KAPITEL 8

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Dienstag, 21. September

Zoeys Schultag verlief heute ganz nach ihren Vorstellungen. Keiner hat sie gestört, die Lehrer und Lehrerinnen haben sie nicht dran genommen, Blake hat Ava in Ruhe gelassen, sie hat ihre alten Freunde Benji und Elaine nicht gesehen. Ein Traum, denkt sich Zoey.

Leider ist der Rest des Tages nicht so prickelnd, wie Zoey findet. Sie ist wieder mit Ava verabredet aufgrund ihres Projekts in Fotografie. Aber es ist heute das letzte Mal. Sie wollen ihre Collage fertigstellen und müssen in der nächsten Fotografie-Stunde vortragen. Seit dem letzten Treffen mit Ava hat sich ihre Einstellung gegenüber Ava verändert. Sie hat Ava einen tiefen Einblick in ihre Gefühlswelt gegeben und hat mit ihr über den Tod ihrer Mutter gesprochen. Das hat sie sonst mit niemandem getan. Sie hat immer darüber geschwiegen. Aber Ava macht etwas mit ihr. Sie kann nur nicht beschreiben was. Aber was sie weiß, ist, dass es ihr große Angst macht. Sie lässt ihre Mauer gegenüber Ava Stück für Stück fallen und weiß nicht, ob das gut ist oder nicht.

Heute allerdings ist nicht Ava das Problem, sondern ihre Eltern und ihr Opa. Ava hat sie schon vorgewarnt, dass ihre Eltern und ihr Opa heute zuhause sind, weswegen die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass sie auf sie treffen werden.

Neue Leute kennenzulernen ist für Zoey eine Herausforderung, seit ihre Mutter gestorben ist. Sie hat das Gefühl irgendwelche Erwartungen erfüllen zu müssen oder wieder zu der alten Zoey werden zu müssen, die von allen Leuten gemocht wurde. Die neue Zoey mag kaum jemand. Auch sie selbst nicht. Aber es ist keine Option wieder zur alten Zoey zu werden.

Nach Schulschluss treffen Zoey und Ava sich an der Bushaltestelle, um mit dem Bus zu Ava nach Hause zu fahren.

„Hey, Zoey", wird sie von Ava lächelnd begrüßt.

„Hi."

Stille. Und dann kommt schon der Bus, sodass beide gar nicht dazu kommen, noch etwas zu sagen. Zoey wüsste eh nicht, was sie sagen könnte. Ihr Gefühlsausbruch vom letzten Treffen ist ihr unangenehm. Sie hat zum ersten Mal seit langer Zeit ihre wahren Gefühle gezeigt und ihrer Trauer einen Raum gegeben. Und das vor Ava. Sie überlegt, ob sie sich dafür entschuldigen sollte.

Im Bus bekommen Zoey und Ava glücklicherweise beide einen Sitzplatz nebeneinander.

„Wie geht's dir heute?", fragt Ava.

Zoey will reflexartig „Gut" antworten, weil sie das immer auf diese Frage tut, aber beschließt dann, ehrlich zu Ava zu sein.

„Beschissen beschreibt es gut."

Ava schaut sie von der Seite besorgt an, aber Zoey vermeidet es, ihr in die Augen zu schauen. Früher hat ihre Mutter immer gesagt, dass man allein anhand Zoeys Augen ablesen konnte, wie es ihr geht. Und auch wenn sie schon gesagt hat, dass es ihr beschissen geht, schafft sie es nicht, Ava (oder irgendeiner anderen Person) zu zeigen, wie beschissen es ihr wirklich geht.

„Was ist denn los?", fragt Ava zögerlich.

„Das Leben", antwortet Zoey trocken.

Dann schaut sie Ava doch in die Augen, sie verharren beide für einen kurzen Moment und fangen dann an laut schallend zu lachen, sodass alle anderen Fahrgäste zu ihnen schauen.

Zoey fühlt sich erleichtert nachdem sie aufgehört haben zu lachen. Schon lange hat sie nicht mehr so sehr gelacht. Sie hat ganz vergessen, wie gut es sich anfühlt, zu lachen, bis der Bauch wehtut.

Nach einigen ruhigen Minuten, in denen sie keine genervten Blicke der anderen Fahrgäste erhalten, weil sie so laut sind, sind sie an der Haltestelle nähe Avas zuhause angekommen und steigen aus dem Bus aus. Sie laufen nur wenige Minuten, bis sie da sind. Ava kramt ihren Schlüssel aus der Schultasche und schließt die Tür auf.

𝙰𝚕𝚜 𝚍𝚒𝚎 𝚂𝚘𝚗𝚗𝚎 𝚠𝚒𝚎𝚍𝚎𝚛 𝚊𝚞𝚏𝚐𝚒𝚗𝚐Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt