicht und Löwenzähne. Alle sehen mir mit aufgerichteten Köpfen entgegen. Einen Moment lang lasse ich das Gesamtbild auf mich wirken, bis mir eine ganz besondere Blume ins Auge sticht.
In vielen verschiedenen Farben entdecke ich sie überall verteilt immer wieder. Das zarte Hellrosa mit einem Hauch vom Violett lässt mich ihr in Gedanken sehnsüchtig näherkommen. Im Augenwinkel sehe ich noch viele weitere Farben wie Gelb oder Rot. Irgendwoher kenne ich diese Pflanze. Sie kommt mir so vertraut vor, aber nicht, weil ich sie vorher schon gesehen hatte. Eher, weil mich ihr Duft an etwas erinnert.
So gut wie möglich präge ich mir alle Details ein und öffne langsam meine Augen. Das Sonnenlicht strahlt durch das große Wohnzimmerfenster und lässt jedes einzelne Staubkorn, das in der Luft tanzt, sichtbar werden.Einige Male muss ich blinzelt und gewöhne mich langsam wieder an meine Umgebung. Mit Leichtigkeit erhebe ich mich und wandere wie in Trance in mein Zimmer zu meinem Bett, auf dessen hellblauer Bettdecke mein Laptop liegt.
Gebannt starre ich auf die Internetseite, die mir verraten soll, welche Blume mich so fasziniert hat. Langsam scrolle ich weiter hinunter und spüre, wie meine Hoffnung bei Blume schwindet. „Seite 8 von 9", steht unten. Ich habe nur noch eine Hoffnung. Celosia, nein. Gladiolen, nein. Traubenhyazinthen, nein. Dahlien. Wir kommen schon näher. Da! Chrysanthemen! Das sind sie, ich habe sie endlich gefunden.
Gebannt blicke ich auf den Bildschirm und klicke schlussendlich auf „Mehr erfahren". Sorgfältig lese ich mir den Absatz durch. Chrysanthemen blühen gegen Ende Sommer und Anfang Herbst. Aus dem Altgriechischen bedeutet ihr Name etwa Gold-Blüte. Das würde zumindest erklären, warum genau sie mir ins Auge gestochen sind. Sie kommen aus Ostasien, vor allem aus Japan und bedeuten Glück, Treue und...Liebe! Besonders die roten Blüten sollen dafür symbolisch stehen.
Apropos Rot, schnell husche ich zurück ins Vorzimmer und hole den Flakon. Die Flüssigkeit nimmt eine hellrosa Farbe an, wenn man ihn gegen das Sonnenlicht hält. Erst jetzt bemerke ich, dass es schon Abend sein muss, da die Sonne schon so tief steht. Aber nun wieder zurück zum Duft.Von der Form her erinnert mich das Fläschchen an einen geschliffenen Edelstein. Eher rechteckig und das dicke Glas lässt es förmlich funkeln. Die Kappe ist eine große glänzende Perle. Ich kann mich selbst darin betrachten, so glatt ist sie. Noch nie in meinem Leben habe ich ein so schönes Gefäß zu Gesicht bekommen. Unter der Perle befindet sich noch eine Schleife aus rotem Seidenband. Es ist mit irgendeinem Aufdruck verziert, doch beachte ich ihn kaum. Sondern mache ich die Masche einfach auf und lege das Band in meine Nachtkästchenlade.
Langsam und vor allem vorsichtig öffne ich den Verschluss. Ohne auch nur gesprüht haben zu müssen verbreitet sich der liebliche Geruch wie in einer magischen Wolke um mich herum. Tief atme ich ein und verliere mich in dem Duft.
Ich muss eine ganze Weile so dagesessen haben, denn meine Mutter klopft an meine Türe und bittet mich, zum Abendessen zu kommen.
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Wenn die Chrysanthemen blühen
RomanceNach ein paar aufregenden Jahren überall auf der Welt zieht die 16-jährige Dalia zurück in die Stadt, wo sie auf ihrer neuen Schule Freunde und Verbündete kennenlernt. Und eventuell auch die große Liebe. Sie verzaubert nicht nur ihre Freunde mit ih...