,,Nein!", rief meine Schwester so laut, dass man es vermutlich im gesamten Einkaufszentrum hören konnte, ,,Ich will genau die Puppe und keine andere!" Seufzend hockte sich Mam vor sie und versuchte es erneut: ,,Aber Tabea, schau mal diese Puppe hier an, die trägt doch ein viel schöneres Kleidchen. Und außerdem kann sie dir ,Hallo' sagen. Probiere es doch mal aus. Hier." Aber Tabea hörte schon gar nicht mehr zu. Sie hielt sich die Ohren zu und sang: ,,Ich hör' dich nicht, ich hör' dich nicht, du kannst mir gar nichts sagen!" Mam schaute zweifelnd auf das Preisschild. 50 Euro für das letzte Exemplar einer Puppe, die bis jetzt wohl wegen dem kleinen Loch an der Seite bis jetzt noch nicht verkauft worden war. Schmutzflecken hatte sie auch, vermutlich hatte sie schon eine ganze Weile unbemerkt auf dem Boden gelegen, wo Tabea sie dann gefunden hatte. Als Mam immer noch nicht nachgeben wollte, die Puppe zu kaufen, bettelte meine Schwester: ,,Bitte, bitte, ich mach auch alles!", und Tränen sammelten sich in ihren Welpenaugen. Mam gab nach. Wir kauften die Puppe, verließen aber kurz darauf auch schon das Zentrum, da meine Mutter weitere solche Käufe vermeiden wollte. Man konnte eben schlecht mit Tabea einkaufen gehen. Oder, um es besser auszudrücken, Mam konnte schlecht mit Tabea einkaufen gehen, weil sie ihren Welpenaugen nicht widerstehen konnte.
Mam schloss die Tür auf und Tabea stürmte in die Wohnung. Ich half Mam dabei, die Taschen hinein zu tragen. Mam fing an, das Essen zu kochen. Ich verkroch mich lieber wieder in mein Zimmer. Luca war auch schon da. Er hatte es sich auf meinem Bett gemütlich gemacht. Ich setzte mich daneben und strich über sein weiches Fell. Er sah so süß aus, dass ich mein Handy herausholte und ein Foto machte. Von meinem Luca mit der Narbe am Ohr, den ich vor drei Jahren im Tierheim gefunden und adoptiert hatte. Außerdem sah ich, dass Nela mir geschrieben hatte: ‚Hey, wie geht's dir? Hast du heute Zeit?' Ich musste lächeln. Mein Name war zwar Fiona, aber die meisten meiner Freunde kürzten das ab zu Fio. Und sie nannte mich Fia, weil sie wusste, dass mir Fio zu sehr wie ein Jungenname klang, auch wenn ich dazu in der Schule nichts sagte.
Dann hörte ich einen Aufschrei. Meine Schwester. Was immer passiert war, ich wollte es nicht wissen. Sicher war ein Spielzeug kaputt gegangen. Entnervt setzte ich mich dann aber doch in Bewegung, um die liebe große Schwester zu sein, die sich um nichts anderes als das Wohl der kleinen Tabea sorgt. Als ich in Tabeas Spielzimmer ankam, lag sie schon weinend in Mams Armen. Sie hatte sich am Finger geschnitten und bekam jetzt ein Pflaster. Ich sah meine Pflicht als getan an und wollte wieder umdrehen und in mein Zimmer gehen, als ich die Puppe sah. Irgendetwas war anders. Irgendetwas stimmte mit dieser Puppe nicht. Mir wurde übel. Kalte Angst breitete sich auf meinem ganzen Körper aus. Ein Schauer lief mir den Rücken hinunter, während die kalten Knopfaugen der Puppe mich weiter anstarrten. Dann war es vorbei. Mam und Tabea schienen davon nichts mitbekommen zu haben. Noch immer ein wenig zitternd ging ich wieder in mein Zimmer und schloss die Tür. ‚Heute nicht', schrieb ich an Nela, ‚Aber vielleicht können wir uns morgen treffen.' Ich schaltete mein Handy aus und steckte es in meine Hosentasche. Dann bemerkte ich, dass Luca nicht mehr auf meinem Bett lag. Vermutlich war er in den Garten gegangen. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und fing an mit zeichnen. Dazu machte ich mir Musik an. Zeichnen half immer, wenn ich etwas loswerden musste. Und gerade war es dieses Gefühl, das ich durch die Puppe bekommen hatte, welches ich dringend loswerden wollte.
„Schmeckt euch das Essen?", fragte meine Mutter uns neugierig. „Mhm." Ich hatte noch etwas im Mund, beließ es aber auch bei der Antwort, als ich alles hinuntergeschluckt hatte. Mam versuchte sich in letzter Zeit als Köchin und versuchte die verrücktesten Rezepte. Was durchaus auch schiefging. Wobei die Rezepte vielleicht gar nicht so abwegig waren, wie sie mir schienen, aber eben auch nicht normal. Dazu schaute sie immer so eine Sendung, dessen Namen ich jedoch vergessen hatte, falls ich ihn überhaupt jemals gewusst hatte. Tabea antwortete nicht auf Mams Frage, es schien ihr aber zu schmecken. „Hat der Reis auch wieder einen besonderen Namen?" Meistens hatten ihre Gerichte zusätzlich zu ihrer Seltenheit auch irgendwelche besonderen Namen. Und weil Mam sich nunmal dafür interessierte, würde sie sich sicher über die Frage freuen. Ich behielt Recht. Ihr Gesicht strahlte, als sie mir freudig antwortete: „Das ist ‚Furikake' - Reis! Ein ganz eigenes Rezept von Souma Yukihira!" Mehr musste ich gar nicht wissen, für das Kochen interessierte ich mich eh nicht. Aber zumindest war Mam jetzt doppelt so glücklich wie vorher.
(24.10.2020)
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Angefangene Geschichten
RandomWenn ich mal wieder in irgendeinem Notizheft eine angefangene Geschichte finde, die ich nie beendet habe, kommt sie hier rein. Und wer weiß, vielleicht habe ich ja irgendwann mal Lust, sie weiterzuschreiben ;)