Wobei heute doch etwas anders war. Mit uns im Wagen war nämlich noch eine Gruppe Kids. Eine zweite Jugendmannschaft aus dem Verein. Alle zwei Jahre jünger also wir. Die jüngere Version von uns selbst. Die sollten heute mit den Profis einlaufen - und waren alle entsprechend aufgedreht. Wie wir damals. Wir als "alte Hasen" standen da natürlich drüber. Oder zumindest taten wir so. In Wirklichkeit waren wir natürlich ein wenig neidisch. Auch wenn wir das Thema ja bereits hinter uns hatten. Für mich war die hibbelige Truppe vor allem der Grund, mich gedanklich nochmal drei Jahre zurück zu beamen. Und natürlich landete ich sofort wieder bei dem Foto, an dem ich vorhin hängen geblieben war. Sofort war da wieder diese schockierte Leere in mir, die ich damals auch empfunden hatte.
Das Unheil damals hatte, ehrlich gesagt, schon kurz nach der Ankunft im Stadion seinen Lauf genommen. Wir wurden von einem VIP-Betreuer in Empfang genommen, der uns in die Katakomben des Stadions führte. In einen Bereich, der quasi direkt neben der Kabine der Profis lag. Zumindest war uns das so vorgekommen. Tatsächlich waren wir zwei Stockwerke tief im Keller. Uns wäre aber wahrscheinlich auch eine Besenkammer luxuriös vorgekommen. Hauptsache irgendwie in der Nähe unserer Idole. Dort waren nicht nur die nagelneuen Trikots, Hosen und Socken vorbereitet, die wir beim Einlaufen tragen sollten, sondern auch zwei Tischkicker, ein paar Spielkonsolen und jede Menge Catering. Snacks, Chips, Süßkram, Würstchen und Softdrinks. Also alles, was wir uns üblicherweise extrem gut einteilen mussten. Weil's für uns im Stadion ja normalerweise brutal teuer war. Heute aber eben nicht. Und deshalb langten wir alle zu. Ziemlich hemmungslos. Beim Thema gesunde Ernährung waren meine Eltern zwar nicht hardcoremäßig unterwegs, aber Softdrinks, Chips und anderer Süßkram gab's für mich eigentlich nur zu ganz besonderen Anlässen. Hier waren aber weit und breit keine Eltern Und irgendwie, fand ich, war das doch auch ein sehr besonderer Anlass! Und deshalb langte ich genauso ordentlich zu, wie der Rest. 30 Minuten vor dem Spiel war dann Schluss mit Schlemmerei.
Umziehen. Vorher schickte unser Coach aber die ganze Truppe zur Toilette. Er hatte natürlich genau gesehen, was wir alles gegessen und vor allem getrunken hatten. Und als erfahrener Kinder- und Jugendcoach wusste er ziemlich genau, wie zuverlässig acht- und neunjährige Jungs sagen konnten, dass sie die nächsten 45 Minuten ohne Klo klar kamen. Ich mogelte mich, auch wie immer, um das Thema Toilette rum. In dem ganzen Gewusel fiel es einfach nicht auf, dass ich mich zwar immer in der Nähe der Toiletten aufhielt - aber nie einen Fuß rein setzte. Trotzdem nutzte ich die Gelegenheit, ein bisschen was von dem aus mir raus zu bekommen, was ich getrunken hatte. 3 Dosen Orangenlimonade. Mindestens. Und zwei Flaschen von einem super-leckeren Kakao. Milch gab's bei uns zu Hause praktisch nicht, weil Mama die nicht vertrug. Meine Pull-up war bis dahin trocken gewesen. Also kein Problem - abgesehen von der Tatsache, dass die Comic-Figuren auf meiner saugfähigen Unterwäsche damit langsam die Farbe wechselten. Je nasser die Windel, desto blasser wurden die Figuren.
30 Minuten vor dem Anpfiff mussten wir fertig umgezogen bereitstehen. Das schafften wir locker. Aber wir mussten dann eben 30 Minuten Zeit totschlagen - während um uns herum die ganzen Vorbereitungen für den Spielbeginn liefen. Wahnsinn, wie viele Menschen da rumwuselten. Und irgendwann waren dann auch unsere Idole. Jeder schnappte sich die Hand eines Kindes. Einige wechselten sogar ein paar Worte mit "ihrem" Einlaufkind. Ein Traum. Sollte man meinen. Und für die allermeisten meiner Freunde war es das auch. Für mich nicht. Oder genauer: nicht sehr lange. Weil sich nämlich, kurz bevor die Profi-Kicker um die Ecke gekommen waren, bemerkbar machte, was ich mir vorhin alles gegönnt hatte. Und das machte mir wirklich Sorgen. Die Saugfähigkeit meiner Pullup war nicht das Thema. Da war ich damals schon Profi. Und zu dem Zeitpunkt hatte ich erst einmal reingepinkelt. Aber mein Problem war tatsächlich nicht flüssig. Das Rumoren in meinem Bauch ließ wenig Raum für falsche Schlüssel. Die Kombination aus Würstchen, kalten Softdrinks und warmem Kakao wollte mit Nachdruck wieder raus.
Zu Hause war das kein Problem. Da ging ich aufs Klo. Aber hier war das ausgeschlossen. Alleine bei der Vorstellung, eine der Türen auf der Stadion-Toilette anfassen zu müssen, sorgte dafür, dass ich anfing kalt zu schwitzen. Mein Mund war auf einen Schlag staubtrocken. Ich begann zu zittern. Aber noch war ich nicht bereit, aufzugeben. Ich wusste, dass der Druck im Darm nachließ, wenn die Blase leer war. Also konzentrierte ich mich darauf, langsam und kontrolliert in die Pullup zu pinkeln. Das klappte zu meiner Erleichterung auch gar nicht schlecht. Kurz bevor wir alle gemeinsam aufs Spielfeld geführt wurden, hatte ich die Situation soweit im Griff, dass ich mir fast sicher war, zumindest die Zeit auf dem Platz zu schaffen. Hatte ich aber tatsächlich nur bis zur Mannschaftsvorstellung unseres Teams. Im selben Moment, als der Stadionsprecher den Namen unseres Torhüters ins Mikrofon brüllte, kehrte der Druck in meinem Darm mit brutaler Kraft zurück. Wieder versuchte ich zu kämpfen. Diesmal ohne Aussicht auf Erfolg. Meine Blase war leer. Davonrennen ging nicht. Genau jetzt schauten hier im Stadion 42.000 Menschen auf uns. Und am Fernseher wahrscheinlich eine Million. Also rührte ich mich nicht vom Fleck. Und musste keine 10 Sekunden später dem Trommelfeuer aus Darmkrämpfen nachgeben. Als die erste Ladung Kacke aus mir herausdrückte, schaltet mein Blick auf Endlos. Die warme, weiche Wurst versuchte für den Bruchteil einer Sekunde, meine Pobacken auseinander zu drücken. Im Nachhinein ein albernes Unterfangen. Weil sich meine Pobacken keinen Millimeter bewegten, spürte ich, wie sich die warme Masse in alle Richtungen in der Pullup verteilte. Wie lange es dauerte, bis endlich kein Nachschub mehr aus mir herauskam? Keine Ahnung. Zu lange. Viel zu lange. Und als zum Abschluss auch noch ein Durchfall-Schwall hinterher kam, wusste ich, dass genau in diesem Moment meine Pullup ihren Betrieb einstellte. Alles was jetzt noch folgte, würde links, rechts, oben und unten auslaufen. Und so war's dann auch. Als wir nach dem Ende der Zeremonie zurück in unseren Umkleidebereich dirigiert wurden, rannten alle los. Also alle außer mir. Ich schlich vom Feld.
Nur keine unbedachte Bewegung. Ich hatte, wie alle anderen auch, eine dunkle Laufhose unter dem Trikot. Niemand würde also auf den ersten Blick erkennen können, dass ich undicht war. Und auch die bis ans Maximum aufgequollene Windelbeule am Po war in dem ganzen Gewusel aus uns Kindern, den Betreuern und dem restlichen Personal, das wenige Sekunden vorm Anpfiff eines Bundesligaspiels durch die Gegend rannte, ziemlich sicher nicht zu sehen. Was nichts daran änderte, dass ich sehr genau spürte, wie gewaltig das Problem tatsächlich war. Da war dieser kalt-matschige Brei, der sich bei jedem Schritt den Weg an den Windelbündchen vorbeisuchte. Die Kälte war links bereits fast auf Kniehöhe angekommen. Ich konnte so auf gar keinen Fall in unsere Kabine. Da würde alles auffliegen. Spätestens, wenn die Jungs mich riechen konnten. Einfach auf ein Klo zu flüchten, ging aus bekannten Gründen aber eben auch nicht. Ich stand jetzt kurz dafür, die Kontrolle zu verlieren. Hektisch suchten meine Augen einen Halt. Einen Ausweg.
Wie durch einen Nebel krallte sich mein Unterbewusstsein an 4 Sanitätern fest, die ihre Station am Ausgang des Spielertunnels aufbauten. Bei ihrem Anblick klingelte etwas. Weil ich aber meine gesamte Beherrschung brauchte, um nicht an Ort und Stelle ohnmächtig zu werden, dauerte es etwas, bis mein Gehirn die Information freigab, die mein Unterbewusstsein längst parat hatte: Onkel Julius!
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Kick it in Diapers
Novela JuvenilLeos Leben ist der Fußball. Er hat Talent. Ein cooles Team und entspannte Eltern. Aber Leos Leben ist auch, ein Geheimnis mit sich herumzutragen. Jeden Tag. Auch im Stadion. Und da wäre es beinahe schonmal schiefgegangen. Ein einmaliger Ausrutscher?