Eine neue Welt II

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Val erstarrte bei dem Klang der blechern gesprochenen Worte. Eine Stimme, die ihm nur zu bekannt vorkam.

Sie waren in einem weiteren Korridor angekommen, doch dieser war an der einen Seite nur mit einem Geländer abgegrenzt von dem Saal, der sich ein Stockwerk tiefer erstreckte. Durch die Fenster auf der anderen Seite fielen Sonnenstrahlen und ließen das Gold, hineingewebt in den roten Teppich, wie kleine Flammen aufglimmen.

Nie hatte Val sich Wolken sehnlicher herbeigewünscht.

Kaiton schlich näher und spähte durch die Abgrenzung in den darunterliegenden Raum. Val musste sich einen Ruck geben, ihm zu folgen und neben ihm in die Knie zu gehen.

Eine lange Tafel stand in dem Saal und an ihr saßen leicht erhöht die zwölf Senatoren. Über dem Tisch schwebte ein metallisches Gebilde, um das Ringe kreisten. Auf jedem dieser Ringe lagen Lampen, einige eingeschaltet, andere nicht. Tausende von Augen, die alles wahrnehmen würden.

Im Licht der Sonne glänzte das Metall. Das Klacken der Zahnräder hallte laut in Vals Ohren wider.

»Wir haben erneute Mitteilung von Krankheiten in der Stadt«, ergriff eine Senatorin das Wort. »Bisher sind es nur Einzelfälle, aber wir sollten sie trotzdem nicht ignorieren.«

Aetherion schwebte einige Zentimeter zu ihr. In jedem der Ringe waren schwache Gravuren, doch Val konnte sie auf die Entfernung nicht erkennen.

»Treibt sie zusammen und macht sie unschädlich«, sprach der Kaiser.

Die Senatorin nickte. »Wie Ihr es wünscht.«

Kaitons Kiefer spannte sich an und eine Regung zeigte sich hinter der Düsternis in seinem Blick. Mordlust. Das Verlangen, Aetherion jedes einzelne Auge auszustechen.

Ein Senator brachte einen neuen Punkt auf. »Wir erhielten erneut Kunde, dass die Trengroves Lieferschwierigkeiten haben«, sagte er.

Kaiton versteifte sich bei dem Klang des Namens. Val wollte ihm eine Hand auf die Schulter legen, doch ihn beschlich das Gefühl, dass jeder Muskel in dessen Körper so angespannt war, dass sie bei noch mehr Druck reißen würden.

»Ihr Abkömmling ist wieder in der Stadt und bereitet ihnen Probleme.«

»Das ist unmöglich«, sagte ein anderer Senator. »Sie sind ihn doch schon vor Jahren losgeworden. Wenn ich mich nicht irre, haben sie ihn sogar in einen Zerkleinerer geworfen. Das kann er nicht überlebt haben.«

Der Schatten über Kaitons Augen wurde nur noch finsterer. Er hob eine Hand, um das rote Glühen dahinter zu verbergen.

»Er hat überlebt«, klinkte sich eine Senatorin ein. »Ich habe ihn selbst gesehen. Derzeit sammelt er Leute in der Unterstadt, die sein Ziel verfolgen.«

Aetherion schwebte in ihre Richtung. »Verbreitet die Nachricht, dass er zurück ist und sich dort aufhält. Sie werden ihn zur Rede stellen und wenn er keine Erklärung liefern kann, ihn von sich weisen, vielleicht sogar angreifen.«

Die Zahnräder holperten. Die Ringe kreisten schneller, zuckten und ruckten dann in eine Richtung. Die Augen richteten sich auf einen Punkt.

Val und Kaiton.

»Eindringlinge.« Blechern ertönte die Stimme. Tief und ruhig, aber gleichzeitig hoch und schrill. Sie bohrte sich in Vals Verstand. Er schüttelte sich, versuchte, sie loszuwerden.

Seine Knie gaben nach. Er hielt sich den Kopf, wandte den Blick von den weißen Lichtern ab.

»Ein gefallener Held«, sagte Aetherion. Jedes Wort, jede Silbe betont gesprochen.

Val kämpfte sich auf die Füße. Der Kaiser war von der Tafel und zu dem Rang darüber aufgestiegen.

Die Lichter ruckten zu Kaiton weiter. »Und der nach Heiligkeit Strebende.«

Val wich vor dem Kaiser zurück, als dieser zu ihnen schwebte. Er tastete nach seinem Degen und zog ihn, wohlwissend, dass er gegen eine Maschine nicht viel ausrichten konnte.

»Gekommen, um das Göttliche zu stürzen.« Das Rattern der Zahnräder war nun noch lauter, jedes Klicken wie ein Messer, das sich hinter Vals Augen stach. »Doch er gehörte stets mir und das Sterbliche hat nur einen Zweck. Zu sterben.«

Ein metallischer Arm brach unter dem Teppich hervor und zerriss den Stoff. Mehr aus Instinkt als mit Verstand brachte Val seinen Degen dazwischen. Die Schneide lenkte ihn ab und er bohrte sich in den Boden, hinterließ tiefe Risse im Marmor.

Val verweilte nicht länger. Er griff nach Kaiton – dieser hatte seinen Blick fest auf die Gefahr gerichtet und wollte ihr offenbar frontal begegnen – und rannte los.

Seine Schulter traf gegen das Fenster, das unter dem Aufprall splitterte. Er entließ den Haken aus seiner Hand und befestigte ihn am Sims. Kurz flogen sie von der Häuserwand fort, dann riss das Seil sie zurück.

Val drehte sich mit dem Rücken zur Mauer, um Kaiton vor dem Aufprall zu bewahren. Hart kam er auf und sein Kopf krachte gegen den Stein. Für einen Moment wurde alles schwarz, dann sah er Sterne in der Dunkelheit tanzen.

Er fand sich auf dem Boden wieder. Irgendwie war es ihm gelungen, auf den Beinen zu landen, obwohl Dunkelheit und Sterne weiterhin sein Blickfeld einnahmen. Erst nach weiterem Blinzeln klärte sich das Bild auf.

Flüssigkeit rann an seiner Wange entlang. Ein Griff an seinem Arm riss ihn nach vorn.

Nach wenigen Schritten fand er weiter zu sich, und sei es nur, weil das Adrenalin in seinem Blut sich weigerte, ihn zurückzulassen. Das Dröhnen in seinem Kopf jedoch blieb. Er brauchte einige Sekunden, bis er bemerkte, dass es nicht von innen kam, sondern wie eine Sirene durch die Stadt schallte.

Auf dem Sandpfad im Garten tauchte einer der Metallwächter auf. Er hob einen seiner Arme und ein Knall ertönte.

Eine Kugel schlug neben ihnen auf.

Kaiton zog eine Pistole und zielte. Darin war er besser als die Maschine. Der Schuss knallte durch die Luft und die Lampe am Kopf des Roboters barst. Er kippte zurück, traf mit einem ohrenbetäubenden Scheppern auf den Boden und blieb regungslos liegen.

Kaiton griff erneut nach Vals Ärmel und zog ihn weiter.

Die Wache vor dem Tor des Gartens sah zu ihnen und hob ihr Gewehr an.

Val schleuderte den Haken aus seiner Hand, der gegen den gusseisernen Zaun traf und stecken blieb. Das Seil straffte sich und er konnte gerade noch nach Kaiton greifen, ehe es sie durch die Luft warf.

Er stolperte, als er aufkam, aber Kaiton zerrte ihn weiter.

Die Menschen in den Straßen wichen ihnen aus oder keuchten erschrocken auf, wenn sie zur Seite gerempelt wurden.

Im Inneren der Oberstadt patrouillierten keine Wachen. Sie mussten nur noch denen, vor der Brücke ausweichen.

Die Welt war wie in Grau getaucht, als sie aus den Toren barsten. Jede Farbe blich aus und ermattete, mehr noch, nun da Val sie einmal in voller Pracht gesehen hatte.

Die menschliche Wache warf ihnen zunächst einen irritierten Blick zu. Vermutlich war die Nachricht noch nicht zu ihr durchgedrungen. Der Metallwächter jedoch hob einen Arm. Da erkannte auch der Mensch und legte sein Gewehr an.

Val bremste ab. Der Weg vor ihnen war versperrt.

Ein Klicken ertönte, als die Wache ihre Waffe entsicherte.

Er griff nach Kaitons Taille und zog ihn mit sich an die Brüstung der Brücke. Keine Zeit, sich Gedanken zu machen. Keine Zeit, die Gefahren abzuwägen. Keine Zeit, sich zu fragen, ob der Weg, den er wählte, vielleicht sogar todbringender war.

Er sprang und riss Kaiton mit sich.

Aetherion - Ein Kaiser unter KrähenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt