Kapitel 9

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POV Angelique

Ich wurde durch das Wackeln meines Kissens wach. Noch im Halbschlaf gefangen murmelte ich: "Was'n los?" "Wollte nur aufs Klo. Tut mir leid, dass ich dich geweckt habe, alles okay?", antwortete mein Kissen. Einen Augenblick später schaltete sich mein Gehirn ein. Seit wann redeten Kissen? Ich runzelte die Stirn. "Angie?" Ich öffnete die Augen und blickte in das noch leicht verschlafene Gesicht meiner besten Freundin. "Ach du bist's! Ja, alles paletti." "Okay, bis gleich!" Liv düster voller Elan ins Bad, während ich mir den Schlaf aus den Augen rieb. Verwirrt erstarrte ich für einen Moment. Wieso waren meine Wangen nass? Hatte ich etwa geweint? Ich sprang auf und lief zum Spiegel. Und tatsächlich sah mein Gesicht nicht nur verschlafen aus, meine Augen waren rot gerändert und ich hatte monströse Augenringe. "Ach du meine Güte !" Was war passiert,  dass mich so Aussehen ließ? Ich kramte in meinen Gedanken und auf einmal traf es mich wie ein Schlag auf den Hinterkopf.

Aiden...er war TOT. Ermordet durch die Hand eines fremden Mannes. Trauer beschlagnahmte mich und meine Augen waren kurz davor,  vor Tränen über zu quellen. Trotzig wischte ich sie weg, aber das beklemmende Gefühl in meiner Brustgegend wollte einfach nicht verschwinden. Ohne Aiden an meiner Seite fühlte ich mich leer. Als würde ein Teil von mir fehlen, nachdem sich mein ganzes Sein verzehrte. Plötzlich fühlte ich mich ganz allein in einer Welt, wo es niemanden gab,  der sich um mein Leben oder generell meine jetzige Situation scherte.

Auf einmal stand Liv hinter mir. "Umarmung?", fragte sie nur und ich nickte sachte. Einen kurzen Augenblick später legten Livs Arme sich um mich und ich atmete ihren beruhigenden Duft tief ein. "Lass es raus! Fress es nicht in dich hinein!", ermutigte sie mich. Bei ihren Worten löste sich vollends der Staudamm und eine Flut aus bitteren, sauren Tränen durchtränkte ihr Pyjama Oberteil. Livs Arme strichen gleichmäßig über meinen Rücken und drückten mich noch fester an sie. Nachdem keine Tränen mehr kommen wollten, trat ich einen Schritt zurück und Livs Arme wanderten von meinem Rücken zu meinen Schultern, die sie fest umfasste. Sie blickte mir tief in die Augen: "Bereit fürs Frühstück?" Ich nickte entschlossen und atmete noch einmal tief durch, bevor ich ihr zum Esstisch folgte.

Es herrschte so tiefes Schweigen am Tisch, dass man sogar die Flügel einer Eintagsfliege hätte schlagen hören können. Unbehaglich rutschte ich auf meinem Stuhl hin und her, da ich den stechenden Blick meiner Mutter über den Tisch hinweg deutlich auf mir spüren konnte. Schließlich waren meine Nerven bis zum zerreißen gespannt und ich fragte mürrisch: "Warum guckst du so?" Meine Mutter hob abwehrend die Hände. "Ich wollte nur wissen, wie es dir geht." "Gut wie immer. Ein Problem damit?", log ich. Meine Laune hatte eindeutig ihren Tiefpunkt erreicht und ich fühlte mich wie eine Porzellanpuppe, die man mit Samthandschuhen anfassen musste. Mich zu unterstützen um über Aidens Tod hinweg zu kommen, wäre doch viel effektiver. Aber solches >Glück< hatte ich nicht.  Ehrlich gesagt wusste ich auch nicht was schlimmer war: So zu tun, als ob nichts wäre oder ständig überwacht zu werden und aus allem was ich tat oder sagte gleich hinein zu interpretieren ich wäre geistig damit überfordert. Was ich aber nur teilweise und auch nur, wenn Liv da war, stimmte. Im Moment hatte ich das Gefühl,  dass sie die einzige war, die verstand,  dass ich diesen Teil der Trauer selbst überstehen musste,  bevor ich jemanden wieder an mich heran ließ. "Nein überhaupt nicht.  Wir sind nur um deine mentale Gesundheit besorgt.", beantwortete meine Mutter meine zugegeben unhöflich gestellte Frage. Irgendwie wurde mir das hier wirklich alles zu viel und ich fühlte mich un die Ecke gedrängt.

"Was ist eigentlich mit dem Jobangebot in der anderen Stadt?", wechselte ich beabsichtigt abrupt das Thema. Meine Mutter sah mich zuerst fragend an, bis sie endlich verstanden hatte , was ich meinte. "Ach meinst du das, wo es das große Archiv gibt und mehrere wichtige Verbindungen zu anderen japanischen Universitäten?", fragte sie und ihr Blick war dabei in die Ferne gerichtet. "Ja, kannst du das Angebot noch annehmen?" "Rein theoretisch ja. Ich habe die Absage noch nicht abgeschickt, weil es mir so schwer gefallen ist. Auf der Uni hätten sich all meine Träume erfüllt. Du weißt ja, wie sehr ich alles, was mit Japan zu tun hat, liebe. Deshalb bin ich auch Professorin in Japanologie geworden. Wieso fragst du?" "Na ja, mir ist gerade dir Idee gekommen,  dass wir, wenn du dort arbeiten kannst und Marc da als Psychologe auch schnell einen Job bekommt, ", ich blickte Marc bittend an, welcher letztendlich zustimmend nickte, "dorthin umziehen könnten. Mich erinnert das hier so sehr alles an ihn, dass fast nicht mehr klar denken kann. Es macht mich wirklich fertig.  Und dabei sind erst zwei Tage vergangen." Nach dem Geständnis schauten mich alle, auch Liv, entsetzt an. "Schätzchen warum hast du das nicht früher gesagt?", rief meine Mutter entrüstet,  während Liv gleichzeitig mit besorgten Stimme sagte: "Bist du dir sicher,  dass es die richtige Entscheidung ist,  davon zu laufen?" Livs Frage war direkt und traf mich unerwartet. "Ja...Ich g...glaube schon.", erwiderte ich etwas stockend. Liv sah mich noch einmal eindringlich an. "Ja, wirklich. Wenn ich nicht die ganze Zeit mit Erinnerungen an ihn konfrontiert werde, habe ich endlich Zeit in Ruhe darüber nachzudenken." Dem konnte Liv nichts entgegen setzen. "Also von mir aus würde das gehen, aber der >Umziehprozess< dauert bei mir locker um die drei Monate. Wegen Arbeit wechseln, neue Wohnung suchen und der ganze Kram. Aber wenn wir schnell eine bezahlbare Wohnung für euch finden,  könntet ihr zum Schulstart schon auf eine neue Schule gehen, wo ihr euer Abi machen könnt, wenn ihr das so wollt.", schlug meine Mutter vor. Ich nickte und blickte Liv fragend an. "Wir müssten dann wirklich viel erledigen,  wenn wir in ca einem Monat auf eine neue Schule gehen wollen. Außerdem muss ich sicher erzalber noch meine Eltern um Erlaubnis fragen. Und auch noch mal selbst darüber nachdenken. Es ist ja nicht alltäglich, dass man spontan mit seiner besten Freundin umzieht." Meine Mutter nickte zustimmend. "Ich würde sagen, dass wir uns noch einen entspannten Tag machen und morgen teilt dann jeder den anderen seine Entscheidung mit." Alle stimmten zu und Marc küsste Chloe mit einem Grinsen auf die Wange, woraufhin diese errötete. Liv verdrehte nur die Augen "Das ist sowas von kitschig. Lass uns in dein Zimmer gehen. Ich ruf kurz meine Eltern an und danach können wir nach einer passenden Wohnung für uns suchen,  ja?" Zusammen gingen wir in mein Zimmer, wo mich alles schmerzhaft an ihn erinnerte.

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