9. Kapitel

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Am späten Abend erreichen wir eine kleine Stadt. Ein Schild am Anfang der Ansiedlung lässt uns wissen, dass es sich dabei um Westbrücken handelt. Es liegt um eine Stelle am Fluss und es gibt zahlreiche Brücken, die die beiden Stadthälften verbinden. Auch diese sind wie die Häuser aller Kalayer aus Eis. Kijan hat beschlossen, dass wir für diese Nacht hier bleiben und uns einen Gasthof suchen. Eigentlich freue ich mich ja, wieder in einem Bett zu schlafen, aber ich habe meine Geldmittel überprüft und kann jetzt mit Sicherheit sagen, dass ich wahrscheinlich kein Zimmer bezahlen kann. Bis jetzt hatte ich allerdings nicht den Mut, ihm das mitzuteilen. Und jetzt ist es dafür eigentlich schon zu spät, schließlich sind wir schon in der Stadt und ich bin mir sicher, dass Kijan bald einen geeigneten Gasthof gefunden hat.

In den Gassen herrscht reges Treiben, was recht ungewöhnlich ist. Die meisten größeren Städte und Dörfer der Kalayer liegen am Nenmeer, obwohl das Reich bis ans Flammende Gebirge reicht, ist diese Fläche größtenteils unbewohnt. So viele Menschen hier anzutreffen hat mich dementsprechend überrascht. Ich hasse es ständig aufpassen zu müssen, niemanden zu berühren. Gleich nachdem wir die Stadt also betretenen hatten, habe ich meine Handschuhe übergezogen.

„Was meinst du?", fragt Kijan nun und bleibt stehen. Mit dem Kopf nickt er zu einem Haus. Es ist ein recht gut besuchter Gasthof.

„Wollen wir hier bleiben?" An sich wäre es sicher schön, hier zu übernachten, allerdings hängt ein Schild mit den Preisen an der Tür. Ich kann nicht mal eine Nacht bezahlen. Ich seufze.

„Können wir nicht doch lieber außerhalb der Stadt schlafen?" Er blickt mich erstaunt an und runzelt die Stirn. „Warum sollten wir?"

„Ich habe nicht genug Geld", nuschele ich beschämt. Kijans Mundwinkel zucken leicht.

„Kein Problem", meint er einfach. „Wir finden schon einen Weg. Sagen wir einfach, der Große Rat übernimmt deine Reisekosten mit Freuden." Er überlegte kurz, dann grinste er schelmisch. „Naja, vielleicht nicht mir Freuden, aber übernimmt sie." Daraufhin wendet er sich dem Gasthof wieder zu und betritt ihn. Etwas verwirrt folge ich ihm.

Wie üblich befindet sich im Erdgeschoss des Gebäudes eine Schenke. Die meisten der Tische sind besetzt und die Leute speisen und trinken. An wenigen Tischen werden auch Karten gespielt. Hinter der Theke steht der bärtige Wirt und eine junge Frau mit blonden Locken und blauen Augen, die nach den Wünschen der Gäste neues Bier zapften.

Kijan geht nun auch an die Theke zum Wirt. Wieder folge ich ihm.

„Habt Ihr noch ein Zimmer für diese Nacht frei?", erkundigt er sich bei ihm. Der Blick des Wirts huscht zu mir.

„Für zwei?", fragt er nach. Kijan nickt. Er will also, dass wir uns ein Zimmer teilen. Das ist eigentlich kein Problem. Immerhin haben wir die letzten Nächte auch fast nebeneinander geschlafen. Trotzdem ist das irgendwie etwas anderes, gemeinsam in einem Zimmer zu schlafen oder draußen unter freiem Himmel.

„Möchtet Ihr auch eine Mahlzeit dazu haben?"

„Abendbrot und Frühstück bitte."

„Das macht dann 50 Goldstücke", verlangt der Wirt. Kijan lächelt leicht.

„Das wird nicht nötig sein", sagt er und beginnt ein Hemd aufzuknüpfen. Auf der linken Seite schiebt er es dann ein bisschen zur Seite, sodass sein Wächtertattoo sichtbar wird. Der Wirt neigt darauf hin ein wenig den Kopf und ein anerkennender Ausdruck tritt auf sein Gesicht.

„Natürlich, mein Herr. Meine Tochter wird euch euer Zimmer zeigen", antwortet er und nickt mit seinem Kopf zu der junger Frau neben ihm. Diese hat das Gespräch mit angehört und kommt mit einem lasziven Grinsen hinter der Theke hervor. Bevor sie uns erreicht, packt der Wirt sie noch einmal am Arm und raunt ihr etwas zu, dass wie „Nimm eins der guten Zimmer" klingt. Ich glaube, ich habe völlig falsch eingeschätzt, wie mächtig Kijan wirklich ist und was für eine wichtige Persönlichkeit er ist. Als Wächter hat er viele Freiheiten und für die meisten seiner Kosten kommt der Große Rat auf.

Tochter der Kalaya - Verloren zwischen Magie und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt