Der Schlüssel II

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Über Kaitons Augen lag ein finsterer Schatten. Seine Lippen waren zu einer schmalen Linie zusammengepresst.

Die Gestalt deutete ihnen an, näher zu kommen. Ihre Arme dünn, als bestünden sie nur aus Knochen.

Val rührte sich nicht, sah nur zu Kaiton. Er wollte ihm stumm Fragen stellen, was die Frau meinte, ob sie zu ihr gehen sollten, aber Kaiton erwiderte seinen Blick nicht. Er starrte nur auf die Gestalt vor sich, während sich seine Miene weiter verdunkelte.

»Eure beste Kreation?«, hakte Val nach. Er räusperte sich. Seine Stimme klang weniger fest, als er von ihr gewöhnt war.

Das Auge schoss zu ihm. »Denkt Ihr nicht so?« Jedes Wort glich eher einem heiseren Röcheln. »Ich konnte so viel von ihm rekonstruieren.« Sie holte geräuschvoll Luft und hustete dann gelben Schleim in ihre Faust.

Val rümpfte die Nase und sah ihr dabei zu, wie sie das Sekret in ihren Lumpen abwischte.

»Obwohl er schon tot war, als ich ihn fand.«

Es dauerte einen Augenblick, bis die Worte ganz bei ihm angekommen waren. Sein Kopf drehte sich mechanisch zu Kaiton, der ihn immer noch nicht beachtete. Tausende Fragen brannten ihm unter den Nägeln. Wehe, Kaiton würde ihm später keine Antworten geben.

»Folgt mir.« Sie winkte beide erneut mit ihren Armen zu sich. Sie lächelte breit, zu breit, und schwarze Zahnstummel kamen zum Vorschein. »Ich möchte wissen, wie es dir ergangen ist.«

Nichts würde Val dazu bringen, ihr in das Haus zu folgen. Was konnte dadrinnen nur lauern? Sie schien zu den Leuten zu gehören, die arme Reisende hineinlockte und dann zum Abendessen verspeiste.

Kaiton setzte sich in Bewegung und trat ein.

Für einen Moment betrachtete Val ihn nur stumm und mit aufgerissenen Augen. Dann folgte er. Er würde Kaiton nicht allein seinem Schicksal überlassen.

Vals Blick fiel auf die hervorstehende Wirbelsäule der Frau, als er ihr folgte. Zacken hoben sich unter der Kleidung an, als wären es nicht bloße Wirbel, sondern der Kamm eines Drachen.

Der Flur war in schweres Rot getaucht. Gemälde in goldenen Rahmen hingen an den Wänden, doch die Bilder zeigten nur verschiedene Schattierungen von Grau, einige waren sogar gänzlich schwarz.

Die Frau öffnete eine Tür und lud sie in einen Raum ein, der vermutlich ein Wohnzimmer sein sollte. Doch das Zimmer war klein, erdrückend. Bis auf eine Couch und zwei Sessel, die mit Flicken, Löchern und hervorstehenden Federn versehen waren, war es vollkommen leer. Die Dielen schwarz, die Wände schwarz. Ein endloses, alles verschlingendes Nichts.

Die Frau setzte sich auf einen der Sessel. Jedes ihrer Gelenke knackte und Staub stieg aus dem Polster auf. Er schwebte in der Luft, ehe er sich langsam wieder legte. »Was führt Euch hierher?«, fragte sie und deutete ihnen an, sich auf die Couch zu setzen.

Val folgte ihrem Fingerzeig mit dem Blick und beäugte die dunkelroten Flecken im Stoff des Sofas. Er verschränkte die Arme vor der Brust und blieb stehen. »Wir wurden hierher geschickt, um nach Antworten zu suchen«, sagte er vage.

Die Kälte in seinem Nacken wollte ihn überzeugen, gänzlich zu schweigen, umzudrehen und zu gehen. Alle Härchen auf seinem Körper stellten sich auf. Sein Herz sammelte bereits Adrenalin für einen Kampf oder die Flucht.

Kaiton ging an ihm vorbei und setzte sich. »Wir wollen Aetherion umbringen.«

Ihr Auge weitete sich. »Das ist ... unmöglich.«

»Ist es nicht.« Kaitons Stimme war kühl, berechnend. Sie schickte Val einen weiteren Schauer über den Rücken.

»Die Stadt hat zu lang schon unter seiner Tyrannei gelitten«, sprach Kaiton. »Die Senatoren sind nur Schafe, die jede Entscheidung abnicken, ungeachtet, ob und wie sehr sie der Bevölkerung schaden. Aetherion strahlt im Licht, während jeder andere in der Dunkelheit vergeht. Auf ihn richtet sich die Sonne und jeder andere stirbt im Dreck.«

Aetherion - Ein Kaiser unter KrähenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt