Kapitel 1

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Farah

Heute

1957 – Manta, Ecuador Einschiffung der Pandora



Es hatte etwas Morbides, mit einem Mörder im Koffer ein Passagierschiff zu betreten, das voller grausamer Geheimnisse war. Doch an dieses bizarre Gefühl würde ich mich für die nächsten drei Jahre gewöhnen müssen, wenn ich hier meine Fortbildung zur Knochenmeisterin absolvieren wollte.

Mein Blick glitt über den Ozean, während ich mit der behandschuhten Hand die Reling entlangstrich und mir der leichte Wind einzelne dunkle Strähnen zerzauste. So gelinde das Schiff auch auf den Wellen des Pazifischen Ozeans schwankte, die Unruhe an Deck konnte ich nicht gänzlich ausblenden. Ich verbrachte nur wenige Stunden an Bord, aber die Hektik der Magier war deutlich wahrzunehmen. Oder besser gesagt, die der Knochenmeister. Nur weil es sich um meinen ersten Tag handelte, bedeutete das nicht, dass der Alltag der anderen stillstand.

Durch das Schwanken auf See spürte ich die leichten Tropfen der salzigen Gischt auf meiner Haut und ... fühlte ihn. Den Tod auf Gewässern. Ich konnte durch Berührungen die Visionen der Toten sehen. Das war eine der vielen Nachteile, wenn man so wie ich eine Sonnenstrahlmagierin mit einer einzigartigen Gabe war. Und die Tiefen dieses Ozeans bargen einige ihrer Geschichten.

Ich schloss die Augen.

Atmete tief durch.

Kämpfte gegen den animalischen Drang an, die Stimmen der Toten zu hören. Ließ sie nicht in meinen Kopf, weil sie mir nur zu gern von ihrem Leid erzählen wollten.

Nach einem Moment der Anspannung wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder dem Hier und Jetzt zu. Es war befremdlich, die Luft einer anderen Welt zu atmen. Meine Umgebung erschien mir fremd und vertraut zugleich. Ein Teil von mir kannte diese Welt aus Erzählungen. Der Teil, der von ihm geblieben war. Meinem Großvater.

Ein leises Poltern in meinem Koffer neben mir ließ mich aufschrecken.

Dieser verfluchte Mistkerl.

Nach einem Tritt gegen die robuste Außenhülle meines hochwertigen kastanienbraunen Koffers murmelte ich: »Halt endlich die Klappe.«

Das Letzte, was ich an meinem ersten Tag gebrauchen konnte, war Chaos. Und dass ich den Mörder meines Vaters mit mir im Koffer trug, eingesperrt in einer orientalischen goldenen Kanne, sollte nicht die Runde machen.

Edlaz.

Er war ein Goblin, eine Kreatur der Magierwelt, die für Unruhe sorgte und als Strafe in einen Gegenstand gesperrt wurde. Nur so konnte man Goblins in Schach halten. Diese Geschöpfe wurden auch Plagegeister genannt, die zwar nicht logen, aber die Wahrheit meisterhaft zu ihren Gunsten verdrehten.

Edlaz stieß einen Fluch aus, der so leise war, dass er mich kaum erreichte.

»Das muss sie sein«, hörte ich eine überhebliche Stimme hinter mir. Die Frau gab sich nicht die Mühe, den Ton zu senken.

»Farah Kemik«, erwiderte jemand anderes.

Ich tat das, was ich am besten konnte: Leute ignorieren.

In der Regel interessierte mich die Meinung anderer nicht und ich ging diese Fortbildung nicht an, um Freundschaften zu schließen. Doch Feinde wollte ich mir auch nicht machen.

Die Atmosphäre auf dem Schiff war getränkt mit unausgesprochenem Misstrauen und unterschwelliger Feindseligkeit. Mir war bewusst, dass ich hier auf meine Feinde treffen würde. Ich hatte sie studiert, bevor ich auch nur einen Fuß auf dieses Schiff setzte. Ihre Namen hallten wie unheilvolle Geister durch meinen Kopf, während ich ihren Hass wie eine Klinge an meiner Kehle spürte.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 21 ⏰

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The Masters of Bones - Das Flüstern in deiner BerührungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt